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# taz.de -- ESC in Malmö: Die schönste TV-Produktion der Welt
> Der 68. ESC ist eine große Feier voller verrückter Acts. Malmö ist
> belebter als sonst, allerdings auch aufgrund vieler
> Sicherheitsvorkehrungen.
Bild: Bambie Thug singt für Irland
Malmö taz | Die Stadt Malmö hat den [1][Folkets Park] in „Eurovision
Village“ umbenannt. Besucher:innen tragen Shirts mit dem
Windows-95-Logo, um den finnischen „Windows95man“ zu unterstützen. „Crown
the witch“, rufen hingegen Fans des Gothic-Acts Bambie Thug, der für Irland
antritt. Es ist wieder Eurovision Song Contest, der bekannteste
Musikwettbewerb Europas und vielleicht der Welt.
Zur 68. Ausgabe sind rund 100.000 ESC-Fans aus über neunzig Ländern nach
Schweden gekommen, nachdem im letzten Jahr [2][Loreen] mit ihrem Song
„Tattoo“ gewonnen hatte. Dienstag und Donnerstag fanden die beiden
Halbfinale statt, am Samstag wird das große Finale in der Malmö Arena
ausgetragen. Ein Großteil des Musikfests spielt sich jedoch außerhalb der
Arena ab, wo der Hype verständlich ist: Malmö ist sonst eine ruhige
Hafenstadt, nach Einbruch der Dunkelheit ist selten viel los.
In dieser Woche aber hängen Banner mit dem Eurovision-Slogan „United By
Music“ von Gebäuden und Straßenlaternen. Überall sind Menschen unterwegs,
Familien mit Kindern und kostümierte ESC-Fans präsentieren Fahnen der
Länder, die sie gerne gewinnen sehen würden. Die Schauplätze sind über die
gesamte Stadt verteilt, es gibt eine ESC-Straße, einen ESC-Club, eine
[3][ABBA-]Pop-up-Ausstellung und das Eurovision Village mit drei Bühnen,
Rollschuh-Disco, Essens- und Merchandise-Ständen. Dabei läuft immer Musik,
vor allem die aktuellen Songs und die Beiträge der letzten Jahre.
„Ich mag das, weil ich diese Musik nur hier höre“, sagt der 50-jährige Wi…
aus Irland, der mit seinem Partner Stuart in Australien lebt. Seit 2015
sind die beiden – abgesehen von den Covidjahren – jedes Jahr für den
Songcontest nach Europa geflogen. „Wenn man einmal anfängt hinzufahren,
kann man nur schwer wieder aufhören“, sagt er. Die Besucher:innen des
Eurovision Village erkennt er teilweise aus den letzten Jahren wieder. Und
welches Land auch immer dieses Mal gewinnen wird: „Dort werden wir eine
Woche unseres Lebens verbringen.“
## Teil der ESC-Geschichte
Wiederkehrend anzutreffen sind neben den Fans die Bands und Stars der
letzten Jahre, etwa der irische Zweifachsieger Johnny Logan, der in Malmö
beim ersten Halbfinale unterhielt. Sie sind für die Stimmung rund um den
Wettbewerb selbst da, treten auf, heizen ein und repräsentieren einen Teil
der ESC-Geschichte.
So spielt am Dienstagnachmittag die Electro-Folkband Go_A, die 2021 für die
Ukraine angetreten ist. Gewonnen hat sie nicht, aber Gewinner der Herzen zu
sein, ist hier „a thing“. Zwei neuseeländische ESC-Fans mit Windows-95-Logo
auf der Wange und Raverbrille erklären mir, dass der Auftritt ein Muss ist
und darum besuche auch ich das Konzert von Go_A.
Dabei begegne ich der Journalistin Anastasiia, 27 Jahre alt, und der
Fotografin Ira, die 24 ist, aus der Ukraine. Die beiden sind von Berlin aus
drei Tage nach Malmö getrampt, um sich den ESC anzusehen. Zwischendurch
haben sie in Lüneburg und Kopenhagen bei Couchsurfing-Möglichkeiten
geschlafen, wie sie es auch hier in Malmö tun. Am Abend gegen neun Uhr
kamen sie dann an und konnten sich noch einen Teil des Auftritts von
Conchita Wurst ansehen.
Für Anastasiia ist es der dritte Grand Prix, das erste Mal war sie in Kyjiw
dabei, dann in Turin. „Es ist wie ein Festival“, sagt sie begeistert.
Zufällig hat sie hier auch den 26-jährigen Ukrainer Andrii wiedergetroffen,
den sie 2022 auf dem ESC in Italien kennengelernt hat. Der Sozialarbeiter
hatte damals dort studiert, lebt inzwischen in Kanada und ist extra für die
ESC-Woche angereist.
