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# taz.de -- Höcke-Prozess wegen SA-Parole: Ausreden eines Geschichtslehrers
> Höcke nutzt NS-Vokabular, um erinnerungspolitische Grenzen zu verschieben
> und die NS-Zeit zu relativieren. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht.
Bild: Große Flagge, nix dahinter: Björn Höcke bei einer Demo vor dem Thürin…
Berlin taz | Es war ein bemerkenswerter Wortwechsel, den sich
Rechtsextremist Björn Höcke (AfD) mit dem Multi-Milliardär und Twitter-Chef
Elon Musk vor einer Woche auf der Plattform X geliefert hat: Der
AfD-Landesvorsitzende aus Thüringen opferte ganz undeutsch auf Englisch auf
der Plattform herum, dass ihm der Prozess gemacht werde. Was man als
Rechtsextremist halt so sagt, wenn man [1][verbotene SA-Parolen] wiederholt
hat. Überraschend jedoch war, dass Musk dem deutschen Rechtsextremisten
tatsächlich antwortete und wissen wollte, was er gesagt habe und warum das
strafbar sei.
Höcke nutzte die internationale Bühne und versuchte die Agenda für seinen
am Donnerstag in Halle anstehenden Gerichtsprozess zu setzen, bei dem er
wegen mehrfacher Verwendung des SA-Spruchs „Alles für Deutschland“
angeklagt ist. „In Deutschland wird jeder Patriot als Nazi diffamiert“,
antwortete Höcke Musk auf X, „das soll verhindern, dass Deutschland sich
wieder findet“.
Was er mit „wieder finden“ meint, daran ließ er stets wenig Zweifel: Höcke
ist bekannt geworden mit NS-relativierenden Tabubrüchen und
erinnerungspolitischen Grenzverschiebungen – ob es nun die [2][offenkundig
bewusste Verwendung von NS-Sprech] mit Wörtern wie „Tat-Elite“ ist oder die
Forderung einer [3][„erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“]. Auf Höckes
Antwort reagierte Musk bislang nicht.
Der Chatverlauf könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was die
Öffentlichkeit im Hochsicherheitssaal des Justizzentrums Halle ab
Donnerstag erwarten dürfte. Zahlreiche Medienvertreter*innen sind
für den Prozess akkreditiert, es ist sogar ein zusätzlicher Mediensaal
eingerichtet.
Gut möglich, dass Höcke seinen Strafprozess, bei dem er als Angeklagter
persönlich erscheinen muss, auf diese Weise sogar als Wahlkampfbühne nutzen
will. Diesen Eindruck hinterließ der Rechtsextremist zuletzt auch [4][beim
TV-Duell] mit dem CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt, als er bei Welt-TV die
SA-Parole vor einem Millionenpublikum als „Allerweltsspruch“ verharmlosen
durfte.
Die Telekom hätte doch auch schon „Alles für Deutschland“ in der Werbung
benutzt, behauptete Höcke, ebenso hätte der Spruch an einer Feuerwache im
brandenburgischen Jänschwalde gestanden. Tatsächlich bestreitet die Telekom
das und will rechtlich gegen Höcke vorgehen und der Spruch an der Feuerwehr
wurde erst 1935 angebracht, als die Nazis schon an der Macht waren.
## Höcke in bester NS-Gesellschaft
Höckes Agendasetting wird noch haarsträubender, wenn man sich anschaut, wer
historisch so alles den Satz „Alles für Deutschland“ benutzt hat. Allen
voran etwa die bei den Nürnberger Prozessen verurteilten
Hauptkriegsverbrecher des Nationalsozialismus: So sagte [5][Wilhelm
Keitel], der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, bevor er gehängt wurde:
„Alles für Deutschland“.
Der Stellvertreter Adolf Hitlers, [6][Rudolf Heß, sagte bei einer
Fahnenweihe]: „Sie sollen wehen als Mittelpunkt des Deutschtums und Euch
mahnen und Euch Kraft geben, Euer Leben dem Gedanken unterzuordnen: Alles
für Deutschland!“, und [7][Alfred Meyer], Teilnehmer der Wannseekonferenz
1942, auf der der Holocaust organisiert wurde, sagte nach dem missglückten
Stauffenberg-Attentat: „Kapitulieren niemals! Alles für Deutschland! Alles
für unseren Führer Adolf Hitler!“ [8][Die Liste ließe sich verlängern].
Höcke hat den SA-Spruch, soweit bekannt, erstmals öffentlich am Ende einer
Wahlkampfrede 2021 im sachsen-anhaltinischen Merseburg benutzt. Im Dezember
2023 wiederholte er die Parole indirekt. Bei einer Rede forderte er sein
Publikum in Gera dazu auf, die Parole zu verwenden: Höcke beklagte sein
Verfahren wegen der Parole „Alles für …“ und forderte das Publikum per
Handgeste auf, den SA-Spruch zu vervollständigen. Das Publikum antwortete
lauthals: „… Deutschland!“
Auch dieses Ereignis hat das Gericht letzte Woche in die Anklage
aufgenommen. Ursprünglich war Höcke nur für seine erste Verwendung
angeklagt, mit der Wiederholung der Parole dürfte er sich aus
strafrechtlicher Sicht keinen Gefallen getan haben, ebenso wenig durch
seine Social-Media-Ausführungen.
