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# taz.de -- Auszeichnung für Memorial-Mitbegründerin: Unbequemes Gewissen
> Im Regime von Putin ist für die Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa kein
> Platz. Am Freitag erhält die 75-Jährige den Hambacher Freiheitspreis
> 1832.
Bild: Sammelt Preise wie andere Briefmarken: Menschenrechtlerin Irina Scherbako…
Berlin taz | Irina Scherbakowa sammelt Preise wie andere Leute Briefmarken.
Zu so bedeutenden Auszeichnungen wie dem Bundesverdienstkreuz am Bande, dem
Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik sowie dem
Marion-Dönhoff-Preis gesellt sich jetzt noch eine weitere Ehrung: der
Hambacher Freiheitspreis 1832.
Scherbakowa gelte als das Sprachrohr der Freiheitsbewegung in Russland. Als
Kulturwissenschaftlerin bemühe sie sich um Aufarbeitung, Aufklärung und
Aussöhnung, hieß es unter anderem zur Begründung. An diesem Freitag wird
die 75-Jährige den mit 10.000 Euro dotierten Freiheitspreis, der erst zum
zweiten Mal verliehen wird, bei einem Festakt in Neustadt an der Weinstraße
entgegennehmen.
Doch die Freude über die Anerkennung und Wertschätzung ihres unermüdliches
Engagements dürfte sich für die Germanistin, Historikerin und
Menschenrechtlerin bei einem Blick auf die Entwicklungen in ihrer alten
Heimat Russland mit dem einen oder anderen Wermutstropfen vermischen – ein
Land, das, wie schon der russische Lyriker Fjodor Tjutschew im 19.
Jahrhundert wusste, mit dem Verstand nicht zu begreifen sei.
Im Regime von Kremlchef Wladimir Putin ist für Menschen wie Scherbakowa –
Russlands unbequemes Gewissen, so der Titel einer Dokumentation des Senders
Arte – kein Platz mehr, allenfalls noch in einem Straflager.
## Arbeitet sich durch die KGB-Archive
Das war nicht immer so. Vor allem für Geschichtsenthusiast*innen
eröffnen sich in den 90er Jahren – allem Chaos unter Russlands erstem
Präsidenten Boris Jelzin zum Trotz – ungeahnte Möglichkeiten und Freiräume.
Scherbakowa, die vor allem über die Gebiete Oral History, Totalitarismus,
Stalinismus sowie Erinnerungskultur und -politik forscht, arbeitet sich ab
1991 durch die Archive des sowjetischen Geheimdienstes KGB.
Zu diesem Zeitpunkt existiert die Menschenrechtsorganisation Memorial seit
mehr als zwei Jahren, Scherbakowa gehört zu den Mitbegründer*innen. Die
Tochter jüdischer Eltern und ihre Mitstreiter*innen machen sich die
Aufarbeitung der stalinistischen Gewaltherrschaft und staatlicher Willkür
zur Lebensaufgabe – nicht zuletzt, um den Opfern posthum Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen.
Doch dieser hehre Anspruch passt nicht in das offizielle Bild des großen
Russland, dessen glorreiche Geschichte der Kreml nach Belieben um- und neu
schreiben lässt. 2012 wird Memorial als „ausländischer Agent“ eingestuft,
neun Jahre später per Gerichtsbeschluss verboten.
Der Beginn von [1][Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine] am 24.
Februar 2022 ist auch für Scherbakowa, die verheiratet und Mutter einer
Tochter ist, eine tiefe Zäsur. Mit ihrem Mann geht sie zunächst nach Israel
– jedoch nicht aus Angst, [2][wie sie der Neuen Zürcher Zeitung erzählte].
Der Aufenthalt in Israel bleibt, trotz israelischem Pass, nur ein kurzes
Intermezzo. Mittlerweile leben beide hauptsächlich in Deutschland. Hier
erfährt sie [3][2022 auch, dass Memorial mit zwei weiteren Organisationen
den Friedensnobelpreis erhält] – vielleicht zumindest eine kleine
Genugtuung.
Scherbakowa ist häufiger Gast in Talkshows und anderen öffentlichen
Formaten. Ihre Meinung zu Putin ist gefragt. Ein Ende des Ukrainekrieges
sei nicht in Sicht und ein Friede mit Russlands Präsidenten nicht möglich,
sagte sie im vergangenen Oktober in Celle. Ob das auch diejenigen hören,
die, um den Preis, die Ukraine zu opfern, immer noch Verhandlungen mit
Moskau das Wort reden? Diese Illusion dürfte Scherbakowa wohl schon längst
nicht mehr haben
24 May 2024
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] https://www.nzz.ch/feuilleton/kartografie-des-unrechts-die-russische-memori…
[3] /Friedensnobelpreis-fuer-drei-Akteure/!5884277
## AUTOREN
Barbara Oertel
## TAGS
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