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# taz.de -- Kungelei um NS-Gutachten: Oldenburg verteilt posthumen Persilschein
> Edith Ruß, einstige Namensgeberin des Oldenburger Kulturhauses, war
> NS-Propagandistin. Eine Historikerin mit Nähe zum SPD-Bürgermeister
> ignoriert das.
Bild: Der Name von Edith Ruß fehlt neuerdings: Haus für Medienkunst
taz | Wo auf dem Ausstellungsgebäude früher der Name der Stifterin prangte,
ist jetzt eine Leerstelle. Das ehemalige „Edith-Russ-Haus“ in Oldenburg
heißt seit wenigen Monaten offiziell „Haus für Medienkunst“. Die taz hatte
im letzten Jahr auf die NS-Vergangenheit der 1993 verstorbenen
Namensgeberin der städtischen Galerie [1][aufmerksam gemacht].
Für den Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann von der SPD war die
anschließende Debatte um ihre Verstrickung im NS-Regime persönlich. Ruß war
in Studienzeiten seine Nachbarin und gute Bekannte. „Eine nette ältere
Dame“, wie er sich in einer Ausschussitzung erinnerte.
Grundlage für die Umbenennung war ein von der Stadt [2][in Auftrag
gegebenes Gutachten]. Es sollte als Reaktion auf die taz-Recherche
„unabhängig“, wie die Stadt betonte, Ruß' Rolle im Nationalsozialismus
aufarbeiten. Den politisch brisanten Auftrag erhielten die
Historiker:innen Mareike Witkowski und Joachim Tautz.
Zumindest an der Unabhängigkeit von Witkowski muss jedoch gezweifelt
werden: Denn neben ihrer Arbeit als Historikerin ist sie Mitglied des
Parteivorstands der SPD Oldenburg und Vorständin des Ortsvereins
Oldenburg-Nord. Die Sitzung zu ihrer [3][Vorstandswahl] im Ortsverein 2022
leitete: Jürgen Krogmann. Hätte die SPD bei der Wahl 2021 besser
abgeschnitten, würde die damalige [4][Listenkandidatin] Witkowski sogar
heute im Stadtrat sitzen.
Aus der NS-Propagandistin wird eine „Mitläuferin“
Den Auftrag hat die Stadt ohne öffentliche Ausschreibung direkt an die
ambitionierte SPD-Genossin und ihren Kollegen vergeben. Rein rechtlich ist
das erlaubt. Dennoch wirft der Vorgang Fragen auf.
Die Verwaltung des SPD-Oberbürgermeisters hat seine Parteifreundin damit
beauftragt, die NS-Vergangenheit seiner ehemaligen Nachbarin und guten
Bekannten zu untersuchen. Herausgekommen ist ein posthumer Persilschein,
laut dem Ruß trotz Tätigkeit als NS-Propagandistin angeblich nur
„Mitläuferin“ gewesen sei.
Zur Erinnerung: Ruß war bis 1945 Feuilleton-Chefin der Oldenburger
NSDAP-Zeitung. In dutzenden Artikeln [5][lobte sie] „die Führung Adolf
Hitlers“, verbreitete Aufrufe zum Völkermord [6][und warb] noch kurz vor
Kriegsende für den „Volkssturm“, wie die taz in früheren Artikeln
[7][ausführlich dargelegt hat].
Ihre Ausführungen zum „germanischen Erbteil“ seien dabei weder
antisemitisch noch rassistisch gewesen, so die Historiker:innen. Und dass
Ruß [8][NSDAP-Mitglied] war, erklären sie schlicht mit „besseren Chancen
auf dem Arbeitsmarkt“. Es gebe „keine Belege“, dass Ruß überzeugte
Nationalsozialistin gewesen sei, so das schräge Urteil von Witkowski.
Diverse belastende Aussagen und Artikel von Ruß unterschlägt das Gutachten,
wie die taz nachweisen konnte.
