| # taz.de -- Energy Sharing: „Regierung handelt auf EU-Druck“ | |
| > Der Staat muss die Möglichkeit des Energie-Sharings schaffen, damit mehr | |
| > Menschen Erneuerbare nutzen können, fordert Zieher vom Bündnis | |
| > Bürgerenergie. | |
| Bild: Wer kein eigenes Dach besitzt, kann Mitglied einer Energiegenossenschaft … | |
| taz: Herr Zieher, viele Menschen möchten gern mehr für die Energiewende | |
| tun, als einen Ökostromtarif zu buchen. Ihre Organisation, das Bündnis | |
| Bürgerenergie, sagt: 90 Prozent der Haushalte in Deutschland könnten | |
| aktiver Teil der Energiewende werden. Wie kann das gehen? | |
| Malte Zieher: Indem die Bundesregierung in Deutschland das Energy-Sharing | |
| ermöglicht. Heute sind bereits viele Menschen [1][Teil der Energiewende]. | |
| Es gibt [2][mehr als zwei Millionen Anlagen] in Deutschland, die | |
| erneuerbare Energien produzieren, zum Beispiel Solardächer. Im vergangenen | |
| Jahr sind Hunderttausende Balkonkraftwerke dazugekommen. Damit noch mehr | |
| Menschen teilhaben können, fordern wir die Möglichkeit des Energy-Sharings. | |
| Wie würde dieses Energie-Teilen funktionieren? | |
| Menschen, die zum Beispiel kein eigenes Dach zur Verfügung haben, können | |
| sich einer Energiegemeinschaft anschließen. Diese Gemeinschaft erzeugt | |
| gemeinschaftlich Strom und teilt ihn untereinander, zum Beispiel in einer | |
| Energiegenossenschaft. Interessierte zeichnen einen kleinen Anteil, werden | |
| Mitglied, können in der Mitgliederversammlung mitentscheiden und | |
| investieren damit auch in neue Energienanlagen, in Solaranlagen, in | |
| Windparks – und können dann anteilig Strom aus diesen Anlagen beziehen. | |
| Es gibt ja hierzulande bereits viele hundert Energiegenossenschaften. | |
| Ja, Energiegenossenschaften gibt es schon. Allerdings in Form von | |
| Erzeugungsgenossenschaften. Sie erzeugen Strom und speisen ihn ins Netz | |
| ein. Aber die Mitglieder haben nicht die Möglichkeit, diesen Strom zu | |
| verbrauchen. Das sieht das deutsche Recht im Moment nicht vor. Genau das | |
| wollen wir ändern. | |
| Mitglieder von Energiegenossenschaften dürfen den eigenen Strom nicht | |
| verbrauchen? | |
| Es ist nicht verboten. Aber Energiegenossenschaften verlieren den Anspruch | |
| auf die Förderung, wenn sie ihren Grünstrom direkt an die Mitglieder | |
| weitergeben. Das ist das sogenannte Doppelvermarktungsverbot. Deshalb macht | |
| das so gut wie keine Energiegenossenschaft. | |
| Wie sieht die Förderung aus, die auf dem Spiel steht? | |
| Wer eine kleine bis mittlere Erneubare-Energien-Anlage realisiert, bekommt | |
| gesetzlich die Garantie, 20 Jahre lang eine Marktprämie zu erhalten. Die | |
| Betreiber suchen sich einen Direktvermarkter, der den Strom an der Börse | |
| handelt und zu einem bestimmten Preis verkauft. Die Differenz zwischen | |
| diesem Preis und dem gesetzlich garantierten Preis, das ist die | |
| Marktprämie. Darüber haben die Betreiber über 20 Jahre eine | |
| Investitionssicherheit. Wer keine Marktprämie bekommt, bekommt auch keinen | |
| Kredit von der Bank. Denn die Bank lässt sich nicht auf spekulative | |
| Börsenpreise ein, sie will eine garantierte Vergütung. | |
| Energiegenossenschaften sind auf diesen Mechanismus angewiesen, daraus | |
| können sie sich nicht lösen. | |
| Ohne Förderung ist die Finanzierung von Anlagen nicht möglich? | |
| Es gibt am Markt schon Akteure, die ohne Förderung Anlagen betreiben. Das | |
| sind aber in der Regel Großprojekte von Großinvestoren, die nicht auf | |
| Banken angewiesen sind. Bürger-Energiegenossenschaften oder | |
| Energiegemeinschaften mit anderen Rechtsformen können das nicht leisten, | |
| weil dazu Risikokapital nötig wäre. | |
| Gibt es Aussichten, dass ein solches Energy-Sharing bald kommt? | |
| Auf europäischer Ebene ist Bewegung in das Thema gekommen. Durch die | |
| aktualisierte Strommarkt-Richtlinie der EU wird Energy-Sharing neu | |
| definiert. Jetzt ist auch das Bundeswirtschaftsministerium der Meinung, | |
| dass es nicht darum herumkommen wird, Energy-Sharing zu ermöglichen. Die | |
| Richtlinie ist im April vom EU-Parlament verabschiedet worden, sie muss | |
| noch durch den Rat. Dann muss die Bundesrepublik das umsetzen. | |
| Wann geschieht das? | |
