# taz.de -- Videokunst über Tod in Polizeigewahrsam: Ein Mensch brennt | |
> Im Oldenburger Edith-Russ-Haus untersucht der Videokünstler Mario Pfeifer | |
> grauenhafte Todesfälle. Vom Einzelfall kommt er subtil auf die | |
> Gesellschaft. | |
Bild: Nur ein verbranntes Stück Plastik, oder das Zeugnis einer kaputten Gesel… | |
Es sind kalte Flammen, die da im Edith-Russ-Haus züngeln. Wie ein Gasofen | |
wirft ein kleiner Ausstellungsraum im Untergeschoss des Oldenburger Hauses | |
für Medienkunst flackerndes Licht auf den Flur, das unruhig macht, noch | |
bevor man drinsteht in der Arbeit „Zelle 5 – 800° Celsius“. Es ist nur e… | |
Stück Plastik, das da auf der Leinwand brennt, und ein Fitzel Metall – kein | |
Mensch jedenfalls. | |
Dass einem trotzdem unweigerlich Gedanken ans Krematorium durch den Kopf | |
spuken, dürfte daran liegen, dass in der echten Zelle Nummer fünf vor ein | |
paar Jahren tatsächlich ein Mensch verbrannt ist. Oury Jalloh nämlich, | |
während er auf einem Polizeirevier gefesselt auf dem Boden lag. Und dann | |
wird man wütend, traurig, hilflos. Und ja: Man hasst auch. | |
Wie fast immer, wenn ein Mensch stirbt, geht fürs Erste auch das | |
analytische Denken in die Knie. Natürlich geht es bei diesem Fall um | |
strukturellen Rassismus, um institutionelle Schwierigkeiten bei der | |
Polizei, um Rechtsextremismus. Aber dieser Tod, festgeschnürt auf einer | |
Liege, mit Benzin übergossen und angezündet – das sperrt sich vor der | |
Analyse. Das ist eine Konfrontation mit dem Urbösen, auch wenn man an so | |
was nicht glaubt. | |
Mario Pfeifers [1][Ausstellung in Oldenburg] holt das an die Oberfläche, | |
obwohl sie mit keinem Wort davon spricht. Schon der Titel ist streng | |
sachlich:„Negotiating the Law“ heißt die Schau, also: „Das Recht | |
verhandeln“. Das klingt erst nach einer Selbstverständlichkeit, ist dann | |
aber doch wenigstens eine kleine Provokation: weil vor Gericht ja erstens | |
nicht das Recht selbst zur Verhandlung steht – und weil über die | |
Todesfälle, um die es in der Ausstellung geht, zweitens meist nur sehr kurz | |
prozessiert wurde. | |
## Vom Beweisstück zur Requisite | |
Aber zurück zu „Zelle 5“: [2][Videokünstler Mario Pfeifer] hat einen Raum | |
gestaltet, der von einer Videoleinwand dominiert wird. Glasklare, | |
hochaufgelöste Bilder zeigen einen technischen Vorgang in steriler | |
Atmosphäre: Ein präpariertes Einwegfeuerzeug wird angezündet und schmilzt | |
dann rauchend vor sich hin. | |
Ein Feuerzeug wie dieses hier ist das zentrale Beweismittel der | |
polizeilichen Erzählung von [3][Oury Jallohs Ableben]: Er soll mit | |
gefesselten Händen ein bei der Durchsuchung nicht entdecktes Feuerzeug aus | |
der Tasche gezogen haben, den brandhemmenden Überzug seiner Matratze | |
aufgepult und sie und sich schließlich in Brand gesetzt haben. Das | |
Feuerzeug selbst ist ein paar Tage später aufgetaucht, mit ein paar | |
Tierhaaren dran, dafür aber ohne Jallohs DNA oder sonst irgendwas aus der | |
Zelle. | |
Was das Kunstwerk vorführt, ist die Herstellung eines solchen | |
Beweismittels. Die Bilder in Großaufnahme und der präzise Aufbau des | |
Experiments behaupten Objektivität, ohne sie wirklich zu liefern. Überhaupt | |
wird die Frage mit jeder Minute drängender, ob wir uns nicht doch an einem | |
Nebenschauplatz verrennen. Und darüber passiert es dann, dass dieses per | |
Definition auf Fakten verweisende Beweisstück zum Requisit verkommt, zu | |
einem Hilfsmittel für eine Erzählung. „Was ist dieses Beweisstück überhau… | |
wert?“, heißt es aus dem Off, und die Antwort liegt da längst auf dem | |
Tisch. | |
Mario Pfeifers Arbeit ist nicht abgeschlossen, bereits hier in der | |
Oldenburger Ausstellung wird sie flankiert durch forensische Untersuchungen | |
des Feuerzeugs im Nebenraum sowie die Dokumentation der „Initiative Oury | |
Jalloh“, die seit Jahren auf eigene Faust die Aufklärung des mutmaßlichen | |
Mordes einfordert. Zwei weitere Akte stehen noch aus, weil das Filmprojekt | |
unter Coronabedingungen nicht rechtzeitig fertig wurde. Später im Jahr | |
folgen noch eine Liveperformance, die dem theatralen Charakter des | |
Gerichtsverfahrens nachgeht und weitere Videos, die den Brand in der Zelle | |
rekonstruieren. | |
Die Arbeit von Ermittlungsbehörden ins Feld der Kunst zu überführen, ist | |
nicht neu. Die Gruppe Forensic Architecture etwa sorgt bereits seit Jahren | |
für Furore mit in Museen, Kunsthäusern oder auf der Documenta | |