Angeblich kein Interessenkonflikt
Bestand hier vielleicht ein Interessenkonflikt? „Nein“, erklärt die Stadt
auf Anfrage. Das Amt für Kultur habe den Auftrag allein aufgrund der
Expertise an die Historiker:innen vergeben. Krogmann selbst sei „bei
der Vergabe nicht involviert“ gewesen, versichert die Stadt. Dabei war er
zum Zeitpunkt der Vergabe auch Kulturdezernent und damit Vorgesetzter des
für die Vergabe zuständigen Amts für Kultur.
Um den Filz etwas zu entwirren, stellte die taz vor mehreren Monaten einen
Antrag nach der Informationsfreiheitssatzung der Stadt. Dadurch war die
Verwaltung eigentlich verpflichtet alle Unterlagen, inklusive Mailverkehr,
zum Gutachten offenzulegen.
Zunächst lehnte die Stadt den Antrag mit der Begründung ab, es handle „sich
um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“. Nachdem die taz darlegte, dass es
bei einer Vergabe ohne Wettbewerb keine wettbewerbsrelevanten Geheimnisse
geben kann, änderte sie den Vorwand für die Ablehnung und griff auf einen
juristisch abenteuerlichen Trick zurück.
Sie behauptete nun, dass die taz allein nach der Vergabeakte gefragt hätte.
Da diese per Gesetz einer besonderen Vertraulichkeit unterliege, lehnte sie
letztendlich den gesamten Antrag zum „Schutz öffentlicher Belange“ ab.
Nicht nur hatte die taz ausdrücklich auch nach Informationen außerhalb der
Vergabeakte verlangt. Das [9][Bundesverwaltungsgericht urteilte] in einem
ähnlichen Fall, dass Informationsfreiheitsanfragen auch für Vergabeakten
zulässig sind. Das alles interessierte die Stadt wenig. Der Vorgang ist
bezeichnend für die Oldenburger Intransparenz.
Intransparenz statt Erinnerungskultur
Bis zum letzten Jahr hatte die Stadt Ruß' NSDAP-Mitgliedschaft geleugnet
und behauptet, sie hätte sich ihre „Unabhängigkeit“ im Nationalsozialismus
bewahrt. Dass die Stadt schon seit Jahrzehnten im Besitz von Ruß'
Schriftleiterausweis ist, der ihre NSDAP-Mitgliedschaft belegt, verschweigt
sie noch immer. Und woher Ruß' Millionenvermögen stammt, weiß bis heute
niemand.
Nun inszeniert sich die Stadt mit dem fehlerhaften Gutachten als
Aufklärerin, verhindert aber gleichzeitig eine vollständige Aufarbeitung.
Passend dazu erfolgte die Umbenennung des „Edith-Russ-Hauses“ Anfang des
Jahres nicht etwa, weil Ruß NS-Propagandistin war. Ausschlaggebend war, wie
Krogmann erklärte, der durch die Debatte verursachte „Image-Schaden“ für
die Stadt.
22 Oct 2025
## LINKS
[1] /Edith-Russ-Haus-in-Oldenburg/!5994105
[2] /Oldenburger-Edith-Russ-Haus/!6036688
[3] https://www.spd-oldenburg-nord.de/2022/06/16/vorstandswahl/
[4] https://votemanager.kdo.de/20210912/03403000/praesentation/ergebnis.html?wa…
[5] https://digital.lb-oldenburg.de/lbolrz/periodical/pageview/1988801
[6] https://digital.lb-oldenburg.de/lbolrz/periodical/pageview/1980426
[7] /Stifterin-mit-Nazi-Vergangenheit/!6068393
[8] /Oldenburg-ehrt-NS-Journalistin/!6006503
[9] https://www.bverwg.de/151220U10C24.19.0
## AUTOREN
Aljoscha Hoepfner
## TAGS
Oldenburg
Deutsche Kultur
NSDAP
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Vergangenheitsbewältigung
Nazi-Propaganda
Oldenburg
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