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# taz.de -- Haft für Menschenrechtler in Russland: Aufrecht ins Gefängnis
> Oleg Orlow wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Seine Kritik am
> Krieg habe die Armee diskreditiert. Er selbst sagt: „Leider hatte ich
> recht.“
Bild: Wie ein Schwerverbrecher: Oleg Orlow steht wegen eines Textes in einem Gl…
Moskau taz | Noch als die Richterin aus ihrem Urteil liest, klicken die
Handschellen. Bewaffnete Gerichtsdiener bringen Oleg Orlow in den gläsernen
Käfig hinter ihm. Zweieinhalb Jahre Haft lautet das Urteil. Der 70-Jährige
soll mehrfach die russische Armee diskreditiert haben, befindet die
Richterin, da hat die Sitzung im Golowinski-Bezirksgericht im Moskauer
Norden keine zwei Minuten gedauert. „Das Urteil hat gezeigt, dass mein Text
wahr und treffend ist“, sagt Orlow, während er in den Käfig geschoben wird.
Manche Prozessbeobachter*innen im Saal und auch draußen weinen.
[1][Oleg Orlow hatte kurz nach dem russischen Überfall] auf die Ukraine
seine Ausführungen zum Krieg, der in Russland nicht Krieg genannt werden
darf, in der französischen Internetzeitung Mediapart veröffentlicht. „Sie
wollten den Faschismus, sie haben ihn bekommen“, lautete der Titel.
Danach publizierte er diesen auf Russisch auf seinem Facebook-Profil.
„[2][Der blutige Krieg, den das Putin-Regime in der Ukraine] entfesselt
hat, ist nicht nur der Massenmord an Menschen, die Zerstörung der
Infrastruktur, der Wirtschaft und der Kulturgüter dieses wunderbaren
Landes. Er ist nicht nur die Zerstörung der Grundlagen des Völkerrechts. Er
ist auch der schwerste Schlag gegen die Zukunft Russlands“, heißt es da.
„Das System ist vollendet. Nun können sie offen, ohne zu zögern, die Losung
verkünden: ein Volk, ein Imperium, ein Führer! Jede Scham haben sie
abgelegt.“
Es sind Worte eines Aufrechten, der sich seit den 1980er Jahren, noch zu
Zeiten der Sowjetunion, für das Recht eines Menschen einsetzte, Mensch zu
sein. Der in den beiden Tschetschenien-Kriegen Soldaten rettete, der
Verhandlungen mit Geiselnehmern führte, der demonstrativ aus dem
Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten austrat, weil er den Mord an
der russischen Journalistin Anna Politkowskaja vom Staat für nicht genügend
aufgearbeitet wähnte.
## Kritik an Russland als Verbrechen
Orlow war als Beobachter bei Territorialkonflikten im Nordkaukasus,
Armenien, Aserbaidschan, Tadschikistan, in der Republik Moldau, auch im
Donbass aktiv, beobachtete auch Prozesse gegen Andersdenkende in Russland –
und wurde selbst zum politisch Verfolgten.
Nun, mit knapp 71 Jahren, wird der einstige Co-Vorsitzende der
Menschenrechtsorganisation „Memorial“, die im Oktober 2022 mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, zu dem Zeitpunkt in Russland
allerdings bereits verboten war, von 16 Gerichtsdienern samt Schäferhund in
den Gefangenentransporter am Gerichtsgebäude geführt, als sei er ein
Schwerstverbrecher.
Laut Ermittlungen heißt es, [3][Orlow habe eine „reale Gefahr dargestellt,
dass sich in der Gesellschaft eine falsche Meinung] über das Vorgehen der
Armee hätte bilden können“. Alle, die in Russland eine „falsche Meinung“
zur Armee haben und Kritik am Regime äußern, sind in den Augen dieses
Regimes Verbrecher.
Im vergangenen Oktober war der Moskauer vom Golowinski-Bezirksgericht zu
150.000 Rubel Strafe (umgerechnet knapp 1.500 Euro) wegen „Diskreditierung
der russischen Armee“ verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft legte
Berufung ein, warf Orlow vor, sein Text verletze nicht nur die Rechte von
Soldaten, sondern auch jedes russischen Bürgers. Zudem soll Orlow den Text
aus Hass auf die Armee verfasst haben.
## Er geht aufrecht aus dem Gerichtssaal
Mit welchen Sätzen Orlow die Armee diskreditiert haben soll und worin sein
Hass liege, wurde während der zweitägigen Verhandlung nicht deutlich. Sein
Text wurde nicht durchgegangen, es reichte die Überschrift.
Während der Sitzungen las Orlow demonstrativ „Der Prozess“ von Franz Kafka
und sagte in seinem Schlusswort: „Wie soll man das politische System, unter
dem das alles geschieht, auch nennen? Leider hatte ich in meinem Text
recht. [4][Es gibt keine Freiheit in Wissenschaft], Kunst, Privatleben.
Willkür wird als Einhaltung pseudolegaler Verfahren getarnt. Selbst
[5][gegen den toten Nawalny führen die Behörden Krieg]. Kafkas Held erfuhr
nie, was ihm vorgeworfen wurde. Mir hat man den Vorwurf formal mitgeteilt,
ihn zu verstehen ist unmöglich.“
Er reicht seinen Gürtel seiner Frau Tatjana – Gürtel sind verboten in Haft
– und geht, aufrecht. Seine gepackte Tasche hält er in der linken Hand. Das
Bellen des Schäferhunds der Gerichtsdiener hallt durch den Flur.
27 Feb 2024
## LINKS
[1] /Menschenrechtler-in-Russland-vor-Gericht/!5939461
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[3] /Russischer-Aktivist-ueber-seinen-Protest/!5848482
[4] /Menschenrechtsorganisation-Memorial/!5827468
[5] /Russischer-Dissident-Alexei-Nawalny-tot/!5992745
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Memorial
Wladimir Putin
UdSSR
Menschenrechte
Russland
Menschenrechtsaktivistin
Alexei Nawalny
wochentaz
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
Russland
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