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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Was gezeigt wird und was nicht
> Schule des Sehens: Rachel Harrison und Iman Issa untersuchen, wie wir auf
> die Welt blicken. Es geht zu Konrad Fischer und carlier | gebauer.
Bild: Blick in Iman Issas Ausstellung „Photograph—(Un)Like (M)Any Other(s)�…
Am Gallery-Weekend-Samstag steht die New Yorker Künstlerin Rachel Harrison
vor der Neuen Nationalgalerie inmitten der Menschenmenge, die zum großen
Dinner des Kunstwochenende eingeladen ist. Das Abendrot taucht den
Mies-van-der-Rohe-Bau in rotviolettes Licht. Im Gespräch mit Harrison geht
es um Gefühlsfarben, einen Begriff, den die Wienerin Martha Jungwirth für
ihren malerischen Umgang mit Farbe benutzt; um Steine, die einer Nachricht
zufolge, die kürzlich verschiedene internationale Medien publizierten,
junge einsame Menschen in Südkorea adoptierten – als weniger Verantwortung
verlangenden Ersatz für echte Haustiere; und um Caspar David Friedrich.
Harrison hat, wie sie erzählt, ihren Aufenthalt in Berlin, während dem sie
ihre Ausstellung in der [1][Galerie Konrad Fischer] vorbereitete, auch für
einen Besuch der Retrospektive Friedrichs in der Alten Nationalgalerie
genutzt. An all das muss ich denken, als ich ein paar Tage später zu Konrad
Fischer gehe, um Harrisons Schau „Bird Watching“ zu besuchen. Es ist die
erste Ausstellung der Künstlerin in der Berliner Galerie, eine der vielen,
die zum Gallery Weekend gestartet sind.
Einer merkwürdigen Gestalt begegnet man dort als erstes. Sie reckt den Hals
aus einem unförmigen, handbemalten Polystyrol-Fundament, ihre Augen sind
hinter den Gläsern eines VR-Headsets verborgen. Von hinten sieht man die
Skulptur zunächst, fast wie den Wanderer über dem Nebelmeer, nur dass sie
eben nicht in selbiges schaut, während sie den Blicken der
Besucher*innen ausgesetzt ist, sondern in eine virtuelle Welt, über
deren Ausgestaltung nichts weiter bekannt ist.
Sehen und gesehen werden, ausstellen und ausgestellt werden, darum geht es
auch in den anderen Arbeiten, die irgendwo zwischen gestischer Abstraktion
und rumpeliger Figuration zu verorten sind. Auf die Kunstgeschichte wie auf
profane Alltagskultur verweisen sie, nicht ohne einen Sinn für Komik, für
die Absurdität des Lebens im Spätkapitalismus.
Da hängt ein T-Shirt von der Decke, fast wie aus einem Museumsshop, auf das
Harrison Abbildungen von Giacometti-Skulpturen gedruckt hat, übereinander
geschichtete, bunte Köpfe, die in alle Richtungen starren; ein grünes Wesen
steckt mit seinem zum Fahrzeug umfunktionierten Judd-Schubfach auf einem
Stein fest; eine Fotoserie zeigt flimmernde Bilder einer Übertragung der
„Westminster Dog Show 2006“, die von einem Röhrenfernseher abfotografiert
wurden.
## Wie wir auf Abbildungen blicken
Die Frage, wie wir auf Dinge oder besser gesagt auf Abbildungen blicken,
beschäftigt auch Iman Issa. Absolut notwendig ist es, in ihrer Ausstellung
„Photograph–(Un)Like (M)Any Other(s)“ bei [2][carlier | gebauer] die
Wandtexte zu den Arbeiten zu lesen. Sie liefern die vermeintlichen
Kontexte, öffnen dabei verschlungene Assoziationsräume. Schon gleich im
ersten Raum verdeutlichen zwei Fotografien, die an gegenüberliegenden
Wänden aufgehängt sind, das Prinzip. Zu sehen sind schwarz-weiß
abfotografierte Kalenderblätter mit arabischer Beschriftung. Was sie
unterscheidet, ist einzig das Format und der Titel: „See No Evil, Hear No
Evil, Germany 2024“ heißt die eine, „See No Evil, Hear No Evil, Egypt
2013“, die andere.
Worauf sie damit genau anspielt, verrät Issa nicht, 2013 jedoch fand in
Ägypten der Militärputsch statt, an den Anstieg muslimfeindlicher
Übergriffe in Deutschland könnte man beim anderen Datum denken. Noch
hintersinniger geht es danach weiter, besonders in der Serie „Doubles:
Photograph-(Un)Like (M)Any Other(s)“. Sie besteht aus mit Objekten
verbundenen Drahtfiguren, die Vorformen des Triadischen Balletts Oskar
Schlemmers sein könnten.
Als Vorbild dienten der Künstlerin dafür jeweils zwei Fotografien gleichen
Titels, Pressebilder vermutlich, aus unterschiedlichen Zeiten, Orten und
Situationen. Zu sehen sind diese nicht, aber allein die Angaben verweisen
mehr oder weniger eindeutig auf Ereignisse, Krisen, politische Diskurse,
hinterfragen die Rolle, die Bilder in diesen spielen.
Der Körper des „Man by Clock“ etwa besteht aus einem Pendel, die beiden so
benannten Fotografien, auf die er sich bezieht, stammen aus „Berlin, 2024“
und aus „Chernobyl, 1986“. Mehr Informationen seien nicht verfügbar, heißt
es weiter auf dem Wandtext. Aus einer Plexiglaskugel besteht wiederum der
Unterleib des „Scientist“, der in „Gaza, 2024“ beziehungsweise an
unbekanntem Ort 1993 fotografiert wurde. Issa überlässt die Interpretation
ihrem Publikum, konfrontiert es mit den eigenen Denk- und Sehmustern.
8 May 2024
## LINKS
[1] https://www.konradfischergalerie.de/
[2] https://www.carliergebauer.com/
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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