| # taz.de -- Polnische Medienkunst in Oldenburg: Die Kunst des Kaputten | |
| > Soziologisch anmutende Recherchen, entwickelt mit den Betroffenen: Das | |
| > Edith-Russ-Haus zeigt Arbeiten der Video- und Fotokünstlerin Karolina | |
| > Bregula. | |
| Bild: Noch ist nichts zu sehen von all dem geplanten Neuen: „Demolition Debri… | |
| Eine Fischerin verwandelt sich in ein Meereswesen. Eines Tages springt sie | |
| von Bord ihres kleinen Kutters in die See, taucht unter und kommt nicht | |
| wieder an die Oberfläche. Solche Geschichten beginnen für gewöhnlich mit | |
| Worten wie „Es war einmal …“, aber das Video „The Fish“ von [1][Karol… | |
| Bregula] ist ganz im Hier und Jetzt verortet. Märchenhaft ist auch | |
| allenfalls sein Ende: Der Rest des 27 Minuten langen Films zeigt die | |
| schwedische Fischerin Mahjula Gulliksson und ihren Ehemann Stefan Nordin | |
| dabei, wie sie immer weniger Fische in ihren Netzen finden – eine Folge der | |
| Überfischung. | |
| Erfunden, oder sagen wir: mythologisch überhöht ist nur der Schluss, in dem | |
| Mahjula Gulliksson tatsächlich ins augenscheinlich ziemlich kalte Wasser | |
| springt und verschwindet. Der kurze Film fußt auf den tatsächlichen | |
| Erfahrungen der Fischerin: Künstlerin Bregula hat ihn zusammen mit den | |
| beiden Protagonist:innen gestaltet; im Grunde weist er mehr | |
| dokumentarische als fiktive Elemente auf. | |
| „The Fish“ ist eine von zwei Arbeiten, die im Auftrag des [2][Oldenburger | |
| Hauses für Medienkunst] entstanden sind. Im vergangenen Jahr erhielt | |
| Bregula dort ein Stipendium der Stiftung Niedersachsen. Präsentiert werden | |
| die beiden 2024 abgeschlossenen Kunstwerke nun in der Ausstellung „The | |
| Waves Are Rubling so Loud“. Den Fischerinnen-Film präsentiert man in einem | |
| kleinen Kasten, in dem das Publikum ihn mittels Monitor und Kopfhörern | |
| sehen und hören kann. Weiterhin hängen im Ausstellungsraum einige | |
| Fotografien und Texte von Bregula an den Wänden. | |
| ## Dokumentarisches trifft auf Fiktionales | |
| Beherrscht wird er aber eindeutig von ihrer Videoinstallation „The Storm“: | |
| Zu sehen auf fünf Bildschirmen, erzählen da fünf irische | |
| Küstenbewohner:innen davon, welche Zerstörung ein gewaltiger Sturm | |
| auf einer kleinen Insel anrichtet. Die Katastrophe selbst wird nicht | |
| gezeigt, es gibt nur diese fünf Gesichter, diese fünf Stimmen. Und fünf | |
| Erzählungen, die nicht ganz deckungsgleich sind, sodass sie die | |
| Betrachtenden nicht sicher sein können, was denn nun tatsächlich passiert | |
| ist. | |
| Auch in „The Storm“ vermischt Bregula Dokumentarisches mit Fiktivem. Die | |
| fünf gezeigten Personen sind Künstler*innen aus dem Ort Buncrana an der | |
| irischen Nordwestküste, die Bregula bei Recherchen kennenlernte. Zusammen | |
| entwickelten sie die Videoarbeit, und so lässt sie auch hier ganz reales | |
| Lebensgefühl dieser Menschen in die Arbeit einfließen, ihre Ängste und | |
| Fantasien. | |
| Dabei ist und bleibt die Künstlerin natürlich stets die „Autorin“ ihres | |
| Werks, bestimmt etwa die genaue Form so einer Arbeit. Inhaltlich aber | |
| scheint sie den Gezeigten Vortritt zu gewähren: Sie setzt sie ins Bild, | |
| bleibt aber selbst unsichtbar. Auf ihren Reisen – hier also an nordische | |
| Küsten, davor für einige Jahre in Taiwan – spürt sie zunächst | |
| gesellschaftliche und ökologische Konflikte auf. Zusammen mit den | |
| Betroffenen, auch Künstler*innen vor Ort, erarbeitet sie dann, wie | |
| daraus Kunst werden kann. | |
| Die besteht bei der 1979 geborenen Polin nicht nur in Videos und | |
| Videoinstallationen: Bregula fotografiert auch, etwa überschwemmte oder | |
| halb abgerissene Häuser; verfertigt Kunst-Objekte, unter anderem schon aus | |
| Abfällen, die in Galerien und Ausstellungen gesammelt wurden; zusammen | |
| [3][mit Gentrifizierungs-Leidtragenden in Taipeh hat sie ein Buch | |
| verfasst]. | |
| Etliche dieser früheren Arbeiten zeigt das Oldenburger Medienkunst-Haus in | |
| einem zweiten Raum. Hier zeigt sich, wie originell Bregula ihre | |
| soziologisch, auch anthropologisch wirkenden Recherchen in künstlerisch | |
| zugleich einfache und hochkomplexe Ergebnisse übersetzen kann. | |
| ## Am Ende ist der Kampf verloren | |
| Nehmen wir die [4][4-Kanal-Videoinstallation „Dust“] aus dem Jahr 2019: | |
| Darin sind zwei Frauen zu sehen, die in der Gemeinde Daguan bei Taipeh | |
| leben, die Schritt für Schritt abgerissen wird. Als einzige sind sie in | |
| ihrer Wohnung geblieben, während rund um sie herum schon Bulldozer die | |
| leerstehenden Wohnhäuser einreißen. Der Lärm und der Staub in der Luft – | |
| daher der Titel – machen das Leben zu einer Tortur, doch zusammen mit | |
| einigen Nachbar*innen kämpfen die beiden gegen ihre Zwangsräumung. In | |
| dem Raum hört man ständig den Lärm der Abrissarbeiten – auch das ist ein | |
| enervierendes und gerade deswegen sehr wirkungsvolles Stilmittel. | |
| Die bittere Pointe der Geschichte erzählt Bregula in einer kleinen | |
| Fotografie an der Wand: „Daguan“ zeigt ein unbebautes Feld – an dem Ort, … | |
| einst die Häuser standen. Im Jahr 2019, drei Monate nach den Dreharbeiten | |
| von „Dust“, waren alle Bewohner*innen endgültig vertrieben worden. Die | |
| Arbeiten an den dort geplanten Neubauten aber haben bis heute nicht | |
| begonnen. | |
| 22 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://karolinabregula.com/ | |
| [2] https://www.edith-russ-haus.de/ | |
| [3] https://karolinabregula.com/portfolio/excercises_in_losing_control/ | |
| [4] https://karolinabregula.com/portfolio/dust/ | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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