# taz.de -- Weltparlament für die Natur: „Müssen den Planeten ins Boot hole… | |
> Die Planetaren Demokrat_innen wollen ein Parlament, in dem die Interessen | |
> des Atlantiks vertreten werden. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Anton | |
> Rüpke. | |
Bild: Besser wäre es natürlich, die Tiere und die Ökosysteme könnten sich d… | |
wochentaz: Herr Rüpke, welche Gesetze würden das Spitzmaulnashorn und die | |
Grüne Meeresschildkröte verabschieden? | |
Anton Rüpke: Und wie würde das Ökosystem Atlantischer Ozean abstimmen? Oder | |
die Kryosphäre, die Regionen des Ewigen Eises? Auch sie wären nämlich in | |
einem Planetaren Parlament vertreten … | |
… und zwar durch Menschen, die sich für die Belange der jeweiligen Entität | |
einsetzen, für die sie im Plenarsaal sitzen. Muss ich schamanistisch begabt | |
sein, um das Amazonas-Delta zu vertreten? | |
Wir Menschen haben einen über Jahrtausende erworbenen Wissensschatz | |
darüber, wann es verschiedenen Lebewesen gut geht und wie wir die | |
Kreisläufe der Natur stabil halten können. Wir haben die Wissenschaft und | |
wir haben indigene Gemeinschaften. Besonders wichtig sind dann noch | |
Einfühlungsvermögen und Integrität. | |
Erklären Sie das bitte mal genauer. | |
Das Beispiel Ecuador zeigt das sehr schön. Dort wurde [1][schon 2008 die | |
Verfassung reformiert] und die Natur zum Rechtssubjekt gemacht. Menschen | |
und Körperschaften können sich dort seitdem an das Gesetz wenden, um die | |
Rechte der Natur einzufordern und zu verteidigen. Auf dieser Grundlage | |
konnten indigene ecuadorianische Gemeinden zum Beispiel im Jahr 2021 die | |
Rechte des Los-Cedros-Nebelwaldes einfordern … | |
… ein Gebiet mit der weltweit höchsten Artenvielfalt im Norden Ecuadors. | |
Die Konzessionen zum Abbau von Edelmetallen in diesem Wald waren schon | |
vergeben – aber da das Recht der Natur in der Verfassung festgeschrieben | |
ist, konnte das oberste Gericht entscheiden, dass Los Cedros unberührt | |
bleiben muss. | |
Nicht nur Ecuador, auch Länder wie Bolivien, Neuseeland, Indien, Uganda und | |
zuletzt Spanien haben Wälder, Flüsse und sogar Reis zu juristischen | |
Personen erklärt. Ist ein Parlament der Natur einfach der nächste logische | |
Schritt? | |
Auf jeden Fall haben diese Urteile sehr dazu beigetragen, dass solche | |
Themen mittlerweile ernsthaft diskutiert werden. An Einrichtungen wie dem | |
[2][Panel on Planetary Thinking] und dem Planet Politics Institute forschen | |
renommierte Wissenschaftler_innen zu Planet-Mensch-Beziehungen und der | |
politischen Repräsentation der Natur. | |
Mal angenommen, Ihre Vision wird Wirklichkeit, und ich würde mich zur Wahl | |
stellen, um das Polarmeer zu vertreten. Wie stelle ich das an? | |
Idealerweise sind Sie eine ausgewiesene Expertin für das Polarmeer. Sie | |
sind vielleicht schon seit vielen Jahren in der Meeresbiologie tätig oder | |
gehören einer indigenen Gruppe an. Eine anerkannte Umweltorganisation | |
könnte Sie dann zur Wahl aufstellen. Im Anschluss würden Sie eine | |
gründliche Schulung durchlaufen und für eine einzige Legislaturperiode die | |
Interessen des Polarmeeres im Planetaren Parlament vertreten. | |
Wer überprüft, ob ich wirklich die Interessen des Polarmeeres vertrete? Der | |
Ozean kann mich schlecht abwählen. | |
Das ist in der Tat heikel. Wir sind noch auf der Suche nach geeigneten | |
Instrumenten, um Machtmissbrauch vorzubeugen. In jedem Fall müssen die | |
Abgeordneten, genau wie im Bundestag, eidesstattlich erklären, nach bestem | |
Wissen und Gewissen zu handeln. | |
Und wenn Abgeordnete sich nicht daran halten? | |
Bei Verstößen können Abgeordnete durch ein Gericht abberufen werden. Wie | |
jetzt schon im Bundestag, auch wenn die Abgeordneten dort zu einer | |
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt werden müssten, damit diese | |
