| # taz.de -- Produktionsbedingungen: Der Künstler als Küchenheld | |
| > Eine Oldenburger Retrospektive des israelischen Medienkünstlers Guy | |
| > Ben-Ner dokumentiert die Entstehung der Kunst aus dem Geist der Familie. | |
| > Musste zuerst die heimische Küche als Filmstudio herhalten, war später | |
| > Geld kein Problem mehr. | |
| Bild: Bruchlandung mit Anlauf: "If only it was as easy to banish hunger by rubb… | |
| Der Künstler als Hausmann hat es schwer. Da hat er lauthals verkündet, | |
| daheim zu bleiben und sich um die Kinder kümmern zu wollen. Und nun sitzt | |
| er da und die Ideen und Pläne und Einfälle und vor allem Visionen kommen | |
| und verschwinden alsbald wieder, allein schon aufgrund der nun mangelnden | |
| Möglichkeit, sie unverzüglich dank eines klar strukturierenden | |
| Arbeitsprozesses oder mittels eines schöpferischen Rausches umzusetzen - | |
| daheim kommt einem schließlich immer etwas dazwischen, und sei es der Müll, | |
| der überläuft. | |
| Doch gibt es schließlich die Möglichkeit zu nehmen, was vor Ort ist und | |
| gerade dank der Reduktion der Mittel sein Künstlersein zu behaupten - etwa | |
| indem man in der eigenen Küche filmt und inszeniert und so ein Kunstwerk | |
| erschafft. "Berkeley's Islands" als Adaption des Robinson Crusoe-Stoffes | |
| und "Moby Dick" nach dem Roman von Herman Melville sind zwei solche frühe | |
| Arbeiten von Guy Ben-Ner, gefilmt in der eigenen Küche mit dem | |
| Spülenschrank als Kajüte und im bewussten home-made-Style gehalten, während | |
| seine Frau draußen die Brötchen verdiente. | |
| Guy Ben-Ners Arbeiten, derzeit im Edith Ruß Haus für Medienkunst in | |
| Oldenburg zu sehen, sind Reflektionen über den Künstler als großes Kind, | |
| der sich nach großen Vorbildern eine ihm nun wieder vertraute Welt | |
| erschafft und der es nicht mag, wenn (s)ein echtes Kind des Weges kommt und | |
| mit an der Insel bauen will, die nun ein Sandhaufen in der Küche ist und | |
| nicht mehr jener sagenumwobene Flecken, auf dem Robinson Crusoe die | |
| Zivilisation gegen die Natur verteidigte. Zugleich zeigen sie die Fallhöhe | |
| und den Werdegang eines der wichtigsten Vertreter der jungen und emsigen | |
| israelischen Medienszene. | |
| Die Familie und was sie zusammenhält, wie auch das, was sie | |
| auseinanderbringt, ist das Thema in Guy Ben-Ners vielleicht bekanntester | |
| Arbeit "Stealing Beauty", die gleichfalls in Oldenburg zu sehen ist und die | |
| besonders dieser Tage für weitere Aufmerksamkeit sorgen dürfte. Begibt sie | |
| sich doch auf ein Feld, dass derzeit im Fokus einer breiten kulturell | |
| interessierten Öffentlichkeit steht: Ikea. Gefilmt hat Guy Ben-Ner in sechs | |
| verschiedenen Ikea-Märkten in Berlin, New Jersey und Tel Aviv eine Art | |
| Sitcom mit Vater, Mutter, Tochter und Sohn - und hat dabei auf sich selbst, | |
| seine Frau und die beiden Kinder zurück gegriffen. | |
| Gleich ist in allen Märkten die unbedingte Bereitschaft der Kunden, darüber | |
| hinwegzusehen, dass da ein Ehepaar im Bett liegt, sich einer in die | |
| Duschkabine stellt oder eine Familie zum Frühstücken am Esstisch sitzt. | |
| Doch die Arbeit ist weit mehr als nur eine vordergründige Kritik, dass ein | |
| Konzern wie Ikea mittels seines universellen Sortiments unser Wohnen und | |
| damit Leben globalisiert (was im Detail zu überprüfen wäre). Vielmehr nimmt | |
| Ben-Ner Ikea exemplarisch als ein Feld, in dem die Erwachsenen umgeben von | |
| Preisschilder und noch eben unbenutztem Mobiliar immer aggressiver | |
| verkünden, dass nur Geld und Eigentum glücklich macht und sie als | |
| Erwachsene Recht haben, weil sie Erwachsene sind: Gäbe es Ikea nicht, sie | |
| würden es sofort erfinden. | |
| Zunächst recht verrätselt kommt Ben-Ners neuere Arbeit "If only it was as | |
| easy to banish hunger by rubbing the belly as it is to masturbate" daher, | |
| die in Oldenburg viel Platz braucht und auch bekommt: eine Auftragsarbeit | |
| für das Museum für Zeitgenössische Kunst Massachusetts (MMoCA), mit dessen | |
| Museumsdirektor Joe Thompson als Piloten, hat dieser doch (zufällig?) einen | |
| Pilotenschein. Und so brausen die beiden Männer als Künstler und | |
| Museumsleiter, als Copilot und Pilot vor unseren Augen durch die Lüfte, | |
| umgarnen und konfrontieren einander mit einem Zitatenmix aus "Don Quixote", | |
| "Alice im Wunderland" über "Warten auf Godot" und "In 80 Tagen um die Welt" | |
| bis hin zu "Pu der Bär", deren Textstücke um Fragen kreisen wie: Wer ist | |
| der Diener, wer ist der Herr? Wer ist der Erschaffer und wer damit | |
| nachfolgend der Kommentator? Und wer ist am Ende (dann doch) der Klügere? | |
| Nur dass ihr Flugzeug abstürzt, sie in eine Limousine wechseln, die gegen | |
| einen Baum gesetzt wird, weshalb ein Tandem bereitsteht, bei dem der | |
| Museumschef vorne sitzt und der Künstler hinten. Was auch immer in der Welt | |
| ihnen zustoßen mag, nichts soll ihren Weg der fortlaufenden Reflektion | |
| aufhalten, auch wenn am Ende auf beide die Sackgasse wartet. | |
| Gefilmt ist all das nun im HD-Format, brillante, scharf gestochene Bilder | |
| überfluten die Leinwand, alles ist bestens ausgeleuchtet, wie überhaupt | |
| diese Arbeit formal wie inhaltlich zeigt, dass Geld diesmal kein Problem | |
| gewesen sein kann; dass aus dem Küchenkünstler am Ende also doch eine | |
| respektable Person geworden ist, die über Mittel und Möglichkeiten souverän | |
| verfügt. Da passt es, dass ihr zum Ende hin ein Bündel Papiere vom Himmel | |
| her in die Hände fällt. "Oh, meine Scheidungsunterlagen!", ruft der aus, | |
| der mal Guy Ben-Ner ist und mal den Guy Ben-Ner spielt. Dann geht es weiter | |
| im Text. | |
| 18 Dec 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Frank Keil | |
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| Oldenburg | |
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