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# taz.de -- Malmö und Nie-wieder-Deutschland: Can music save our souls?
> An allen Ecken ist's grad ungemütlich. Wohin also? Zwei heiße Tipps:
> Entweder zum Eurovision Song Contest oder zum Nick Cave Konzert.
Bild: Eden Golan aus Israel steht mit dem Titel „Hurricane“ auf der Bühne …
Seit 30 Jahren konsultiere ich in nahezu allen Gemütszuständen Nick Cave.
Ekstase, Trauer, Wut, Liebe und natürlich absolut [1][leichtfüßige
Albernheit]: als musikalisch Suchende finde ich bei ihm Erlösung. Und ja,
natürlich habe ich für die diesjährige Tour Tickets für drei Konzerte. Und
natürlich lese ich auch hin und wieder – obwohl mich Künstler als Personen
meist gar nicht so interessieren – seinen Interviewblog „The Red Hand
Files“, ein Portal, auf dem jeder wirklich alles fragen kann und Nick Cave
antwortet.
Dort fragte ein:e Musiker:in unter dem Pseudonym The Artist is Present
diese Woche, ob er oder sie auf dem The Great Escape Festival spielen
solle, obwohl es durch die Barclays-Bank gesponsert werde, die „indirekt
vom Horror in Palästina“ profitiere, und man ja nun keinen „Genozid“
unterstütze. Puh.
Man kann sich seine Mitfans nicht aussuchen. Man kann vielleicht auch nicht
erwarten, dass jeder zwischen den gesamten palästinensischen Gebieten und
Gaza, wo tatsächlich ein schrecklicher Krieg tobt, unterscheidet. Und, wie
ich in den vergangenen Monaten lernen musste, nicht mal, dass Leute die
Definition von Begriffen wie Genozid verstehen.
Ja, sogar meine Mindestanforderung – nämlich, dass Jüdinnen und Juden in
Post-Nazideutschland oder sonst irgendwo außerhalb Israels unbehelligt
leben können – habe ich in den letzten Wochen schweren Herzens aufgegeben.
Meine Stimmung ist also ohnehin gedrückt, um es freundlich zu sagen. Aber
Nick hat mich nicht enttäuscht. Seine Antwort an die Knalltüte war knapp:
[2][„Play.“]
## Politisch wie eine Kochshow
Dass es Leuten wie dem oder der Fragesteller:in nicht um das –
unbestreitbare, auch kalte Zionistinnen wie mich schmerzende – Leid der
Menschen in Gaza geht, zeigten am Donnerstag [3][rund 10.000 Menschen mit
ihrem Protest gegen die Teilnahme von Eden Golan am Eurovision Song
Contest].
Was, bitte, hat ein Gesangswettbewerb, der ungefähr so politisch ist wie
eine Kochshow, mit dem Krieg in Gaza, meinetwegen auch der israelischen
Regierung und ihrem Tun zu tun? Genau: nichts. Es ist der pure Hass auf
Jüdinnen und Juden, dem die Demonstranten unter dem Deckmantel eines wie
auch immer gearteten „politischen Bewusstseins“ und einer „guten Sache“
endlich freien Lauf lassen können. Wenn es anders wäre – müssten sie dann
nicht bei anderer Gelegenheit gegen iranische, chinesische, russische
Künstler:innen mindestens genauso erbittert demonstrieren?
Die selbst ernannten Menschenrechtler:innen checken nicht einmal, dass
sie mit ihrem Boykottgebrüll nicht nur keinem einzigen Kind in Gaza helfen,
sondern auch dabei, den Plan der Hamas – der eben nicht nur der war, so
viele Israelis wie möglich umzubringen, sondern auch, Israel langfristig zu
delegitimieren – zu vollenden. Ihre Grausamkeit vom 7. Oktober und deren
Zurschaustellung war für die Hamas ein Mittel zum Zweck, und der war, die
extremste Reaktion der – praktischerweise – extremsten Regierung, die
Israel je hatte, zu erzeugen und damit weltweit den ohnehin mehr oder
minder leicht schlummernden Juden-, Verzeihung, Israelhass so richtig zu
entfesseln. So wie es das Ziel aller rechten Bewegungen ist, die
demokratische Welt zu spalten. Die Methode nutzen Putin, Xi Jinping, AfD
und Hamas – mit unterschiedlichen Mitteln – gleichermaßen.
Kunst, ganz besonders Musik, könnte eigentlich das Gegenprogramm sein, sie
könnte einen, Blicke und Herzen öffnen für das Leid anderer, das man sonst
nicht immer sehen kann. Stattdessen braucht eine Sängerin in Malmö
Polizeischutz wie ein US-Präsident – aus Angst vor Demonstrant:innen, denen
es angeblich um Menschenrechte geht. Und gleichzeitig verlassen immer mehr
Juden die Stadt. Wahrscheinlich nicht in Richtung Nie-wieder-Deutschland.
## Nazidreck
Apropos Deutschland: Die Band Antilopengang, der wegen ihres Songs
„Oktober in Europa“ aufgrund falscher Textexegese hier in der taz
Holocaustverharmlosung vorgeworfen wurde, hat ein [4][neues Lied
herausgebracht: „Muttertag“] (Nazidreck). In diesem Sinne: Hören Sie mehr
Musik.
11 May 2024
## LINKS
[1] https://youtu.be/1GWsdqCYvgw?si=rRCU3HcvOpxluPlh
[2] https://www.theredhandfiles.com/i-am-a-musician-who-has-been-booked-to-play/
[3] https://www.sueddeutsche.de/panorama/esc-israel-eden-golan-malmoe-greta-thu…
[4] https://www.instagram.com/antilopengang/?hl=de
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
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Nick Cave
Antisemitismus
Hamas
Kolumne Der rote Faden
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