# taz.de -- SPD-Entscheidung über neue Landesspitze: Mehr Engagement, Genossen! | |
> Beim SPD-Mitgliederentscheid setzt sich das Duo Hikel/Böcker-Giannini | |
> fast im ersten Wahlgang durch. Bei einem Parteitag hätte das anders | |
> ausgesehen. | |
Bild: Die erste Runde der Mitgliederbefragung zum SPD-Vorsitz gewann überrasch… | |
Die (Vor-)Entscheidung der SPD-Basis über ihre künftige Doppelspitze hat | |
nicht nur Auswirkungen auf die Arbeit der schwarz-roten Koalition. Sie | |
müsste auch die Mitgliedschaft des oft als links eingeordneten Berliner | |
Landesverbands ins Nachdenken bringen. Denn fast jeder und jede Zweite von | |
denen, die jetzt an der ersten Runde der Mitgliederbefragung teilnahmen, | |
hat für das – für SPD-Verhältnisse – konservative [1][Duo aus dem | |
Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Staatssekretärin Nicola | |
Böcker-Giannini] gestimmt. | |
Die Beteiligung war zwar nicht so hoch wie bei der Abstimmung über den | |
schwarz-roten Koalitionsvertrag vor einem Jahr, als fast zwei Drittel ihr | |
Stimmrecht nutzten. Doch auch eine Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent der | |
rund 18.000 Mitglieder lässt einige Rückschlüsse zu. Der wichtigste davon: | |
Die Mitgliedschaft ist weit weniger links orientiert als ihr wichtigstes | |
Gremium, der Landesparteitag, der auch den Landesvorstand wählt. Während | |
anderswo von Rechtsruck die Rede ist, ist der Parteitag mit seinen rund 280 | |
Delegierten in den vergangenen Jahren fortwährend nach links gerückt. | |
Gut abzulesen ist das am Umgang mit dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & | |
Co. enteignen“. 2019 stimmte zuletzt eine Mehrheit der SPD-Delegierten | |
[2][dagegen, großen Wohnungsunternehmen ihre Bestände zu nehmen]. Das | |
gelang aber mutmaßlich nur, weil fast alle führenden Köpfe des | |
Landesverbands um den damaligen Partei- und Regierungschef Michael Müller | |
mit Wucht auf eine Ablehnung drängten. Gefühlt alle Redner unter 40 | |
sprachen sich für eine Enteignung aus. | |
Drei Jahre später, 2022, hatten sich die Verhältnisse schon umgekehrt. Da | |
votierte eine Mehrheit der Delegierten anders als früher nicht bloß für | |
einen Planungsstopp für die Autobahn 100 wie zuvor schon die Grünen und die | |
Linkspartei, [3][sondern sprach sich auch für eine Enteignungsgesetz aus]. | |
Franziska Giffey und Raed Saleh, die seit Ende 2020 eine Doppelspitze | |
bildeten, wurden – ohne Gegenkandidaturen – mit nur 59 und 57 Prozent der | |
Stimmen als Landesvorsitzende wiedergewählt. | |
## Missverhältnis zwischen Basis und Parteitag | |
Eine Partei auf Linkskurs, ganz klar. Dass die Basis mehrheitlich anders | |
tickt, zeigte sich jedoch beim Mitgliederentscheid über die schwarz-rote | |
Koalition im Frühjahr 2023: [4][54,3 Prozent stimmten für das Bündnis mit | |
der CDU]. Als knapp bewerteten das viele – doch bei einem vom linken | |
Parteiflügel dominierten Landesparteitag wäre die Koalition wohl überhaupt | |
nicht durchgekommen. | |
Solch ein Missverhältnis zwischen Grundhaltung der Mitgliedschaft und | |
wichtigstem Gremium kann einer Partei auf Dauer nicht guttun. Wenn sich das | |
ändern soll, darf sich die eher konservativ tickende Basis nicht allein | |
darauf beschränken, regelmäßig den Beitrag vom Konto abbuchen zu lassen. | |
Das heißt nicht zwingend, Ämter und Mandate übernehmen zu müssen – wobei | |
das übliche, auch von Elternabenden an Schulen bekannte „Das sollen mal | |
andere machen“ letztlich nichts als Drücken vor gesellschaftlicher | |
Verantwortung ist. Aber [5][an Versammlungen der Ortsvereine oder | |
Abteilungen teilzunehmen], wäre schon sinnig: Denn die bestimmen, wer als | |
Delegierte zum Kreisparteitag geht, und der wiederum bestimmt die | |
Landesdelegierten, die dann den Vorstand wählen und beispielweise über das | |
Thema Enteignung entscheiden. | |
Solches Engagement wäre auch dem Führungspersonal gegenüber, egal ob links | |
oder konservativ eingestellt, ein faireres Verhalten. Denn wenn die nicht | |
wissen, wer da eigentlich in der Mehrheit die über 18.000-köpfige | |
Mitgliedschaft ausmacht, laufen sie Gefahr, von einer Basisbefragung | |
komplett überrascht zu werden. Das kann viel Vorarbeit zunichtemachen, | |
Vertrauen bei anderen Parteien zerstören. | |
Das muss nicht sein. Ein paar Mal im Jahr zu Parteiveranstaltungen zu | |
gehen, schlimmstenfalls nur zur wichtigsten Versammlung, sollte auch für | |
familiär oder beruflich stark eingespannte Parteimitglieder möglich sein. | |
Letztlich müsste es auch eine Frage der Selbstachtung sein: Will man/frau | |
wirklich bloß Karteileiche sein? | |
27 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Machtkampf-in-der-Berliner-SPD/!6005618 | |
[2] /Volksbegehren-gegen-Deutsche-Wohnen/!5636237 | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-spd-stimmt-fur-a100-planungssto… | |
[4] /Die-SPD-stimmt-fuer-Schwarz-Rot/!5929650 | |
[5] /Dreikampf-um-die-SPD-Spitze/!5994959 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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