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# taz.de -- Deutschkurse für Obdachlose in Berlin: Über kalte Nächte sprechen
> In Berlin gibt es nun Sprachcafés für Wohnungslose. Die
> Teilnehmer*innen lernen Deutsch und berichten von ihren Erfahrungen.
> Ein Besuch.
Bild: Der Sprachunterricht ist auf den Alltag der Obdachlosen ausgerichtet
Berlin taz | An diesem Sonntagnachmittag ist es warm und ruhig im
Stadtteilzentrum Kreativhaus auf der Fischerinsel in Mitte. Ein paar
Kinder sind auf dem Spielplatz unterwegs, das Café ist geöffnet. Und dann
sind da noch ein paar Obdachlose. Denn jeden Sonntag finden seit Mitte März
in zwei Räumen des Kreativhauses Sprachcafés statt. Zwei Stunden lang
können obdach- und wohnungslose Menschen dort sonntags Deutsch üben.
Das Sprachcafé, das Dima Khaliullin, 25, und seine Kollegin Mirela Kulin,
45, als Sprachmittler*innen leiten, richtet sich an fortgeschrittene
Lerner*innen. Die Tür steht offen, sodass bei den warmen Temperaturen ein
bisschen Wind hereinkommt. Drei Teilnehmer sitzen schon an den u-förmig
ausgerichteten Tischen vor einem Flipchart.
Khaliullin startet mit einer simplen Frage: „Wie geht’s euch?“, fragt er
jeden Einzelnen. Adam ist ein bisschen erkältet, Fernando gefällt das
Wetter. Der dritte Teilnehmer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen
möchte, sagt: „Die Leute sind überrascht, dass ich noch am Leben bin.“
Ob das Wetter gut sei, das komme doch darauf an, wie man die Nacht
verbringe: „Ich war draußen, und es war eigentlich nicht so angenehm.“ Adam
und Fernando stimmen zu. „Man braucht das hier“, sagt Adam und deutet auf
die langen Ärmel seines Shirts. Die anderen Teilnehmer helfen ihm bei der
Suche nach dem richtigen deutschen Begriff.
## Niedrigschwelliges Angebot
„Ich bin jetzt seit zwei Jahren in Berlin, und seit zwei Jahren bin ich
erkältet“, sagt Adam. Er ist 53 Jahre alt und aus Polen nach Berlin
gekommen, wo er seither vorwiegend in Unterkünften der Stadtmission
schläft. Vom Sprachcafé für wohnungslose Menschen hat er durch einen
Bekannten erfahren.
Das Deutschlernen zählt er zu seinen Hobbys, deshalb lese er auch gerne
Bücher auf Deutsch, erzählt er und deutet auf einen dicken Inga
Lindström-Roman, der neben ihm auf dem Tisch liegt. Das Sprachcafé gefalle
ihm gut – auch, dass es nur einmal pro Woche und immer sonntags
stattfindet: „Das kann ich schaffen, öfter wäre es schwierig für mich.“
Organisiert wird das Sprachcafé von der Union für Obdachlosenrechte Berlin
(UfO), eine Interessenvertretung von und für wohnungslose und ehemals
wohnungslose Menschen. Die Initiative setzt sich für ein Ende der
Wohnungslosigkeit und das Recht auf Wohnen ein, will Betroffene und
Verbündete vernetzen und Politik und Mehrheitsgesellschaft für das Thema
Wohnungslosigkeit sensibilisieren.
Die UfO ist aus der „[1][Zeit der Solidarität]“ hervorgegangen, ein Projekt
des Verbands für soziokulturelle Arbeit Berlin in Kooperation mit der
Senatssozialverwaltung, bei dem von 2021 bis 2023 obdachlose Menschen in
Berlin gezählt werden sollten. Nach Kritik am Projekt und auch weil sich
[2][nicht genug Freiwillige] für die Zählung fanden, wurden stattdessen
mehr als 200 Interviews mit obdach- und wohnungslosen Menschen
durchgeführt.
