| # taz.de -- Reisen in Gambia: Ich packe meinen Koffer umgekehrt | |
| > Aus einer Reise nimmt man viel mit zurück. Nicht nur Erinnerungen, auch | |
| > Ideen. In Gambia haben mich zwei Dinge besonders beeindruckt. | |
| Bild: Alternavive zum Schienenverkehr: Minibusse in Gambia | |
| Draußen kein Mensch, vorbeiziehende Äcker, leere Bordsteine. Wie still es | |
| ist. Ich sitze in einem Auto und schaue raus, Deutschland sieht anders aus, | |
| wenn man zurückkehrt. Einen Monat war ich in Westafrika, in mir vibriert | |
| noch das ultra-soziale Leben, der Lärm, 24 Stunden miteinander, auch | |
| manchmal anstrengend. Jetzt sind da nur die Fassaden der Privathäuser. Wo | |
| sind die Menschen? Nie habe ich die Atomisierung der deutschen Gesellschaft | |
| so klar gefühlt wie in diesem Moment. Eine Gesellschaft in Mauern, denke | |
| ich. | |
| Irgendwann vergesse ich die Verwunderung wieder. Das heißt Ankommen. Aber | |
| man vergisst natürlich nur halb. | |
| Das Kinderspiel „Ich packe meinen Koffer“ sollte umgekehrt funktionieren: | |
| Aufzählen, was man von einer Reise mitnimmt. In meinem Koffer [1][aus | |
| Gambia] liegen Erinnerungsfetzen. Auf dem Balkon eines Freundes in Banjul, | |
| neureich in einer Privatvilla, finanziert von seinen Eltern in Europa – er | |
| sieht sie fast nie, kein Familiennachzug erlaubt. Gestrandet im Ennui, | |
| schlechte senegalesische Serien und gutes Gras. | |
| Schnitt. Auf dem belebten Compound bei einem anderen Freund mit den | |
| cutesten Kids. Kein bisschen reich, aber privilegiert auch er: Als Soldat | |
| durfte er trotz seines gambischen Passes ein Stückchen Welt besuchen, die | |
| Türkei, er erzählt oft davon. Schnitt. Eine Rastafari-Runde in einer | |
| Underground-Bar, jemand sagt: „Wir beide haben nicht das gleiche Recht auf | |
| die Welt.“ Verstehen, was Europa wirklich bedeutet, tut man erst außerhalb. | |
| Im Koffer kommen Ideen mit zurück. Ich nehme lieber die guten mit als die | |
| schlechten, von denen es auch viele gibt in dieser autoritären | |
| Gesellschaft. Zwei finde ich wirklich groß: das Architekturkonzept des | |
| Compounds. Gewohnt wird im eigenen Raum, gelebt auf dem geteilten Innenhof | |
| mit mehreren Familienverbänden. | |
| Architektur formt Gesellschaft. Es könnte ein Mittel werden gegen die | |
| deutsche Einsamkeit, den Stress Alleinerziehender, Altenheime. Das | |
| gemeinsame Aufwachsen bringt bemerkenswerte Kompetenz, gambische Kinder | |
| lernen oft viele Sprachen – das gibt es in Deutschland sonst nur [2][im | |
| sogenannten Brennpunkt]. | |
| Zweitens: Der klug organisierte [3][ÖPNV] mit privaten Minibussen, die im | |
| Minutentakt aufschlagen und sich den Zielen der Passagiere anpassen. Mehr | |
| soziale Begegnung, weniger Stau und egalitärer als die teuren Bahngleise, | |
| die doch nur das reiche Stadtzentrum bedienen. Eine Idee für die | |
| Verkehrswende. | |
| Der Koffer ist verbunden mit Hoffnung. Aber die Konjunktur für Utopien ist | |
| schlecht. Und so lagern in Deutschland viele ungeöffnete Koffer. | |
| 7 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Schwermer | |
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