# taz.de -- Fanzine über Jewishness im Punk: Ein Vehikel zur Selbstbehauptung | |
> Das Punkfanzine Ostsaarzorn widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe den | |
> jüdischen Wurzeln der Subkultur. Nach dem 7. Oktober ging es auf Tour. | |
Bild: Auszug aus einer Seite von „Ostsaarzores“, links oben die New Yorker … | |
Weiße ovale Kleckse auf schwarzem Tedi-Geschenkpapier, die Texte | |
ausgedruckt mit einem HP-Laserdrucker, die Seiten des Fanzines geklebt mit | |
Pritt. Der Konsum solcher Do-it-yourself-Medien wird einem nicht leicht | |
gemacht. Und doch entstehen dank solcher und ähnlicher primitiver | |
Hilfsmittel 94 Seiten „linke Handarbeit“. Ursprünglich mit einer Auflage | |
von 500, ist die Sonderausgabe „Punk & Jewishness“ des Redaktionskollektivs | |
Ostsaarzorn (in diesem Fall „Ostsaarzores“) aus Leipzig inzwischen bei | |
1.200 Exemplaren pro Ausgabe. | |
Wer schon mal mit Schere, Papier und Kleber ein Fanmagazin selbst | |
gebastelt und sein Taschengeld dafür im Copyshop um die Ecke verschleudert | |
hat, kennt die Fleißarbeit, die bei solchen Publikationen anfällt. Und doch | |
ist es eine ehrwürdige, aus SciFi- und Punksubkultur stammende Tradition. | |
Wer alte Fanzines im Erwachsenenalter noch mal durchblättert, ist nicht | |
selten von dem idealistischen Starrsinn etwas verwirrt, fremdschämen geht | |
ja nicht. | |
Dann gibt es diese wunderbaren und schlauen Coffeetable-Magazine wie POP | |
und Testcard, die mit fast ähnlichem Charme kultursoziologische Beiträge | |
zur Sub- und Popkultur liefern, doch nicht selten findet sich zwischen all | |
den akademisch-theoretischen Worthülsen statt Sub- doch nur Hochkultur. | |
Anders bei Ostsaarzorn, dem selbsternannten „Fachjournal für Punk“. | |
Begonnen hat alles im tiefsten Saarland, ganz im Westen der Republik. Dort | |
nennt der 35-jährige Tobi Grosz die Alltagstristesse „Ostsaarzorn“, den die | |
Punkband Upfluss – in der Grosz spielt – 2017 auch als gleichnamigen Song | |
herausbringt. Zum zehnjährigen Bandjubiläum entsteht die Nullnummer von | |
Ostsaarzorn als 50-seitige Spaßidee. Mit der zweiten Ausgabe 2021, | |
ausgelöst durch die Langeweile in der Coronapandemie und mehr Freizeit, | |
wird sie zu einem größerem, ernsthaften Projekt. | |
## „Auf große Fahrt in kleingeistige Städte“ | |
Diy-haltungsgerecht produziert das dreiköpfige, weitestgehend anonym | |
agierende Redaktionskollektiv sein Zine ehrenamtlich, neben ihren | |
sozialwissenschaftlichen Berufen. Alle gehen, wie es sich für Punks gehört, | |
einer geregelten Lohnarbeit nach, erkennt Grosz im Interview. Mit dem Zine | |
wollen sie keine monetären Nutzeffekte – jedenfalls nicht für sich selbst �… | |
die Ausgabe ist jeweils gegen eine Spende erhältlich. Und alles, was neben | |
Produktionskosten darüber hinaus reinkommt, wird an Initiativen gespendet, | |
wie zuletzt an Rosa e. V., eine mobile Anlaufstelle für Frauen auf der | |
Flucht. Zine-Arbeit sei mit starkem Idealismus verbunden und eine eigene | |
Art von politischen Engagement, erklärt Grosz. | |
Während Ostsaarzorn generell Dada-inspiriert und vor allem auch satirisch | |
sein möchte, hat sich das Kollektiv bei der Sonderausgabe gegen diese | |
Haltung entschieden: Entstanden durch eine Zusammenarbeit mit dem | |
Oy-Vavoy-Festival 2022 in Trier, einer Veranstaltung zur Prävention und | |
Bekämpfung von Antisemitismus, lag es dem Kollektiv am Herzen, die Ausgabe | |
