# taz.de -- Oldenburg ehrt NS-Journalistin: Der Nazi-Propagandistin geglaubt | |
> Dass Edith Ruß NSDAP-Mitglied war, hat die Stadt Oldenburg aktiv | |
> geleugnet. Gestützt hat sie sich auf die Darstellung der | |
> Museumsstifterin. | |
Bild: Aufmarsch 1933: Oldenburg war eine wichtige Etappe auf dem Weg der Nazis … | |
Die Stifterin des Edith-Russ-Hauses in Oldenburg, einer Galerie für | |
Medienkunst, war entgegen bisheriger offizieller Darstellung | |
NSDAP-Parteimitglied. Dass sie für die Nazis als Propagandistin gearbeitet | |
hatte, war der Stadt schon vor der Einweihung im Jahr 2000 bekannt. Man | |
störte sich daran jedoch nicht. | |
Keine 100 Meter Luftlinie von der neuen Synagoge entfernt und in Sichtweite | |
des Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus wurde das Museum am 22. | |
Januar 2000 feierlich eröffnet. Die Stadt verbreitete jahrelang den Mythos, | |
Ruß hätte sich auch als Redakteurin – NS-Jargon: Schriftleiterin – der | |
Oldenburgischen Staatszeitung, dem offiziellen Verkündungsblatt der NSDAP, | |
ihre Unabhängigkeit bewahrt. | |
Nachdem die taz [1][kriegspropagandistische Zitate von Ruß nachgewiesen | |
hatte], kam aber auch in der Stadtverwaltung der Verdacht auf: Ist die | |
NSDAP-Propagandistin, die zum Heldentod an der Front aufrief und vom | |
germanischen Erbteil der blauäugigen Volksgenossen im Nordseegau schwärmte, | |
vielleicht Nationalsozialistin gewesen? Um das zu klären, wurde in Reaktion | |
auf die Berichterstattung ein historisches Gutachten in Auftrag gegeben. | |
Noch bevor die Arbeit am Gutachten begonnen hat, zeigt sich: Die lange | |
gepflegte Rechtfertigung scheint frei erfunden. So war seitens der Stadt | |
über Jahre betont worden, dass Ruß zwar beim örtlichen NSDAP-Blatt als | |
Leiterin des Kulturteils tätig, jedoch nie Mitglied der Partei gewesen | |
wäre. | |
## Die Stadt hat an der Legende mitgestrickt | |
Eine These, die auch Oberbürgermeister und Kulturdezernent Jürgen Krogmann | |
(SPD) öffentlich im Kulturausschuss wiederholte. Der studierte Historiker | |
erinnerte sich bei der Gelegenheit an persönliche Begegnungen mit der 1993 | |
verstorbenen Nachbarin. | |
Der Oldenburger Lars Schwarz setzt sich [2][für Transparenz in der | |
Kommunalpolitik ein] und hatte Zweifel an dieser offiziellen Version der | |
Stadt: „Die Geschichte kam mir komisch vor.“ Er tat, worauf in Oldenburg | |
bislang anscheinend niemand gekommen war: Er fragte beim Bundesarchiv nach, | |
ob dort etwas über Ruß bekannt ist. | |
Und siehe da: Edith Maria Ruß hatte am 21. November 1940, zehn Monate nach | |
Erreichen der Volljährigkeit, ihre Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt | |
und erhalten. Ab dem 1. Januar 1941 war sie Parteigenossin Nummer | |
8.346.788. | |
Die Stadt hatte sich in ihren Behauptungen jahrelang auf eine von ihr | |
selbst zur Eröffnung des Edith-Russ-Hauses [3][herausgegebene Biografie | |
gestützt], verfasst von der jetzigen Kulturbüroleiterin Paula von Sydow. | |
Diese ist für die Erinnerungskultur Oldenburgs verantwortlich. | |
Darin heißt es, die NSDAP-Propagandistin Ruß habe sich ihre Unabhängigkeit | |
bewahrt und in ihren Artikeln würden alle Bezüge zur | |
nationalsozialistischen Ideologie fehlen. Nie sei sie in die NSDAP | |
eingetreten. Eine Anfrage beim Bundesarchiv, [4][in solchen Fällen | |
Standard,] hätte schon vor 25 Jahren das Gegenteil bewiesen. | |
Ohne weitere Prüfung hielt sich die Stadt jedoch offenbar an Ruß’ eigene | |
Angaben aus ihrem Entnazifizierungsverfahren, bei dem sie als „entlastet“ | |
eingestuft worden war. Sie hatte ihre Mitgliedschaften in Partei und | |
Reichspressekammer sowie ihre Arbeit für den „NS-Gauverlag Schlesien“ | |
wohlweislich verschwiegen. Inzwischen vertreibt die Stadt das Buch nicht | |
mehr. | |
## Oldenburg früh unter NS-Herrschaft | |
Der Landtag des Freistaats Oldenburg war 1932 der erste im Reich, in dem | |
die NSDAP die absolute Mehrheit der Sitze erhalten hatte und folglich die | |
Alleinregierung stellte. Umso erstaunlicher, wie sorglos die Stadt mit der | |
Vergangenheit umgeht. Denn Edith Ruß ist nicht der einzige Fall, in dem | |
Lücken in Oldenburgs offiziellem Gedächtnis zutage treten. | |
So war kürzlich, um bedeutende [5][Frauen der Stadtgeschichte zu würdigen,] | |
eine Reihe von zehn Porträts als 200-Quadratmeter-Wandgemälde in Auftrag | |
gegeben worden. Zwei der so geehrten waren Nazis, eine dritte zumindest | |
Mitläuferin. Auch dass der völkische Antisemit und Nationalsozialist | |
Bernhard Winter noch immer [6][Ehrenbürger der Stadt ist], war erst nach | |
Anfragen der taz aufgefallen. | |
23 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Edith-Russ-Haus-in-Oldenburg/!5994105 | |
[2] https://oldenburg-transparent.de/themen/edith-russ-nsdap/ | |
[3] https://portal.dnb.de/opac/enhancedSearch?index=tit&term=&operator=… | |
[4] https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit… | |
[5] /Nazi-Portraets-auf-Oldenburger-Wandbild/!5990876 | |
[6] /Oldenburgs-Verehrung-von-Nazi-Groessen/!6000905 | |
## AUTOREN | |
Aljoscha Hoepfner | |
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