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# taz.de -- Widerspruch im Tourismus: Die Welt und ihre Splitter
> Lange lebten im italienischen Dorf vor allem Alteingesessene. Die Neuen
> aus aller Welt verändern die Dorfgemeinschaft, in dem sie sich
> einbringen.
Bild: Erst ziehen die Nachbarn weg, dann kommen die AirBnB-Tourist*innen
Unsere Nachbarn ziehen weg. Obwohl sie noch gar nicht ausgezogen sind,
fange ich schon an, sie zu vermissen, fühle mich fast im Stich gelassen.
Ich bin Stadtkind, jahrzehntelang waren mir Nachbarn sauegal. Doch in der
versteckten Straße in Süditalien, wo sich zwischen Oliven- und Obsthainen
unser Ferienhaus befindet, ist das irgendwie anders.
Die Nachbarfamilie und wir waren glücklich über die jeweils anderen. Wir
brachten einander Reste vom Mittagessen oder haben Genesungskuchen
gebacken, gemeinsam Katzenbabys großgezogen und über die Welt geredet, ich
habe mit der Tochter Englisch geübt, Theater gespielt und Handyvideos
gedreht, und wenn unser Gemüse in Abwesenheit reif wurde, hatte es schon
die Oma für uns gelagert.
Es war für mich immer auch Beleg einer kleinen Integration in meinem
Manchmaldomizil. Das Selbstbild, dazuzugehören. Doch die Straße verändert
sich rasant. Als wir vor zwei Jahren einzogen, lebten dort nur
Alteingesessene. Wie ein leises Gespenst konnte man bezahlbar in eine
gewachsene Kultur eintauchen.
## Wer Orte betritt, formt sie
Aber Tourist:innen sind selten Gespenster. Nun kommen aus denselben
Motiven auch andere. Jüngst hat gegenüber ein [1][Airbnb] aufgemacht,
betrieben von Berlin-Italiener:innen. Ein paar Häuser weiter renoviert ein
Paar aus Neuseeland. Die Welt hält Einzug. Und damit der Widerspruch des
Tourismus: Wer Orte betritt, formt sie – und zersetzt, was er sucht.
Andererseits, was wäre die Alternative? Verfall und Leerstand wie tiefer im
Inland? Es sind auch die Neuen, die dafür sorgen, dass auf dem Dorf noch
Ärzt:innen sind und die Wochenmärkte laufen. Es sind auch die Neuen, die
für die Rettung der Olivenbäume kämpfen – wenn sie nicht gerade idiotische
Pools bauen. Wir sind wohl nur die zweitschlechteste Option.
Ist das unser Zuhause? Wahrscheinlich reicht es bei mir nicht dafür. Es
ist, als hätte ich mein Herz auf 15 Jahren Reisen in tausend Splitter
zerschellen lassen, und an vielen Orten läge einer davon. Ich habe
Sehnsucht überallhin, bin rasend schnell irgendwo daheim – aber es reicht
nicht mehr, um mich irgendwo zu Hause zu fühlen. Das ist okay so. Auch die
Neuen sind okay. Sie sind anders, aber mir in ihrer Andersartigkeit
vertraut: Als die Teenie-Tochter der Berliner mit ihrer Dip-Dye-Frisur bei
uns auftaucht und wir alle über Berliner Kieze plaudern, muss ich grinsen
Ihr Habitus bringt mir ein Stückchen jener Stadt, wo ein großer Splitter
Herz liegt. Die Frau des Neuseeländers ist aus [2][Neapel], und ihre
weltgewandte Extrovertiertheit bringt mir die Stadt, wo ein anderer
winziger Splitter liegt. Soll die Welt also kommen. Und Splitter
mitbringen.
27 Feb 2025
## LINKS
[1] /Airbnb/!t5010117
[2] /Neapel/!t5030265
## AUTOREN
Alina Schwermer
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