# taz.de -- Islamisten-Demo in Hamburg: Muss die Demokratie das ertragen? | |
> Die Möchtegern-Kalifen von „Muslim Interaktiv“ provozieren Öffentlichke… | |
> und Rechtsstaat. Wer sich jetzt auf Muskelspiele einlässt, spielt ihnen | |
> in die Karten. | |
Bild: Teilnehmer auf der Islamisten-Demo in Hamburg Ende April | |
Bettelt [1][„Muslim Interaktiv“] nicht eigentlich um ein Verbot? Auf den | |
Gedanken könnte man ja schon kommen, wenn man die seltsame Strategie | |
betrachtet, jetzt gleich wieder eine Kalifats-Demo anzumelden – kaum zwei | |
Wochen nachdem die erste für bundesweite Verbotsdebatten und eine | |
[2][Gegendemo] gesorgt hatte. | |
Aber aus Sicht der Extremisten ist das wahrscheinlich logisch: [3][Ihre | |
Social-Media-Marke profitiert] von der gesteigerten Aufmerksamkeit, ein | |
erfolgreiches Verbot bestätigt ihr krudes Weltbild und steigert ihren | |
Märtyrerstatus, mit einem Verbot, an das sich erst noch Gerichtsverfahren | |
durch mehrere Instanzen anschließen, lässt sich der deutsche Rechtsstaat in | |
seiner ganzen demokratischen Behäbigkeit vorführen. Das ist quasi eine | |
Win-win-win-Situation für die Extremisten und ihre Freunde von der AfD. | |
Mit dem Slogan „Deutschland = Wertediktatur“, der auf der ersten Demo zu | |
sehen war, können sich ja bestimmt auch beide Seiten anfreunden. | |
Schwer erträglich für alle, die eine offene, freie Gesellschaft wollen. | |
Vielleicht muss man deshalb noch einmal an ein paar Grundsätze erinnern: | |
Verbote sind aus gutem Grund so schwierig. Meinungsfreiheit gilt auch für | |
Vollidioten. Ja, hier darf man auf die Straße gehen, um Quatsch zu fordern: | |
Weltuntergang für alle, zum Beispiel. Oder weniger Chemtrails. Oder eben | |
ein Kalifat, also ein Herrschaftssystem nach islamischen Regeln – wenn man | |
ausgebufft genug ist, offen zu lassen, wann und wo das denn entstehen soll. | |
Wenn nicht explizit zum Umsturz herausgefordert wird oder volksverhetzende | |
Äußerungen fallen, wird es schwierig mit so einem Versammlungsverbot. | |
Bliebe das Verbot der Organisation. Nun hat man die Mutterorganisation Hizb | |
ut-Tahrir schon 2003 verboten, was die Entstehung dieser Ableger | |
offensichtlich nicht verhindert hat. Als eher informelle Netzwerke sind die | |
Strukturen eben auch schwer zu fassen, da gibt es keinen Sitz, den man | |
stürmen kann, um Unterlagen und Vermögen zu beschlagnahmen. „Muslim | |
Interaktiv“ bezieht sein Mobilisierungspotenzial vor allem aus den sozialen | |
Medien, bei deren Kontrolle sich der deutsche Staat aus vielen Gründen | |
schwertut. | |
## Die Gefahr lauert online | |
Im Grunde muss man fast sagen: Mit dem großen Auftritt auf der Straße tut | |
die Organisation dem Verfassungsschutz und den Strafverfolgungsbehörden | |
fast einen Gefallen, immerhin kommt man so an Gesichter und Namen und weiß | |
am Ende, wen man im Auge behalten muss. | |
So unbefriedigend das im Moment sein mag: Ein Verbotsverfahren muss | |
sorgfältig vorbereitet sein, es braucht Material, man muss verhindern, dass | |
die gleichen Leute unter einem anderen Namen einfach weitermachen. Denn | |
viel gefährlicher als diese großspurigen öffentlichen Auftritte ist das, | |
was da im Netz und hinter verschlossenen Türen passiert. | |
Und wenn sich eine wachsende Anzahl von Jugendlichen davon angezogen fühlt, | |
ist das das eigentliche Problem, um das man sich kümmern muss. „Extremisten | |
geben die falschen Antworten auf die richtigen Fragen“, hört man in diesem | |
Zusammenhang immer wieder. Und zu den richtigen Fragen, der Art von Fragen, | |
bei denen sich Schulen und andere Institutionen zu oft wegducken, gehört: | |
Warum können wir nicht über Gaza reden? Warum tut ihr so, als würde es | |
keinen antimuslimischen Rassismus geben? | |
## Kreativer Widerspruch statt Verbote | |
Aber das ist natürlich alles sehr zäh und langwierig, schwer zu vermitteln, | |
wo doch alle gerade markige Worte, große Gesten und entschlossen | |
simuliertes Handeln vorzeigen wollen. Da ist man schon dankbar für | |
Menschen, die einfach mal eine Gegendemo anmelden. Vor allem, wenn es | |
liberale Muslime sind, die den Extremisten nicht einfach das Feld | |
überlassen wollen. | |
Vielleicht lässt sich das beim nächsten Mal noch steigern. Ein bisschen | |
weniger staatstragend und direkt nebenan wäre fein. Bei manchen | |
Neonazi-Aufmärschen hat man ja auch gute Erfahrungen mit kreativen | |
Störaktionen gemacht. Nichts fürchten Extremisten so sehr wie die | |
Lächerlichkeit. Hamburg, lass Regenbogenglitzer regnen! Und Seifenblasen. | |
Singt „Shalalalala“ nach jedem „Allahu akbar“. Zumindest so lange, bis … | |
mit dem Verbot geklärt ist. | |
6 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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