# taz.de -- Berliner Volksbühne gedenkt Pollesch: „Das ist eine Rückrufakti… | |
> Die Berliner Volksbühne hat sich von ihrem verstorbenen Intendanten René | |
> Pollesch verabschiedet. Es war auch ein Abschied vom Diskurstheater. | |
Bild: „Feier was du liebst“: Abschied von René Pollesch in der Volksbühne | |
Seit Jahren fungiert das Banner auf der Volksbühnenfassade zuverlässig als | |
Stimmungsbarometer. Nähert man sich dem legendären Berliner Theater vom | |
Alexanderplatz her, kann man schon von Weitem sehen, wo der Belegschaft des | |
Hauses der Schuh drückt. Zu Zeiten des Intendanten Frank Castorf stand da | |
mal trotzig in Frakturschrift „Ost“, mal in riesigen Lettern „Zweifel“. | |
Als der Belgier Chris Dercon gegen den Widerstand der Belegschaft zum | |
Intendanten ernannt wurde, hieß es „Pfusch“ oder „Ausverkauf“, zuletzt | |
dominierten Botschaften zum Rechtsruck und zu Putins Ukrainekrieg. Seit dem | |
[1][Tod des Regisseurs und, seit 2021, Intendanten René Pollesch] Ende | |
Februar stand da „Danke René“. Zur Pollesch-Gedenkveranstaltung am | |
Donnerstagabend dann also „Feier was du liebst“. | |
Liebe war allgegenwärtig, vor und im Theater: Bereits lang vor | |
Veranstaltungsbeginn versammelte sich am Rosa-Luxemburg-Platz ein treues | |
Publikum, theatersozialisiert oder neu entflammt von René Polleschs | |
wüst-zärtlichem Diskurstheater. | |
Man tauschte Erinnerungen aus an prägende Aufführungen der letzten 25 Jahre | |
wie „Stadt als Beute“ (2002) oder „Diktatorinnengattinen“ (2007), | |
versuchte (meist vergeblich), aus den genial-kapitalismuskritischen | |
Wortkaskaden zu zitieren, die, von seinen Schauspieler:innen atemlos | |
ausgestoßen oder geschrien, so etwas wie Polleschs Markenzeichen waren: | |
„Ich schau dir in die Augen, gesamtgesellschaftlicher | |
Verblendungszusammenhang!“ | |
## Kitschig-schöne Popmomente | |
Einsamkeit im Wohlstand, die Suche nach Liebe in der Konsumgesellschaft, | |
Sätze für die Ewigkeit, die gleich wieder untergingen in den folgenden | |
Textmassen, und kitschig-schöne Popmomente – am Ende eines solchen Abends | |
wankte man mit Summen in den Ohren, aber voller Euphorie aus dem Theater | |
ins Berliner Nachtleben. | |
Während des Gedenkabends unter dem angemessen sperrigen Titel „Schmeiß dein | |
Ego weg und feier was du liebst“ wurde sichtbar, wie integrierend Polleschs | |
Theater auf die diverse Kulturszene der Stadt wirkte: Viele aus der queeren | |
Community waren gekommen, gealterte Ostintellektuelle in strengem Schwarz, | |
junges, bunt gekleidetes internationales Volk. | |
Der linke ehemalige Kultursenator der Stadt, Klaus Lederer, war da, die | |
Autorin und Volksbühnen-Tochter Helene Hegemann, Sängerin Christiane | |
Rösinger … „Es ist wie ein Abschied von der eigenen Jugend“, fasste ein | |
Freund zusammen, der wie viele andere stundenlang am Computer gesessen | |
hatte, um noch Karten für die restlos ausverkaufte Veranstaltung zu | |
kriegen. | |
## Trauerbewältigung auf Volksbühnenart | |
Drinnen war es dann wie früher: Man lungerte in den schummerigen Gängen, | |
nahm Bier und Wein im Becher mit in den Saal. Der Theaterhimmel, der sich | |
bauschte und senkte, war aus oranger Ballonseide, und Martin Wuttke | |
monologisierte im Cowboyoutfit über „Selbstverwirklichungsscheiße“ und den | |
gepflegten Meinungsaustausch auf Sofas. In den folgenden drei Stunden | |
betrieben Polleschs Stammschauspieler:innen und das Publikum gemeinsame | |
Trauerbewältigung auf Volksbühnenart, das heißt laut und ohne Angst vor | |
Pathos. | |
Fabian Hinrichs rannte ziellos im Kreis umher, „Streets of Berlidelphia“ | |
singend: „Es fehlt mir was, es reicht mir nicht.“ Martin Wuttke, Milan | |
Peschel und Trystan Pütter fielen in roten Strampelanzügen slapstickhaft | |
auf den Hintern, stopften sich Kartoffeln in die Hose und verhedderten sich | |
im Mikrofonständer, als sei ihnen mit ihrem Regisseur jegliche | |
Schauspielkunst abhandengekommen. | |
Katrin Angerer klagte, tragikomisch, wie nur sie es kann, über das Drama, | |
das ihr nun fehle, und Sophie Rois führte einen Chor keifender Witwen an, | |
die sich über den Castingprozess beschwerten und fanden, da könne man auch | |
gleich eine Kuh auf die Bühne stellen. Und da kam sie auch schon, eine | |
echte Kuh, von einem Bauern auf die Bühne geführt, und schaute sehr, sehr | |
verloren ins Publikum. | |
## audiovisuelle Überwältigung | |
An Emotionen fehlte es nicht, weder auf noch vor der Bühne: Es gab | |
Anrufungen des Jenseits („Dies ist eine Rückrufaktion!“) und „Jesus Chri… | |
Superstar“-Einlagen, verstiegene Weltallmetaphern und ohrenbetäubenden | |
Sound – die audiovisuelle Überwältigung gehörte schließlich zu jedem | |
gelungenen Pollesch-Abend dazu. | |
Florentina Holzinger und ihre Tanzcrew performten unten ohne im | |
Matrosenlook für ihren von Bord gegangenen Käpt’n, [2][Tocotronic-Sänger | |
Dirk von Lowtzow] sparte beim Singen von „Im Zweifel für den Zweifel“ nicht | |
an Pathos, und im Zuschauerraum wurde hemmungslos geheult. | |
Getränkedosen wurden aus Handtaschen gezogen, auf der Bühne wurde geraucht, | |
geflucht und im Chor „We’ll Meet Again“ angestimmt. Am Ende half alles | |
nichts, es war vorbei. Man ging ergriffen aus dem Haus, erfüllt von einer | |
Theaterära, die, das lag den ganzen Abend über in der Luft, am | |
Rosa-Luxemburg-Platz endgültig zu Ende ging. | |
26 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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