| Das Bundeswirtschaftsministerium hat signalisiert, dass es im Juni | |
| Vorschläge zu dieser Umsetzung vorgelegen will. Aus unserer Sicht hätte das | |
| schon viel früher geschehen können. Die Bundesregierung handelt an dieser | |
| Stelle nur auf Druck der EU. | |
| Die Ampel-Regierung muss zum Jagen getragen werden? | |
| Ja. Das Thema bespielen wir schon sehr lange, und wir machen seit vielen | |
| Jahren regelmäßig Vorschläge. Das ist auch der Grund, warum wir seit langem | |
| einen Umweg über die EU gehen und Lobbyarbeit auf EU-Ebene machen. Wir | |
| haben das Gefühl, anders bekommen wir die Bundesregierung gar nicht zum | |
| Handeln. | |
| Gibt es in Deutschland überhaupt genug Projekte, damit Energy-Sharing zu | |
| einem Massenphänomen werden kann? | |
| In den meisten Regionen gibt es Akteure, auch wenn es mancherorts schwierig | |
| ist, im Umkreis von 30 Kilometern ein Projekt zu finden. Dabei gibt es | |
| durchaus unterschiedliche Modelle. Zum Beispiel in Bayern gibt es mehr | |
| Energiegenossenschaften, und in Schleswig-Holstein gibt es mehr GmbHs & Co. | |
| KGs. Die Rechtsformen unterscheiden sich, und sicherlich gibt es in Bayern | |
| mehr Bürgersolaranlagen und im Norden mehr Bürgerwindparks. | |
| Was macht die Bürgerenergie im Unterschied zu anderen Anbietern aus? | |
| Bürgerenergie ist von Konzernen unabhängig. Sie steht für dezentrale | |
| Strukturen und folgt sozialen, ökologischen und auch demokratischen Werten. | |
| Das heißt, dass Menschen partizipativ zusammenkommen und das | |
| Wirtschaftssystem auf kleinere Akteure ausrichten. Und im Fall einer | |
| Genossenschaft bedeutet das auch, dass jeder Mensch eine Stimme hat, das | |
| ist eine urdemokratische Rechtsform. Letztendlich folgt Bürgerenergie der | |
| Idee der Selbstbestimmung und der Selbstwirksamkeit: dass Menschen die | |
| Möglichkeiten, die vor Ort gegeben sind, gemeinschaftlich nutzen können. | |
| Gibt es neben dem fehlenden Energy-Sharing weitere Hindernisse für die | |
| Bürgerenergie? | |
| Bei Großprojekten müssen sich Betreiber die Marktprämie in einem | |
| Ausschreibungsverfahren sichern. Da sind große Unternehmen bevorteilt, denn | |
| wenn sie nicht erfolgreich sind, haben sie weitere Projekte. Eine | |
| Bürgerenergie-Gemeinschaft muss für die Ausschreibung mindestens 100.000 | |
| Euro investieren. Das Risiko, leer auszugehen, ist ein großes Problem. | |
| Deshalb gibt es für die Bürgerenergie die Ausnahme von der Ausschreibung, | |
| aber sehr restriktiv. Eine Bürgerenergie-Gemeinschaft darf nur alle drei | |
| Jahre von der Ausnahme Gebrauch machen. Sie muss danach also drei Jahre | |
| warten, bis es das nächste Projekt beginnen kann. | |
| Das System hat für kleine Gemeinschaften also einen eingebauten | |
| Wachstumshemmer? | |
| Genau. Energiegemeinschaften werden ausgebremst. Dabei sollten Projekte, | |
| die vor Ort mit vielen Menschen einen Wert und professionelle Strukturen | |
| geschaffen haben, unterstützt und weitergetragen werden. | |
| Vor Kurzem haben Bundestag und Bundsrat das Solarpaket I verabschiedet. | |
| Wird das der Bürgerenergie einen Schub geben? | |
| Ja, es gibt unter anderem kleine Verbesserungen bei der Ausnahme der | |
| Bürgerenergie von den Ausschreibungen. Außerdem wird es künftig zum | |
| Beispiel möglich sein, dass Mieter im selben Gebäude gemeinsam eine | |
| Solaranlage nutzen. Das war bislang sehr kompliziert im Rahmen des | |
| Mieterstroms möglich und wird nun einfacher. Die neue Möglichkeit wird im | |
| Gesetz gemeinschaftliche Gebäudeversorgung genannt. | |
| Was ist der Unterschied? | |
| Beim Mieterstrom muss der Betreiber immer einen Versorgungsvertrag mit | |
| einem Energieversorger abschließen, der Strom liefert, wenn vom eigenen | |
| Dach keiner kommt. Das erübrigt sich bei der gemeinschaftlichen | |
| Gebäudeversorgung. Der Betreiber wird von dieser Pflicht befreit. Dadurch | |
| wird viel Bürokratie abgebaut. | |
| Welchen Effekt hat das? | |
| Im Vergleich zu Einfamilienhäusern gibt es bislang kaum Mehrfamilienhäuser | |
| mit Solaranlagen. Das kann nicht so bleiben. Wir brauchen die Energiewende | |
| auch in den Städten, in den urbanen Räumen. Da hilft diese Neuerung | |
| durchaus. | |
| 12 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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