# taz.de -- Edith-Russ-Haus in Oldenburg: Braune Wurzeln | |
> Die Namensgeberin des Edith-Russ-Hauses für Medienkunst war fanatische | |
> Nationalsozialistin. Die Stadt verharmlost das, so gut sie kann. | |
Bild: Seit November wird Edith Ruß (Mitte) auf einem öffentlich geförderten … | |
Seit 2000 steht in Oldenburg das städtische Edith-Russ-Haus für | |
Medienkunst. Die Galerie ist ein fester Bestandteil der Oldenburger | |
Kulturlandschaft und [1][ein Prestigeprojekt der Stadt]. Es lockt | |
Künstler*innen aus Indien, Nigeria, Vietnam oder Australien, die sonst | |
auf internationalen Festivals wie Venedigs Biennale ausstellen, in den | |
Nordwesten Niedersachsens. | |
Das Geld für den Bau stammt aus dem zwei Millionen Mark schweren Nachlass | |
der 1993 verstorbenen Lehrerin Edith Ruß – das entspräche heute, | |
inflationsbereinigt, rund 1,9 Millionen Euro. Sie behauptete ihr Leben | |
lang, sich das enorme Vermögen von ihrem Gehalt angespart zu haben. | |
Rechnerisch ist das eigentlich nicht möglich. Das weiß die Stadt auch | |
damals schon, nimmt das Geld aber trotzdem gern und stört sich nicht an der | |
Vergangenheit der Stifterin. Aus gutem Grund: Die 1919 geborene Ruß war | |
fanatische Nationalsozialistin. [2][Von 1943 bis 1945] fungierte sie als | |
Feuilleton-Chefin der Oldenburgischen Staatszeitung, also dem | |
„Verkündungsblatt des Reichsstatthalters, der Oldenburgischen | |
Staatsregierung, der NSDAP und DAF [Deutsche Arbeitsfront]“. Dort | |
verbreitete sie ihre Ansichten zu „Volk“, „Vaterland“ und „deutscher | |
Kunst“. | |
Der „Heldentod“ an der Front ist laut Ruß „die Erfüllung eines | |
Menschenlebens“ und eine „heilige Sache“, die niemals zu früh kommen kan… | |
An Weihnachten 1944 lässt sie den Blick schweifen „zu allem was deutschen | |
Blutes ist auf dieser Welt“ und schon kommt sie „die Gewißheit an, daß | |
alles, was wir erlitten haben und noch durchstehen müssen, ehe der Sieg | |
unser ist, ein Wille der Vorsehung“ sei und „daß wir aus solcher Prüfung | |
rein stark und groß hervorgehen müssen“: Der Endsieg ist unvermeidlich. Es | |
sei die Pflicht jedes „Volksgenossen“, dem „Volksganzen“ zu dienen, hei… | |
es an anderer Stelle. Der Krieg sei auch ein „Kampf für die Kultur der | |
Menschheit“, verkündet sie: „Die deutsche Kunst auch im Kriege voran!“ R… | |
ist von der NS-Kulturpolitik begeistert: „Wir sind in unserm Gau nun so | |
weit, daß jeder Volksgenosse […] eingespannt ist in den Kulturwillen | |
unserer Zeit.“ | |
## Fan von NS-Künstlern | |
Selbstverständlich ist sie Fan von NS-Künstlern wie Arno Breker. Der | |
Bildhauer und Architekt ist in seiner Funktion als Reichskultursenator | |
direkt dem Propagandaminister Joseph Goebbels unterstellt und führt auf der | |
„Gottbegnadeten Liste“, dem offiziellen, von Adolf Hitler abgesegneten | |
Ranking der für die Propaganda unabkömmlichen „Kulturschaffenden“ die | |
Sparte der bildenden Künstler an. Ruß schwärmt davon, dass Brekers Werk den | |
„Willen des Reiches“ verkörpere und die Überlegenheit des NS-Regimes | |
gegenüber dem Ausland beweise. Daneben haben es ihr Dichter, die „den | |
Glauben an das Reich“ verbreiten, besonders angetan. Einigen ihrer Artikel | |
hat Ruß passende Zitate „unseres Dr. Goebbels“ beigefügt, wie sie ihn | |
liebevoll nennt. | |
Auf der Website des Edith-Russ-Hauses fehlt jeglicher Hinweis auf die | |
NS-Karriere der Namensgeberin. In einem Lebenslauf auf der Internet-Seite | |
der Stadt verheimlicht sie sogar Ruß’ Mitarbeit beim NSDAP-Blatt. Ein | |
Versehen kann das kaum sein. | |
Auch auf einem öffentlich geförderten Wandgemälde wird Ruß in Oldenburg | |
seit November als Vorbild gewürdigt. Zusammen mit der von „Riemanns | |
Sängerlexikon“ 1940 als „bedeutendste deutsche hochdramatische Sopranistin | |
ihrer Epoche“ [3][gefeierten Erna Schlüter] und gleich neben der Malerin | |