Der Historiker Martin Sabrow [9][sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland]
zur Verwendung der SA-Losung, die diese ab 1934 auf „Ehrendolche“ prägte:
„Höcke spielt mit der provokanten Doppeldeutigkeit dieser Losung, die ihre
eigentliche Gewalthaftigkeit erst performativ, also im Kontext ihrer
Verwendung als pathetischer Slogan entfaltet.“ Aus seiner Sicht sei schwer
zu sagen, ob das Merseburger Publikum der Wahlkampfrede Höckes die giftige
Einbindung in einen harmlos scheinenden Appell bewusst wahrnahm – „gewiss
aber taten es die Hörer, die in Gera Höckes skandierte Parole in
begeistertem Echo vollendeten.“
## Anklage ließ auf sich warten
Strafrechtler hatten sich darüber gewundert, dass die
[10][Staatsanwaltschaft für die Anklage so lange gebraucht hatte] – denn
strafrechtlich ist der Fall nicht wirklich kompliziert oder umstritten. Der
Ex-BGH-Richter Thomas Fischer nannte die lange Verfahrensdauer
„ungewöhnlich“, auch der Strafrechtsprofessor Mohamad El-Ghazi zeigte sich
verwundert. Schließlich sei es für einen Rechtsextremisten und
Geschichtslehrer schwierig, sich auf historisches Nichtwissen zu berufen.
Auch wenn Höcke das voraussichtlich tun will, scheint das wenig
überzeugend: So gab es im Kontext mit der AfD bereits 2017 eine breite
Debatte um dieselbe SA-Losung im Zusammenhang mit der AfD. Damals hatte der
AfD-Politiker Ulrich Oehme die Parole auf Plakate gedruckt. Oehme
überklebte die Plakate nach einer Strafanzeige und breiter medialer
Berichterstattung.
Und auch die Frage der Strafbarkeit gilt als geklärt: Es gibt bereits ein
[11][Urteil des Oberlandesgerichts Hamm von 2006] zu einem ähnlichen
Sachverhalt. Das Gericht verurteilte eine Person, weil diese exakt die
Losung „Alles für Deutschland“ verwendet hatte. Auch der
[12][wissenschaftliche Dienst des Bundestags] sieht „das Verwenden der
Sentenz 'Alles für Deutschland im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung“
als einen „strafbaren Ausspruch“ an – „da es sich hierbei um die Losung…
SA handelte“. Strafbar ist das Verwenden von Kennzeichen
verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach Paragraf 86a
mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe.
Sogar sein passives Wahlrecht kann Höcke durch den Prozess eventuell
verlieren, wie mittlerweile eine Gerichtssprecherin angab. Wenn er zu
mindestens sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wird, könnte ihm das
Gericht auch das aktive und passive Wahlrecht absprechen. Eine
[13][Petition mit 1,7 Millionen Unterschriften] fordert derzeit, dem
Rechtsextremisten das Wahlrecht zu entziehen.
Korrektur, 19.4.: In einer früheren Version des Artikels hieß es
fälschlich, dass Höcke sein passives Wahlrecht durch den Prozess nicht
verlieren könne. Das haben wir korrigiert.
17 Apr 2024
## LINKS
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86a.html
[2] https://www.diss-duisburg.de/2016/11/zur-ns-rhetorik-des-afd-politikers-bjo…
[3] /Bjoern-Hoeckes-Dresden-Rede/!5372797
[4] /TV-Debatte-von-Hoecke-und-Voigt/!6001296
[5] https://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/nuernberger-prozesse-der-tod…
[6] https://diglib.uibk.ac.at/download/pdf/3963103?name=2981938
[7] https://www.zellentrakt.de/downloads/materialien/Chronik_der_Stadt_Herford_…
[8] https://twitter.com/ostdivan/status/1736768956122407328
[9] https://www.rnd.de/politik/bjoern-hoecke-worum-es-im-naziparolen-prozess-ge…
[10] /AfD-Politiker-zitierte-SA-Losung/!5906821
[11] https://openjur.de/u/110702.html
[12] https://www.bundestag.de/resource/blob/869290/c8bd5f14ef172eb76e4148488661…
[13] https://aktion.campact.de/weact/hocke-stoppen/teilnehmen
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Björn Höcke
Rechtsextremismus
Gerichtsprozess
GNS
Schwerpunkt Demos gegen rechts
Schwerpunkt Landtagswahl Thüringen
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Kolumne Ernsthaft?
Björn Höcke
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