# taz.de -- Rom*nja-Aktivist über Antiziganismus: „Traumatisierende Erfahrun… | |
> In Berlin kommen Rom*nja zum Bundes-Roma-Kongress zusammen. | |
> Mitorganisator Kenan Emini über das Bleiberecht, Diskriminierung und den | |
> Kampf gegen rechts. | |
Bild: Beim Roma-Kongress geht es auch um den Erhalt der Gedenkstätte für Sint… | |
taz: Herr Emini, Sie organisieren [1][den Bundes-Roma-Kongress], der am | |
Wochenende in Berlin stattfindet. Sind Sinti*zze nicht eingeladen? | |
Kenan Emini: Natürlich sind auch alle Sinti eingeladen. Aber der Fokus | |
liegt beim Kongress auf den migrantischen Roma. Es geht um die | |
hunderttausenden Menschen hier in Deutschland, die bisher kaum sichtbar | |
sind. | |
Während Sinti*zze schon seit Jahrhunderten in Westeuropa und auch | |
Deutschland leben, stammen Rom*nja überwiegend aus Ost- und Südost-Europa. | |
Vor welchen Problemen stehen sie? | |
Ein großes Thema ist das Bleiberecht. Viele Roma leben zwar schon sehr | |
lange in Deutschland, haben aber keine deutsche Staatsbürgerschaft, teils | |
sind sie seit Jahrzehnten bloß geduldet. Ihnen [2][droht ständig die | |
Abschiebung.] Wir fordern, dass Roma aus Ost- und Südost-Europa hier über | |
eine Kontingentlösung dauerhafte Bleibeperspektiven bekommen. | |
Also eine Regelung, wie es sie für Juden*Jüdinnen aus den ehemaligen | |
Sowjetstaaten ab den Neunzigerjahren gab, die erlaubte, relativ einfach | |
nach Deutschland einzuwandern? | |
Genau. Roma sind die vergessenen Opfer des Holocaust. Die Verfolgung und | |
Ermordung durch Nazideutschland und seine Verbündeten fand europaweit | |
statt. | |
Viele der Rom*nja in Deutschland sind vor dem russischen Angriff aus der | |
Ukraine geflohen … | |
Roma sind dort nicht nur vom Krieg bedroht, sondern auch von massiver | |
antiziganistischer Gewalt durch Ukrainer. Zwar haben sie in Deutschland im | |
Moment einen Schutzstatus, aber wie lange der noch gilt, ist offen. Viele | |
fürchten, dass sie am Ende doch abgeschoben werden. | |
Die Ampel verfolgt einen restriktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik. Wie | |
trifft das Rom*nja? | |
Die Ampel hat unter anderem Moldau als sicheren Herkunftsstaat eingestuft, | |
wie es die Vorgängerregierungen unter anderem mit Kosovo, Serbien und | |
Mazedonien getan haben. Diese Länder sind aber für uns nicht sicher. Es | |
gibt dort grausame Übergriffe gegen Roma. Das sollte Deutschland | |
berücksichtigen, statt alle Schutzgesuche von dort pauschal abzulehnen und | |
die Menschen abzuschieben. | |
Ist Antiziganismus nicht auch in Deutschland ein großes Problem? | |
Institutionelle Diskriminierung zieht sich in Deutschland durch alle | |
Behörden. Es gab eine Zeit, in der wir dachten, in den Institutionen wachse | |
das Bewusstsein für Antiziganismus. Aber zuletzt wurden die Schikanen | |
wieder schlimmer, etwa bei den Jobcentern oder den Ausländerbehörden. Das | |
sind oft traumatisierende Erfahrungen. Die Bürokratie hat unheimlich viel | |
Macht über Menschen mit fragilem Aufenthaltsstatus und geringer | |
gesellschaftlicher Repräsentanz. | |
Und die Polizei setzt sich weiterhin gern mit Razzien gegen Roma in Szene, | |
zuletzt etwa am 9. April, als 200 Polizisten in einen Göttinger | |
Gebäudekomplex eindrangen und alle Bewohner kontrollierten. Aber auch der | |
Antiziganismus in der Gesamtgesellschaft tritt wieder deutlicher hervor. | |
Inwiefern? | |
Viele Roma haben keine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Sie werden | |
abgewimmelt, sobald klar wird, dass sie Roma sind. Kinder erfahren an den | |
Schulen viel Diskriminierung. In Deutschland muss niemand wirklich Angst | |
haben, für Antiziganismus bestraft zu werden. | |
2021 präsentierte die Unabhängige Kommission Antiziganismus ihre | |
Empfehlungen an Politik und Gesellschaft. Hat sich seitdem etwas getan? | |
Mit Mehmet Daimagüler gibt es jetzt einen Beauftragten gegen | |
Antiziganismus. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Ansonsten gibt es aber | |
kaum Verbesserungen. Wir müssen jetzt Druck machen, dass die Empfehlungen | |
umgesetzt werden. | |
Haben Sie ein Beispiel für Maßnahmen, die helfen würden? | |
In den Balkanländern hat man gute Erfahrungen mit sogenannten Mediatoren an | |
Schulen gemacht. Eine solche Betreuung verbessert die Bildungschancen für | |
Kinder massiv. In ganz Deutschland gibt es derzeit aber nur ein paar | |
solcher Mediatoren. Wie sollen wir da weiterkommen? | |
Was bedeuten die starken Umfrageergebnisse der AfD für die Rom*nja in | |
Deutschland? | |
Die Community schaut sehr genau auf die Europawahl und die Landtagswahlen | |
dieses Jahr. Wir haben jetzt schon große Probleme mit institutioneller | |
Diskriminierung und Rassismus, das dürfte noch schlimmer werden, sollte es | |
die AfD in Landesregierungen oder gar die Bundesregierung schaffen. Roma | |
fürchten, dass sich die Geschichte wiederholt. Zu viele haben Angehörige, | |
die während des Porajmos von Nazi-Deutschland ermordet wurden. | |
Für eine neue S-Bahn-Strecke will die Bahn am Mahnmal für die im NS | |
ermordeten Roma in Berlin [3][Bäume fällen und Baugruben ausheben …] | |
Auch darum soll es beim Kongress am Wochenende gehen. Das Mahnmal bedeutet | |
uns sehr viel: Es ist einer der wenigen Plätze, an dem an das Schicksal der | |
Roma erinnert wird. Die Pläne der Deutschen Bahn und des Berliner Senats | |
akzeptieren wir nicht. Wir werden das nicht zulassen. | |
Wir haben sehr viel über Probleme geredet. Wie kann der Kongress helfen? | |
Uns geht es um Selbstorganisation und Vernetzung, wir haben aber auch | |
Gespräche mit Politikern von SPD, Grünen und Linken geplant. Auch beim | |
Thema Rechtsextremismus wollen wir in die Tiefe gehen. Und wir wollen über | |
die Umsetzung von Maßnahmen gegen Antiziganismus diskutieren. | |
17 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundesromaverband.de/ | |
[2] /Strukturelle-Benachteiligung-von-Roma/!6000031 | |
[3] /Sinti--und-Roma-Mahnmal-in-Berlin/!6000317 | |
## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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