Emma Ritter, deren Rolle im NS-Regime nach jüngerer Forschung | |
[4][zweifelhaft geblieben ist], prangt auch ein Porträt der | |
Nazi-Journalistin unter der Autobahnbrücke im Stadtteil Wechloy. Dabei weiß | |
die Stadt bestens über Ruß’ Vergangenheit Bescheid. Sie hat schon zur | |
Eröffnung des Edith-Russ-Hauses im Jahr 2000 eine kurze Biografie der | |
Namensgeberin herausgegeben, die auch ihre Arbeit beim NSDAP-Blatt | |
thematisiert hatte. | |
Entgegen der eindeutigen Faktenlage wird im Buch behauptet, Ruß hätte, bis | |
auf eine einzige Ausnahme, keine Artikel mit Bezügen zu | |
nationalsozialistischer Ideologie geschrieben. Auch dass Ruß als sogenannte | |
„Schriftleiterin“ einen Gesinnungstest bestehen musste, liest man nicht. | |
Sie war gemäß „Schriftleitergesetz“ Mitglied der Reichskulturkammer und | |
verpflichtete sich, „die Kraft des Deutschen Reiches“, dessen | |
„Wehrhaftigkeit“ und „den Gemeinschaftswillen des deutschen Volkes“ zu | |
stützen. | |
## Kultur des Nicht-Erinnerns | |
Die Herausgeberin dieser Biografie, Paula von Sydow, behauptet, Ruß habe | |
sich ihre „Unabhängigkeit“ im Nationalsozialismus bewahrt. Sie hätte in | |
späteren Jahren „eine konsequent ablehnende Haltung dem Nationalsozialismus | |
gegenüber gehabt“. Belege dafür führt sie keine an. Zudem sei die spätere | |
Lehrerin Journalistin und nicht Propagandistin gewesen – eine unter | |
Bedingungen der gleichgeschalteten Presse und angesichts ihrer leitenden | |
Funktion bei der Staatszeitung eine unhaltbare Unterscheidung. Paula von | |
Sydow leitet das Oldenburger Kulturbüro und ist in dieser Funktion für die | |
Erinnerungskultur der Stadt zuständig. Über die Erinnerung an Ruß redet sie | |
nicht gern. | |
Öffentliche Verwaltung [5][ist nach dem Niedersächsischem Pressegesetz zur | |
Auskunft verpflichtet]. Seit Anfang Februar wurde die Stadt Oldenburg | |
vergeblich zur Stellungnahme im Fall Ruß aufgefordert. Ein direktes | |
Gespräch zu diesem Thema hatte von Sydow zunächst verweigert, dann aber die | |
auf Verlangen per E-Mail vorgelegten Fragen nicht beantworten wollen. Als | |
sie schließlich doch in ein Interview in ihrem Büro einwilligt, verbietet | |
sie eine Aufzeichnung. Die ihr bei dieser Gelegenheit vorgelegten Zitate | |
aus Ruß’ Artikeln für die Oldenburger Staatszeitung lässt sie | |
unkommentiert. Allen Zitaten aus der Mitschrift des halbstündigen Gesprächs | |
verweigert sie später die Autorisierung. Die eingeräumte Gelegenheit für | |
eine schriftliche Stellungnahme nutzt sie nicht. | |
Auch die Leitung des Edith-Russ-Hauses sieht kein großes Problem. Auf | |
schriftliche Anfrage erklärt sie, Ruß sei eine „unbedeutende Mitläuferin“ | |
gewesen. Ihre Artikel wären „meist einfach unterhaltend“ und nur manchmal | |
„heroisierend“ gewesen. Nirgends fänden sich bei ihr „auch nur | |
antisemitisch[e] Untertöne“, behauptet die Leitung des [6][Museums für | |
Medienkunst]. Zum Handeln sehe man keinen Anlass. | |
Oldenburg war 1932 der erste Teil des Reiches mit einer absoluten Mehrheit | |
der Nationalsozialisten. Die Stadt trägt eine besondere Verantwortung. Im | |
kommenden Jahr bietet sich eine besondere Gelegenheit dazu: Dann feiert das | |
Edith-Russ-Haus sein [7][25-jähriges Bestehen]. | |
29 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Videokunst-ueber-Tod-in-Polizeigewahrsam/!5756957 | |
[2] https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/M2GOEZCSJGKWOQA7VKZGCEFUTS… | |
[3] https://potzblitzchen.de/erna-schlueter-eine-unpolitische-nationalsozialist… | |
[4] https://www.oldenburger-onlinezeitung.de/oldenburg/vortragsreihe-zu-umstrit… | |
[5] https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/806f8358-b74e-3bbe-a2… | |
[6] https://www.edith-russ-haus.de/ | |
[7] /Archiv-Suche/!1251440&s=Edith+Ru%C3%9F+haus&SuchRahmen=Print/ | |
## AUTOREN | |
Aljoscha Hoepfner | |
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