zeitlos und vor allem seriös zu gestalten, sagt Grosz. Als Resonanz auf den | |
7. Oktober, das Massaker der Hamas in Israel, und den Zuwachs eines | |
globalen Antisemitismus begab sich das Kollektiv für einige Zeit mit dieser | |
Ausgabe „auf große Fahrt in kleingeistige Städte“. Und führte dort jewei… | |
eine „Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte und Gegenwart von | |
Punk in all ihren Facetten und Widersprüchen“, heißt es in einer | |
Ankündigung. | |
Je nach Stadt und Kleingeistigkeit kamen zwischen 20 und 200 | |
Besucher*innen, mal sind es Kollektivkneipen, mal etablierte Kulturorte, wo | |
die aktuelle Ausgabe vorgestellt wird. An Universitäten sehen sie sich | |
trotz ihres beruflichen Hintergrundes mit ihrer Tour nicht, befindet Grosz, | |
sie wollen direkt in die Subkultur hineinwirken. | |
Das gelingt den Macher*innen absolut: [1][„Punk & Jewishness“] nähert | |
sich dem Oberthema mit antizipierenden jüdischen Stimmen und auf | |
verschiedenen Ebenen: die einführende, theoretische, die porträtierende und | |
eben die kritischen Identifikationen von Selbstwirksamkeit, wie ein Text | |
von Dr. Ali bezeugt, der unter anderem über seine Punkjugend und das | |
unreflektierte Tragen eines Palituchs schreibt. Es gibt sie natürlich auch, | |
die Fanzine-typischen subjektiven Texte, wie den von Grosz, in dem anhand | |
[2][der New Yorker Protopunkband Ramones] aufgebröselt wird, wie wichtig | |
Punk als Lebenseinstellung und Haltung auch war, um „ein Vehikel zur | |
proaktiven Selbstbehauptung gegenüber dem noch allgegenwärtigen Horror des | |
Holocaust“ zu bieten. | |
## Zugänglich, ohne zu nischig zu sein | |
Texte werden durch Definitionen, Fußnoten und weitere Informationen | |
begleitet, durch die heterogene Komposition der Autor*innen ist der | |
Ostsaarzorn-Stil weder zu umgangssprachlich noch zu verkopft. Die Mischung | |
aus selbstgemachtem Vergnügen, qualifizierten Abhandlungen und persönlichen | |
Erzählungen ist zugänglich, ohne zu nischig und Fanzine-esk zu sein. | |
Jede Ausgabe folgt einem Open Call, Ostsaarzorn will denjenigen Raum und | |
Stimme geben, die sonst nicht im Mittelpunkt stehen, das sei ihr Beitrag | |
für inklusiv gelebten Punk, führt Grosz aus. Für einen politisch korrekten | |
Maggi-Konsum, Maggi sei das Nationalgewürz des Saarlands, kann Grosz keine | |
Hoffnung geben: Da könne noch keine Alternative das Original von Nestlé | |
ersetzen. | |
29 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Judentum-und-Popkultur-in-den-USA/!5520974 | |
[2] /Ramones-Biographie/!5582859 | |
## AUTOREN | |
Du Pham | |
## TAGS | |
Punk | |
Pop-Kultur | |
Juden | |
Social-Auswahl | |
Punk | |
Judentum | |
Holocaust | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ramones-Biographie: Weitermachen, trotz Konflikten | |
Alle meinen, die Ramones zu kennen. Dass ihre Geschichte voller | |
fürchterlicher Konflikte ist, erzählt Flo Haylers in seinem Buch. | |
Judentum und Popkultur in den USA: Sich das Hakenkreuz aneignen | |
Bob Dylan, Lou Reed und die Beastie Boys: Der Pop in den USA wurde und wird | |
von zahlreichen jüdischen KünstlerInnen geprägt. | |
Boris Luries Holocaust-Collagen: Die Gewalt nach unten verschieben | |
Boris Lurie verarbeitete in drastischen Collagen und Gemälden seine | |
Erfahrungen als Überlebender der deutschen Konzentrationslager. |