| # taz.de -- Die Kunst der Woche: Verbindendes und Trennendes | |
| > Bei Tanja Wagner erzählt Pınar Öğrenci Geschichten der Gastarbeit. In der | |
| > Gruppenausstellung „Hyphen“ bei Heit werden Suffixe zum Leitmotiv. | |
| Bild: Szene aus Pınar Öğrencis Filmarbeit „Glück auf in Deutschland“… | |
| Weiße Wäsche weht vor Kohlehaufen im Wind. Eine Gruppe Frauen, die sich | |
| über Flick- und Näharbeiten beugen, stützen sich auf das Gebäude einer | |
| Zeche, als handle es sich dabei um einen Küchentisch. Jugendliche Turner | |
| klettern an Schornsteinen hoch oder scheinen vom Himmel mitten auf | |
| Industriegelände zu stürzen. In Foto-Collagen versucht Pınar Öğrenci dem | |
| Leben von Gastarbeiterfamilien im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit | |
| nachzuspüren, den physischen Strapazen, der Härte des Alltags jedweder Art. | |
| „Glück auf in Deutschland“ heißt die Ausstellung, die noch bis zum 8. Juni | |
| bei [1][Tanja Wagner] zu sehen ist. | |
| „Glück auf“, wie der Gruß der Bergleute – vor allem aber spielt der Tit… | |
| auf die Hoffnungen der ersten Gastarbeitergeneration auf ein besseres, | |
| glücklicheres Leben in Deutschland an, Hoffnungen, die kaum erfüllt wurden. | |
| Auch in der zentralen Videoarbeit arbeitet die kurdische, in der Türkei | |
| geborene Künstlerin und Filmemacherin mit schwarz-weißen Fotografien aus | |
| der Industriegeschichte des Ruhrgebiets und solchen aus den Lebenswelten | |
| der Gastarbeiter*innen. | |
| Sie montiert sie zusammen, unterlegt die Bilder mit Kommentaren und | |
| Auszügen aus Interviews mit Expert*innen, Forscher*innen und Menschen, | |
| die dabei gewesen sind. Kaleidoskopartig zeichnet sie eine unterbelichtete | |
| Geschichte Deutschlands nach, eine deutsch-türkische vor allem, wie sie | |
| aktuell auch Ersan Mondtag im deutschen Pavillon in Venedig aufarbeitet. | |
| Öğrenci bildet die vom Kohlenstaub geschwärzten Häuser ab, erzählt von | |
| geplatzten Träumen, lachende Kinder mit Zahnlücken, Kinder, die für ihre | |
| Eltern auf Ämtern zu Dolmetscher*innen wurden – und dabei all die Sätze | |
| wegließen, die ihre Familien abwerteten. Sie zeigt rare Momente des | |
| Widerstands gegen Arbeitsbedingungen und Zwangsarbeiterlager, die nach dem | |
| Krieg zu Gastarbeiterlagern wurden. Thematisiert wird darin auch die | |
| unsichtbare (Haus-)Arbeit der Frauen der Bergleute, eine Studie wird | |
| zitiert, die den Kalorienbedarf der Minenarbeiter wie der Hausfrauen | |
| berechnete: Er war gleich hoch. | |
| ## In Sprache verflochten | |
| Etwas mehr Zeit noch kann man sich für die aktuelle Ausstellung bei | |
| [2][Heit] lassen. Heit lautet der Name des Projektraums der | |
| Künstler*innen Carolin und Gernot Seeliger. Über eben den hat die | |
| Kuratorin Gabriela Anco, die dort gerade die Gruppenausstellung „Hyphen“ | |
| ausrichtet, nachgedacht. Was man darin lesen kann, ist ein deutsches | |
| Suffix, finale Silbe etwa der Wörter Schönheit, Klugheit, Klarheit, | |
| Dummheit. | |
| Das englische Wort Basement, Keller also, – in einem solchen befindet sich | |
| der Raum – umfasst mit „-ment“ ein vergleichbares sprachliches Element. | |
| „-heit“ stammt etymologisch von dem germanischen Wort „haidu“ ab, das so | |
| viel wie Art und Weise oder Erscheinung bedeutet, während „-ment“ wiederum | |
| auf die lateinische Endung „-mentum“ zurückzuführen ist. „-heit wird in… | |
| Regel an ein Adjektiv angehängt und abstrahiert dieses, „-ment“ eher an ein | |
| Verb. Das Nomen, das dabei entsteht, beschreibt das Ergebnis einer Aktion. | |
| Ihr Konzept zu „Hyphen“ – dem englischen Wort für Bindestrich – leitete | |
| Anco aus derlei Überlegungen zur Grammatik indogermanischer Sprachen ab. | |
| Eingeladen hat sie dazu die Künstlerinnen Mara Fortunatović, Zarah Lanes | |
| und Daniela Macé-Rossiter sowie das Duo hormoneS, dessen Musik man mit sehr | |
| vielen Bindestrichwörtern beschreiben könnte. HormoneS kombinieren barockes | |
| Cembalo mit zeitgenössischer Elektronik, am vergangenen Freitag spielten | |
| sie das live in der Ausstellung, bildeten quasi zusätzliche Bindestrichen | |
| zwischen deren Exponaten. | |
| Als da wären fotografische Arbeiten und solche aus Tinte von Zarah Landes, | |
| die etwas abbilden, eine Handlung, die schon vorbei ist – Kategorie „-ment�… | |
| also – das Einwickeln eines Objekts offenbar. Eines Tripods, wie man ihn in | |
| der Fotografie benutzt, so ist es im Text zur Ausstellung nachzulesen. | |
| Viel -heit indes lässt sich in den Kupferrohrgebilden von Mara Fortunatović | |
| erkennen: Schönheit in der Einfachheit und der Verbundenheit. Daniela Macé | |
| Rossiters Digitaldrucke auf Kunstseide verweisen indes auf eine weitere | |
| Bedeutung des Wortes Hyphen: Es bezeichnet auch die fadenförmigen Zellen | |
| von Pilzen, die sich als weit verzweigte Geflechte im Boden ausbreiten. | |
| 6 Jun 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://tanjawagner.com/ | |
| [2] http://heitberlin.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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