## Befragung ergab Wunsch nach Deutschlernen
Dabei habe man Betroffene nach ihren Bedarfen und Wünschen befragt und sei
wiederholt auf den Wunsch nach einem Angebot zum Deutschlernen gestoßen,
erzählt Uwe Mehrtens. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der UfO und war
selbst schon von Wohnungslosigkeit betroffen. Nach dem Projektende von Zeit
für Solidarität hätten sich die Aktivist*innen und ihre
Unterstützer*innen weiter organisiert und zunächst auf Spendenbasis
weitergemacht.
Seit Januar vergangenen Jahres trifft sich die UfO jeden zweiten
Dienstagnachmittag im Nachbarschaftshaus Urbanstraße, das inzwischen auch
Träger der Initiative ist. Durch das Nachbarschaftshaus habe die UfO bis
Ende des Jahres eine Förderung erhalten, die auch Sachkosten und
Aufwandsentschädigung des Sprachcafés abdecke, erzählt Mehrtens.
Dieses Mal geht es im Sprachcafé von Khaliullin und Kulin ums Arbeiten.
Alle Teilnehmer erzählen von ihren Arbeitserfahrungen: Elektrik,
Fotografie, Industrieingenieurwesen. Jeder von ihnen bringt ein breites
Repertoire an Erfahrung mit, oft wurde sich das Wissen dafür selbst
angeeignet. Fest angestellt in Berlin ist niemand von ihnen.
Die Teilnehmer hören einander aufmerksam zu und stellen interessierte
Nachfragen. Kulin nutzt die Gelegenheit, um den Unterschied zwischen
„Angestellter“ und „Mitarbeiter“ zu erklären. Sie erzählt auch von ih…
eigenen Erfahrungen mit dem Jobcenter, und dass sie immer noch kein
Bürgergeld erhalten habe. „Am Ende habe ich mir gedacht: ‚Ihr könnt mich
mal‘ – ich brauche euch nicht erklären, was das bedeutet.“
## Auch Essen, Trinken und Waschmöglichkeiten locken
Die Sprachcafés haben Platz für bis zu zehn Teilnehmer*innen. Die
erschienen regelmäßig, zeigten Interesse, blieben am Ball. „Ich muss sagen,
ich bin beeindruckt davon, wie ernst sie bei der Sache sind“, sagt Kulin.
Ursprünglich hätten sie gehofft, dass regelmäßig auch mindestens eine Frau
teilnimmt, „aber leider sind wir bei diesem Ziel noch ziemlich hinten
dran“.
Während den Sitzungen gibt es auch eine Pause, in der Essen und Trinken zur
Verfügung gestellt wird. Auch der Zugang zu WC und Waschmöglichkeiten
spielten beim Sprachcafé eine entscheidende Rolle, so die 45-Jährige.
Khaliullin und Kulin sind beide schon von Beginn an ehrenamtlich in der UfO
aktiv. Sie ist ausgebildete Dolmetscherin und Übersetzerin und stieß zur
Initiative, weil Zeit für Solidarität Übersetzer*innen für
Rumänisch–Deutsch suchte. „Ich fand die Sache, für die sich das Projekt
engagiert, sehr gut.“ Kurz darauf habe sie dann angeboten, Deutsch zu
unterrichten.
Seit dem Projektbeginn leitet Kulin das Sprachcafé immer mit ihrem Kollegen
im Team. „Wir haben jede Woche einen Call zusammen, wo wir uns überlegen,
was hat funktioniert? Was wollen wir anders machen? Wir sind da sehr gut
organisiert und aufeinander abgestimmt.“
Nach einer Pilotphase im März und April gab es über die
Alice-Salomon-Hochschule eine Befragung und vorläufige Auswertung des
Projekts. Danach habe man sich zusammengesetzt und entschieden
weiterzumachen. Wenn das Angebot weiter erfolgreich angenommen wird,
könnte es vielleicht auch in anderen Nachbarschaftshäusern und
Tageszentren für wohnungslose Menschen angeboten werden, hofft Kulin: „Wir
füllen da eine Lücke.“
28 May 2024
## LINKS
[1] /Obdachlosigkeit-in-Berlin/!5951299
[2] /Abgesagte-Obdachlosenzaehlung-in-Berlin/!5862773
## AUTOREN
Clara Zink
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