## Im Anschluss weiter nach Norwegen trampen
Für ihn sind Konflikte zwischen Ländern unvermeidbar, „aber es ist besser,
sie hier auszutragen. Diese Woche sind wir alle zusammen, aber trotzdem ist
es eine Art von Wettbewerb.“ Ira ist vor allem wegen des Reiseabenteuers
dabei, gibt sie zu. Trotzdem will sie sich am Abend gemeinsam mit
Anastasiia die Übertragung des ersten Halbfinales in einer Bar anschauen.
Im Anschluss wollen die beiden weiter nach Norwegen trampen.
Im Laufe des Abends füllen immer mehr Menschen das Eurovision Village,
später wird das erste Halbfinale auf Leinwand übertragen und Fans warten
darauf, dass die italienische Teilnehmerin Angelina Mango auftritt. Einer
von ihnen trägt ein weißes Shirt, eine rote Hose und Jacke, dunkle lockige
Haare und ein silbernes Pflaster auf der Nase, um seine Schultern hängt
eine litauische Flagge – er sieht aus wie Silvester Belt, der dieses Jahr
für Litauen antritt.
Er habe im März angefangen, für sein Outfit zu recherchieren, erzählt
Amandas. Zum ESC zu fahren sei seit vielen Jahren sein Traum gewesen, „aber
ich musste warten, bis ich volljährig bin“.
Gemeinsam mit fünf Freund:innen sei er 24 Stunden lang mit dem Auto nach
Malmö gefahren. „Er hat mich gefragt, wie hätte ich Nein sagen können?“,
meint seine 18-jährige Schulfreundin Glorija. Das Airbnb hätten sie im
August auf gut Glück gebucht, damals war der genaue Veranstaltungsort noch
gar nicht klar – aber so sei es günstiger gewesen.
## Politisch aufgeladen
Bei der Großveranstaltung helfen fast 600 Freiwillige mit, auch Amy, 38,
aus Malmö, die eigentlich Landschaftsarchitektin ist. „Ich liebe den ESC
und ich habe mich davor schon viel ehrenamtlich engagiert“, sagt sie. Ihr
Job sei sehr abwechslungsreich, „ich mache alles, was benötigt wird“.
Montag habe sie bei der Generalprobe für das erste Halbfinale in der Maske
mitgeholfen und im Anschluss Knicklicht-Armbänder an die Zuschauer:innen
ausgeteilt. Eine ihrer Aufgaben war aber auch, ein Banner zu schrubben, auf
das jemand „Free Palestine“ geschrieben hatte.
Dass dieser ESC [4][politisch aufgeladen] ist und es im Vorhinein
Sicherheitsbedenken gab, ist in Malmö deutlich spürbar. Straßen sind
abgesperrt, in die meisten Veranstaltungsorte kommt man nur ohne Tasche,
vor fast jedem Hotel stehen Sicherheitskräfte.
„Es sind bestimmt vier mal mehr als sonst“, sagt der 28-jährige
Webdesignstudent Pontus, der in der Nähe des Folkets Parks wohnt. Er ist
einer derer, die sich den ESC aus politischen Gründen nicht ansehen
möchten. In der Stadt hängen in manchen Schaufenstern Flyer, die für
Donnerstag und Samstag zu Demonstrationen aufrufen, damit die Europäische
Rundfunkunion Israel vom Wettbewerb ausschließt. Auch die
Couchsurfing-Hosts der trampenden Ukrainerinnen sind Teil der Proteste.
Im Gespräch mit mehreren ESC-Teilnehmenden betonen diese aber vor allem,
dass sie das Zusammentreffen mit den Sänger:innen der anderen Länder gut
finden. „Die Pre-Parties waren cool, wir haben gemeinsam gefeiert“, sagt
Isaak, der für Deutschland antritt. Der österreichische Act Kaleen freut
sich über eine sehr familiäre Gruppendynamik. „Es ist die schönste
Fernsehproduktion, die es auf der Welt gibt“, sagt sie.
Im Pressezentrum kommen die Acts vorbei, posen kurz für Social-Media-Videos
oder geben Statements ab – dann müssen sie meistens schon weiter. Der
Windows95man steht dort mit knappen Jeans-Shorts und Ledermantel in
Windows-Farben und hat kurz Zeit für ein Foto.
Am Dienstagabend läuft das erste Halbfinale auch im Pressezentrum.
Journalist:innen aus Kroatien, Irland, der Schweiz schauen sich
gemeinsam auf großen Bildschirmen an, was auf der Bühne passiert. Und
genauso wie die Fans im Eurovision Village jubeln sie und klatschen, wenn
ihre Favoriten auftreten – während sie vor ihren Laptops sitzen und darüber
schreiben.
10 May 2024
## LINKS
[1] https://malmo.se/Folkets-Park.html
[2] /Eurovision-Song-Contest/!5931725
[3] /50-Jahre-Abba/!6001870
[4] /Israel-beim-Eurovision-Song-Contest/!6005057
## AUTOREN
Wio Groeger
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