# taz.de -- Lehrstunde Steuerreform: Was Adenauer Lindner lehren kann | |
> Die Ampel streitet über den Bundeshaushalt 2025. Der Finanzminister will | |
> an Außen- und Entwicklungspolitik sparen, trotz Alternativen. | |
Bild: Stockkonservativ, aber solidarisch: Konrad Adenauer auf einer alten D-Mark | |
## Worum geht es? | |
Die Ampel trudelt schon wieder in eine Krise. [1][Rund 20 Milliarden Euro | |
fehlen im Haushalt 2025.] Es geht also um Geld, da wird es immer ernst. | |
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) versteht bei der | |
Schuldenbremse keinen Spaß. Er will sparen. Bluten sollen etwa das | |
Außenministerium, dessen Etat um mehr als ein Viertel geschrumpft werden | |
soll, [2][und das Entwicklungshilfeministerium, das noch einmal auf eine | |
Milliarde verzichten soll]. Dumm, dass beide in den globalen Krisen für | |
Deutschland gerade besonders wichtig sind. Also sinnlos sparen, bis es | |
kracht? Das muss nicht sein. Die schwäbische Hausfrau weiß: Wenn Geld | |
fehlt, kann man entweder sparen oder sich mehr Geld besorgen. Wir haben uns | |
ein paar Vorschläge angeschaut, die alle in der Praxis erprobt sind. | |
## Wie wäre es mit einer höheren Erbschaftsteuer? | |
Wer Gleichheit für erstrebenswert hält, [3][hält die Erhöhung der | |
Erbschaftsteuer selbstverständlich für eine gute Idee]. Erben ist ja | |
leistungsloses Einkommen. Durchschnittsverdiener zahlen in Deutschland mehr | |
als 40 Prozent Steuern und Abgaben – so viel wie sonst kaum in den | |
OECD-Ländern. Auch wer wenig verdient, zahlt prozentual viel. Wer hingegen | |
erbt, zahlt oft sehr wenig Steuern. Wer sehr viele Millionen erbt, noch | |
weniger. Warum das so sein muss, versteht nur der Lobbyverband der | |
Familienunternehmer. Es passt eher zu einer feudalen Gesellschaft als zu | |
einer leistungsfixierten Marktgesellschaft, in der sich doch arbeiten und | |
nicht erben lohnen soll. | |
Aber: Die Erbschaftsteuer ist eine Ländersteuer. Steuern erhöhen ist | |
sowieso schwierig. Eine Einigung in der Regierung, dem Bundestag, dem | |
Bundesrat und den Bundesländern zu erzielen, die etwas taugt, ist ungefähr | |
so leicht, wie den Nahostkonflikt zu lösen. Eine höhere Erbschaftsteuer | |
wäre trotzdem schön für die Bundesländer, die zum Beispiel mehr Personal | |
für Schulen einstellen könnten. Und würde den Bundeshaushalt indirekt | |
entlasten. Etwa wenn die Länder mal wieder Geld fürs 49-Euro-Ticket oder | |
für die Versorgung Geflüchteter fordern. | |
## Wäre eine Vermögensteuer die Lösung? | |
Die Vermögensteuer ist der zweite Dauerbrenner in Steuerdebatten. Sie wurde | |
1997 aus Gründen abgeschafft, an die sich niemand mehr genau erinnern kann, | |
und wäre ein Instrument, um zwei Ziele zu erreichen: Die öffentliche Hand | |
hätte mehr Geld, und die in Deutschland extrem große Spreizung der Vermögen | |
könnte gebremst werden. Die untere Hälfte besitzt gar nichts, die oberen 1 | |
Prozent mehr als ein Drittel. Oben könnte man also ruhig abschöpfen. [4][In | |
der Schweiz gibt es eine Vermögensteuer von 1 bis 5 Prozent, die ab einer | |
Million fällig wird.] Würde man in Deutschland eine Vermögensteuer nach | |
Schweizer Vorbild einführen, kämen über 70 Milliarden Euro pro Jahr | |
zusammen. Das würde, weil die Vermögensteuer auch eine Ländersteuer ist, | |
Lindner direkt nichts nutzen, aber die Haushalte der Bundesländer | |
renovieren, siehe oben. | |
## Was kann Lindner von Helmut Kohl lernen? | |
Eine besonders weitsichtige Idee (Vorsicht, Ironie!) der rot-grünen | |
Regierung nach 1998 war, den Spitzensteuersatz auf 42 Prozent zu senken. | |
Seitdem fehlen jedes Jahr ungefähr 10 Milliarden Euro in der Staatskasse. | |
Unter Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz noch bei 53 Prozent und kann | |
also keine wüste Enteignungsidee neidischer Linker gewesen sein, die armen | |
Millionären das Schwarze unter den Fingernägeln missgönnten. | |
Kann es sein, dass man in Deutschland Steuern für Wohlhabende nur senken, | |
aber nie erhöhen darf? Egal, wer regiert? Ist das ein unsichtbarer | |
Grundgesetzparagraf? Nicht ganz. Es gab mal eine kurze Zeit, als eine | |
