| # taz.de -- Ausstellung Kunst und Täuschung: Nicht mal the Sky is the Limit | |
| > Hardcore-Entschleunigung und Frohsinn im Geiste: Die Ausstellung | |
| > „imPossible“ in Baden-Baden geht zu den Urgründen der Bildfindung und | |
| > Kunst. | |
| Bild: Aylin Langreuter: „Bombenentschärfer“ (2016) digital bearbeiteter Ku… | |
| Draußen vor der Tür rattern Kutschen – von Pferden gezogen – über die | |
| Lichtentaler Allee, Kuratmosphäre bei Sonnenschein und Blütenpracht in den | |
| Blumenampeln. Gemächlich zieht das Postkartenleben von Baden-Baden seine | |
| Bahnen. Drinnen, im Foyer des Museums Frieder Burda, noch mehr | |
| Hardcore-Entschleunigung. BesucherInnen begrüßt eine Postkutsche. | |
| Sie gehört zur Ausstellung „imPossible“. In dunkles Grün ist ihre hölzer… | |
| Verkleidung getaucht. „US-Mail. Parcel Post Delivery“ steht auf ihrer Tür. | |
| Geliefert wird nichts. Der Kutschbock fehlt, an seine Stelle ist eine | |
| Camera obscura montiert. Sie zeigt Bilder einer vorbeiziehenden Landschaft, | |
| wie aus dem Fenster der Kutsche aufgenommen, doch die Landschaft steht auf | |
| dem Kopf. Wo einst Fahrgäste saßen, befindet sich nun eine Dunkelkammer, | |
| abgedunkelte Scheiben verhindern, dass man in den Fond hineinsieht. | |
| Entwickelt hat die Kutsche der kanadische [1][Künstler Rodney Graham] als | |
| „Camera Obscura Mobile“. | |
| „imPossible“ suggeriert im Titel: Nicht mal the Sky is the Limit. | |
| Proportionen, Zeiten und Orte werden durch Kunst verschoben und anders | |
| dargestellt. Was in den Gesetzmäßigkeiten von Naturwissenschaft nicht | |
| zweckmäßig erscheint und zu falschen Ergebnissen führt und in der | |
| faktenbasierten Welt der Geschichtswissenschaft per se ausgeschlossen ist, | |
| „imPossible“ erhebt Täuschung als Mittel zum Zweck. Vielleicht als | |
| Reflexion auf Deep Fakes? Zur Abwechslung die scheinbar unspektakulären | |
| Fotografien der ostdeutschen Künstlerin Loretta Lux anzusehen, wirkt | |
| heilsam. | |
| Lux' „The Red Ball“ porträtiert ein Kind, das versucht, einen roten Ball | |
| festzuhalten. Sieht man auf das Muster seines altmodischen Hemds, das | |
| knallige Rot des Gummiballs und die pastose Landschaft mit niedrigem | |
| Horizont im Hintergrund, tauchen Fragen auf: Warum ist die Bewegung auf dem | |
| Porträt fast statisch, wieso klingt der Name „Loretta Lux“ selbst wie ein | |
| altmodischer Kameratyp und weshalb kann man sich minutenlang in ihre am | |
| [2][Computer verfremdete perfekte Fotografie] versenken und entdeckt immer | |
| wieder neue Unebenheiten? | |
| ## Die postapokalyptische Bauruine | |
| Die Medienrealität haut pausenlos Bilder, Töne, Nachrichten raus. | |
| „imPossible“ zeigt Multimedia-Werke, die die Fantasie anregen und den Geist | |
| runterbremsen. Auch das Museumsgebäude spielt da eine Rolle, vor 20 Jahren | |
| erbaut [3][von US-Architekt und Neomodernist Richard Meier]. Vier Säulen | |
| halten den quadratischen Bau zusammen, ganz in Weiß gehalten, durch viele | |
| Fenster lichtdurchlässig. Von oben schaut der Himmel gleichsam der Kunst | |
| zu. Hubert Burda sammelte seit den 1960ern vor allem junge, damals noch | |
| wenig bekannte KünstlerInnen, wie [4][Sigmar Polke]. | |
| Dessen „Verkündigung“ von 1992 ist zentral in der Ausstellung. Mit | |
| Kunstharz und Lack auf synthetischem Stoff und Textil hat Polke eine | |
| [5][klassische Renaissance-Szene nachgestellt]: Sein Engel schwebt zwar, | |
| hat aber keine Flügel, die Hände wirken amputiert. Weder Maria noch der | |
| Engel haben ein Gesicht. Maria kniet in einer postapokalyptischen Bauruine. | |
| „imPossible“ ist als Parcours angelegt, Dialoge entstehen über Bande. An | |
| einer Säule ist „Jakobs Kampf mit dem Engel“, [6][ein kleiner Kupferstich | |
| vom Illustrator des französischen 19. Jahrhunderts, Gustave Doré], | |
| angebracht. Gleich daneben hängt „Bombenentschärfer“ von Aylin Langreuter. | |
| Ihr großformatiger, digital bearbeiteter Kupferstich hat sich in Dorés | |
| Formensprache eingenistet wie eine Kopflaus. Dieser „Bombenentschärfer“ | |
| könnte auch ein DJ sein, oder ein Marsianer. | |
| Die Künstlerin unterrichtet Industriedesign in Stuttgart. In ihrer vertikal | |
| nach oben laufenden Videoprojektion „endless device“, die neben dem | |
| Fahrstuhl zu sehen ist, laufen fiktive Schaltflächen und Lämpchen wie ein | |
| Möbiusband durchs Bild. Mit KI-Software hat Langreuter ein graues | |
| Computer-Gehäuse aus Kunststoff erzeugt, den Aus-Knopf sucht man hier | |
| vergeblich. | |
| Er habe eine Ausstellung kuratiert, „deren Werke etwas enthalten, was über | |
| das Erzählte hinausgeht“, sagt Kurator Alexander Timtschenko der taz. Die | |
| ästhetischen Positionen von „imPossible“ wirken so gar nicht verbissen, | |
| dafür gibt es Humor, oder wenigstens das, was der Kunsttheoretiker Julius | |
| Meier-Graefe vor 100 Jahren als „Frohsinn im Geiste“ bezeichnet hat. Die | |
| Abwesenheit von aktivistischem Rechthaber-Habitus und politisch verbrämten | |
| Ideologiekitsch, wie sonst häufig in der aktuellen Kunst anzutreffen, tut | |
| in Baden-Baden jedenfalls gut. | |
| Transparenzhinweis: Die Reisekosten für die Textrecherchen übernahm zum | |
| Teil das Museum Frieder Burda. | |
| 14 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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