Regelung greift. Die rechtlichen Hürden dafür müssten im Planetaren | |
Parlament niedriger sein als im jetzigen System. Das demokratische Defizit | |
– also der Umstand, dass nur anerkannte Umweltorganisationen die | |
Kandidat_innen vorschlagen können – wird darüber ausgeglichen, dass die | |
andere Hälfte zufällig ausgelost wird. | |
Wie soll das denn bitte gehen? | |
Für die Wahl zum Planetaren Parlament brauchen wir zunächst ein globales | |
Wähler_innenverzeichnis. Daraus werden auch die Personen ausgelost, die das | |
Angebot zur Vertretung bestimmter Naturwesen im Parlament erhalten. So | |
sitzt dann auch eine Kleinbäuerin aus Uganda im Parlament, die es in der | |
heutigen Form der Demokratie niemals dorthin geschafft hätte. | |
Sie haben auch schon Ideen, wofür sich diese Vertreter_innen einsetzen | |
könnten. Zum Beispiel für Zertifikate nicht nur für CO2-Emissionen, sondern | |
auch für Kunststoffe. | |
Wir wollen alles bepreisen, was dem Planeten schadet: zum Beispiel | |
tierische Produkte, Pestizide, Wasserentnahmen und Bodenversiegelung. Die | |
Einnahmen werden dann als Planetengeld in gleicher Höhe an alle Menschen | |
ausgezahlt. Eine Weiterentwicklung des [3][Klimageldes] also, um die | |
Umweltfolgekosten von Produkten und Ressourcen einzupreisen. | |
Und wo tagt das Planetare Parlament? | |
Wir stellen uns vor, dass das Planetare Parlament an die Parlamentarische | |
Versammlung der Vereinten Nationen angegliedert ist. Die Idee eines | |
UN-Parlaments, das die Bürger_innen weltweit vertritt, gibt es seit vielen | |
Jahrzehnten. Wir gehen davon aus, dass es erst ein UN-Parlament geben wird, | |
bevor das Planetare Parlament Wirklichkeit wird. | |
Sie sprechen es selbst an: Es gibt die Vereinten Nationen, es gibt die | |
internationalen Klima- und Biodiversitätskonferenzen. Glauben Sie wirklich, | |
dass ein neues Organ den Wandel bringt? Das Problem ist doch eher, dass | |
alles viel zu langsam geht. | |
Eine große Schwierigkeit ist, dass in diesen Gremien Entscheidungen nach | |
dem Einstimmigkeitsprinzip getroffen werden. Auf der | |
[4][Weltklimakonferenz] zum Beispiel sitzen Vertreter_innen von fast | |
200 souveränen Staaten zusammen, und jede_r davon hat praktisch ein | |
Vetorecht. Aber die planetaren Belastungsgrenzen sind überschritten, rund | |
zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten sind derzeit vom Aussterben bedroht. | |
Die Idee des Weltparlaments für die Natur klingt schön, die Orang-Utans | |
wären sicher dafür. Aber mal Hand aufs Herz: Ist das nicht doch alles ein | |
bisschen realitätsfern? | |
Das klingt erst mal ein bisschen verrückt, aber die Demokratie war schon | |
immer im Wandel. Und wenn man mal genauer hinschaut, ist es im Grunde eine | |
weitere Ausweitung des demos … | |
… das ist griechisch für den Staatskörper, das Wahlvolk. | |
In der attischen Demokratie hatten nur 15 bis 20 Prozent der Einwohner das | |
Wahlrecht. Das wurde dann immer weiter ausgeweitet. Erst auf Männer, die | |
nicht aus Athen stammten, später auch auf Sklaven. Und im letzten | |
Jahrhundert dann auch auf Frauen. Historisch ist das noch ziemlich neu, | |
scheint uns aber wenige Jahre später schon selbstverständlich. | |
Also ist das kein Paradigmenwechsel, sondern ein konsequentes Weiterdenken? | |
Genau. Wer von politischen Entscheidungen betroffen ist, sollte sie auch | |
mitgestalten können. Politik ist die Sphäre, in der Regeln für das | |
Zusammenleben gemacht werden. Wenn wir mit diesem Planeten zusammenleben | |
wollen, müssen wir ihn auch politisch mit ins Boot holen. | |
13 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Natur-hat-Rechte/!5923733 | |
[2] https://www.uni-giessen.de/en/faculties/planetarythinking | |
[3] /Klimageld-fuer-soziale-Gerechtigkeit/!5959656 | |
[4] /Neue-Podcastfolge-Bundestalk/!5980377 | |
## AUTOREN | |
Dunja Batarilo | |
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