Bundesregierung den Spitzensteuersatz erhöhte. Und die FDP war sogar dabei. | |
In den frühen 70er Jahren stieg der Spitzensteuersatz von 53 auf 56 | |
Prozent und die Erbschaftsteuer von 15 auf 35. Es gab zwar auch ein paar | |
kompliziert zu erklärende faktische Steuersenkungen für Reichere. Aber | |
unterm Strich war der Effekt der SPD-FDP-Regierung: Unternehmen und Reiche | |
zahlten mehr Steuern, Arbeit und Konsum wurden weniger besteuert. | |
Inspiriert war das durch eine äußerst fragwürdige Ideologie voller | |
Umverteilungsfuror. | |
„Freiheit und Recht sind bedroht durch die Tendenz zur Akkumulation von | |
Besitz und Geld, die die Reichen immer reicher werden lässt.“ So stand es | |
1971 im Grundsatzprogramm der FDP. Wenn das Christian Lindner wüsste. Aber | |
da war er noch nicht auf der Welt. Die Einkommensteuer für Gutverdiener zu | |
erhöhen ist vorstellbar und würde auch das Steuerloch des Bundes ordentlich | |
füllen. Also machbar? Durchaus. Wenn wir uns kurz vorstellen, dass die | |
gesamte FDP 2024 von Außerirdischen entführt würde und ideologisch umgepolt | |
zurück auf die Erde käme, stände einer Rückkehr zu den 53 Prozent der | |
Kohl-Ära nichts mehr im Wege. | |
## Was ist mit der Abgeltungsteuer? | |
Zu den rätselhaften Seiten des deutschen Steuersystems gehört die | |
Abgeltungsteuer. Wer viel Geld hat, es verzinst oder Aktien kauft und damit | |
Gewinne macht, zahlt darauf 25 Prozent Steuern. Wenn er gleichzeitig einen | |
normalen Job hat, zahlt er auf das im Schweiße seines Angesichts | |
erarbeitete Geld mehr als 40 Prozent an Abgaben. Belohnt wird also | |
Faulheit, bestraft Arbeit. Es wäre ein Leichtes, zum alten Modell | |
zurückzukehren und Gewinne aus Aktien und Zinsen steuerlich so zu behandeln | |
wie Einkommen aus Arbeit. Das ginge einfach per Gesetz und würde zwar nicht | |
das Haushaltsloch reparieren, aber dem Staat ein paar Milliarden im Jahr | |
bringen. Realisierungschance: siehe oben. FDP-Außerirdische. Leider. | |
## Was kann Lindner von Konrad Adenauer lernen? | |
Ein Land, zerstört vom Krieg; zerbombte Städte; Millionen Vertriebene. Die | |
Rede ist nicht von der Ukraine, sondern von Deutschland nach dem Zweiten | |
Weltkrieg. Auch wenn die Katastrophen in ihrem Ausmaß nicht vergleichbar | |
sind, gibt es Parallelen. Der Wiederaufbau eines Landes und die | |
Versorgung von Menschen, die fliehen mussten, kosten Milliarden. | |
Die damalige Regierung Adenauer und das CSU-geführte Finanzministerium | |
legten 1949 das Gesetz über den Lastenausgleich vor, das 1952 in Kraft | |
trat. Die revolutionäre Idee: Diejenigen, die ihre Vermögen über den Krieg | |
retten konnten, sollten solidarisch mit jenen sein, die alles verloren | |
hatten. Mit einem Mix aus Vermögensabgabe (50 Prozent, grusel, grusel) und | |
Abgaben auf Hypotheken- und Kreditgewinne kamen über 75 Milliarden D-Mark | |
zusammen, die in einen Ausgleichsfonds flossen, aus dem Vertriebene | |
versorgt und der Wiederaufbau bezahlt wurde. Vom Erfolg profitierten auch | |
jene, die den Ausgleich bezahlt hatten. | |
[5][Seit 2022 hat die Unterstützung der Ukraine inklusive Bürgergeld für | |
Geflüchtete den deutschen Staat rund 32 Milliarden Euro gekostet]. Bezahlt | |
aus den laufenden Haushalten. Die Ukraine-Sonderausgaben könnte man mit | |
einer einmaligen Vermögensabgabe abfedern, einem Ukraine-Soli. Und der | |
schlimmste Spardruck wäre weg. | |
Doch was einst von der Union als „herausragender Akt der Solidarität“ | |
gefeiert wurde, gilt heute einigen als Horrorszenario. Findige Anwälte | |
raten im Netz schon dazu, Vermögen stets abzusichern. Die Furcht vor einer | |
Maßnahme spricht für ihre Wirksamkeit. | |
3 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ampel-ringt-um-Haushalt/!6008325 | |
[2] /Ministerin-ueber-Entwicklungspolitik/!5996227 | |
[3] /Volkswirt-ueber-Erbschaftsteuer/!5809291 | |
[4] /Milliardaere-zahlen-in-der-Schweiz-mehr/!6002066 | |
[5] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/krieg-in-der-ukraine/de… | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Stefan Reinecke | |
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