nachgestellten Crime Scene Investigations – und zwar mit solchen, die von | |
staatlicher Seite sträflich vernachlässigt wurden. Zum NSU haben sie | |
geforscht oder über das syrische Foltergefängnis Saydnaya. Hier werden | |
Fakten ans Licht gebracht, damit Ermittler:innen sie zur Kenntnis | |
nehmen und sich dazu verhalten müssen. Bei Mario Pfeifer ist das anders, | |
seine Fakten liegen längst auf den Tischen von Opferanwält:innen und | |
Journalist:innen. Ihm geht es viel mehr um das gesellschaftliche Drumherum, | |
auch wenn das zunächst so auffällig unsichtbar bleibt. | |
## Zwischen Kunst und Forensik | |
Im Eingangsbereich der Ausstellung ist eine ältere Arbeit von Pfeifer zu | |
sehen: die Installation „Again/Noch Einmal“ von 2018. Sie ist Shabaz | |
al-Aziz gewidmet, der aus dem Irak nach Deutschland geflohen war, um hier | |
seine Epilepsie behandeln zu lassen. | |
Auch seine Geschichte hatte [4][bundesweite Aufmerksamkeit] nach sich | |
gezogen: Nach einem Streit mit einer Supermarktkassiererin wird al-Aziz von | |
vier Männern geschlagen und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt. Er | |
ist psychisch krank, gerät mit Ärzten und Polizei aneinander. Später | |
verschwindet er aus einem Pflegeheim in den Wald. Nach drei Monaten findet | |
ein Förster seine stark verweste Leiche. | |
Mario Pfeifers Zugriff auf diese Geschichte ist etwas kompliziert, aber es | |
lohnt, das nachzuvollziehen: In einer Tiefgarage hat er einen Supermarkt | |
als Filmset nachgebaut. Der heißt hier zwar nicht „Netto“, ist aber | |
trotzdem voller roter T-Shirts und gelber Werbetafeln. Auf einer kleinen | |
Empore im Dunklen sitzen Menschen, eine Jury vielleicht, oder Zeug:innen? | |
Publikum jedenfalls, wie jenes, das auch in Oldenburg vor den Leinwänden | |
sitzt. Täter, Anwälte und Öffentlichkeit kommen als echtes Archivmaterial | |
auf bedacht platzierten Bildschirmen zu Wort. Ein bisschen Gerichtssaal ist | |
das und ein bisschen Theater – eine Nähe, um die es auch im Folgenden gehen | |
wird. | |
Ausgangspunkt ist das nach nur vier Stunden eingestellte Verfahren gegen | |
die Männer, die Shabaz al-Aziz im Supermarkt misshandelten. Eingangs zu | |
sehen ist ein (echter) Fernsehbeitrag über eine Demonstration vor dem | |
Amtsgericht. Die Schläger werden hier als „Helden“ gefeiert. So heißt es | |
auf ihren Schildern. Ihr Anwalt versucht von vornherein, den Prozess zu | |
politisieren: von wegen Zivilcourage, die nicht strafbar sein dürfe und so | |
weiter. | |
## Die fragmentierte Wirklichkeit | |
Die zweite Zutat ist das nachgespielte Geschehen im Supermarkt selbst: Die | |
Schauspieler:innen Dennenesch Zoudé und Mark Waschke wandern durchs | |
Bild, führen Regie und ermitteln: „Den Anfang noch mal, schauen wir’s uns | |
noch mal von hier drüben an.“ Zu sehen ist der gut 40-minütige Film auf | |
zwei Bildschirmen, in zwei Kanälen, was die Perspektive aufweicht und | |
verunsichert. Wenn die Zeug:innen sprechen, ist manchmal links ein | |
bedacht sprechender Mund zu sehen, während auf der Riesenleinwand zur | |
Rechten zwei Augen hektisch blinzeln. | |
„Diesem jungen Mann kann man heute nicht mehr helfen“, heißt es einmal. Und | |
das ist wahr. Shabaz al-Aziz ist ja erfroren im Wald. Aber über die | |
Gesellschaft ist viel zu erfahren, gerade weil sie hier so mehrfach | |
fragmentiert auftritt. Die Migrant:innen aus der Jury sprechen auch über | |
ihre ersten Jahre in Deutschland, über die 90er, mordlustige Skinheads und | |
über einen Staat, der sich rausgehalten hat. | |
Und in der Erinnerung an die brennenden Häuser und Baseballschläger finden | |
Analyse, Ohnmacht und Wut in dieser Ausstellung dann doch irgendwann | |
zusammen. Weil in all den monströsen Einzelfällen eben doch Strukturelles | |
aufblitzt. „Es hat sich nicht viel geändert“, sagt eine Frau im Film. Und | |
deshalb sorge sie sich auch so um die jungen Geflüchteten von heute. Nicht | |
weil sie inzwischen akzeptiert sei und angstfrei in Deutschland leben | |
könne. Sondern weil sie im Gegensatz zu den Jüngeren gelernt habe, aus | |
welchen Ecken man sich besser fernhält. | |
24 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.edith-russ-haus.de/ausstellungen/ausstellungen/aktuell.html | |
[2] https://www.mariopfeifer.org/ | |
[3] /Wurde-Oury-Jalloh-ermordet/!5698603 | |
[4] /Fluechtlinge-in-Sachsen/!5422411 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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