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# taz.de -- Epidemiologe über Corona-Aufarbeitung: „Das ist wirklich nur Mei…
> Wie soll eine Aufarbeitung gelingen, wenn fast alle Beteiligte der
> Pandemie-Politik waren? Jedenfalls nicht wie bisher, sagt der
> Epidemiologe Hajo Zeeb.
Bild: Hier wäre gesellschaftliche Aufarbeitung gut: Schulschließungen währen…
taz: Herr Zeeb, aktuell wird über einzelne Punkte aus über [1][200
Protokollen des Robert-Koch-Instituts diskutiert]. Ist das eine geeignete
Form der Aufarbeitung der Corona-Pandemie?
Hajo Zeeb: Es sind sich sehr viele Menschen darin einig, dass die
Aufarbeitung noch nicht in ausreichendem Maße stattgefunden hat. Aber das,
was jetzt da passiert, davon hat niemand irgendwas. Das ist wirklich nur
Meinungsmache und hat auch wenig Hand und Fuß, wenn man genauer draufguckt.
Lassen Sie uns die am meisten diskutierten Punkte einmal durchgehen. Da
geht es zum Beispiel um die Frage, wer im März 2020 über die
Veröffentlichung einer Höherstufung der Risikobewertung entschieden hat.
Der Name der betreffenden Person ist geschwärzt, es wurde zunächst
gemutmaßt, es könne sich um eine Person aus der Politik handeln. Laut RKI
und Bundesgesundheitsministerium verbirgt sich hinter der Schwärzung aber
doch der Name eines RKI-Mitarbeiters.
Dazu kann ich nur sagen, dass solche Entscheidungen auf wissenschaftlicher
Grundlage getroffen werden müssen. Was offenbar der Fall war. Selbst wenn
letztlich ein Politiker über die Veröffentlichung entschieden hätte, würde
mich das ehrlich gesagt nicht wundern. Es ist doch klar, dass bei solchen
Entscheidungen in so einer Lage Wissenschaft und Politik Hand in Hand
gehen.
Es gab schon vor dieser Causa die Kritik, dass das Robert-Koch-Institut
unabhängiger sein müsste. Teilen Sie die?
Der ehemalige Leiter des RKI, Lothar Wieler, hat selbst betont, wie wichtig
es ist, dass das Robert-Koch-Institut unabhängig arbeiten kann.
Da gab es aber auch durchaus Reibungspunkte in der Corona-Zeit. Es ist doch
ein Fakt, dass das Robert-Koch-Institut dem Bundesgesundheitsministerium
direkt untersteht.
Das RKI arbeitet schon wissenschaftlich unabhängig, aber sie sind im
Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums. Das ist eine feine
Linie. Der Gesundheitsminister entscheidet, was er mit den Informationen
aus dem RKI macht, aber er kann nicht sagen, ihr dürft nur das und das
machen und zwar nur so und so. Dafür hat er doch auch gar nicht die Zeit
und die Muße.
Da wäre ich mir bei Herrn Lauterbach nicht so sicher.
(Lacht) Selbst Herr Lauterbach schafft es nicht, alles selbst zu
überblicken. Er muss sich darauf verlassen, dass die Mitarbeiter:innen
des RKI ihre Arbeit gut machen.
Sie pochen selbst immer wieder darauf, dass politische Entscheidungen auf
der Grundlage hinreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse, sogenannter
Evidenzen, getroffen werden. Aus den veröffentlichten RKI-Protokollen geht
hervor, dass im Oktober 2020 diskutiert wurde, dass es für das Tragen von
FFP2-Masken als Infektionsschutz keine Evidenz gibt – und trotzdem wurden
sie kurz darauf breit empfohlen.
Bis zur Pandemie wurden FFP2-Masken nur im Arbeitsschutz und vor allem als
Staubmasken verwendet. Für eine breite Anwendung zum Schutz vor Infektionen
gab es tatsächlich sehr wenig Evidenz, fast ausschließlich aus dem
Gesundheitswesen. In so einem Fall, in dem es um schnellstmöglichen
Infektionsschutz auf Bevölkerungsebene geht, kann man nur mit Annahmen und
Analogien arbeiten und diese dann korrigieren, sobald es mehr
wissenschaftliche Erkenntnisse gibt.
In der Pandemie gab es immer beides: Auf der einen Seite den Ruf nach mehr
wissenschaftlichen Erkenntnissen, bevor Freiheiten eingeschränkt werden.
Auf der anderen Seite die Forderung nach schnellen und klaren politischen
Empfehlungen – ich erinnere nur [2][an die Kinderimpfung].
Absolut. Daran sieht man doch aber auch, dass die Wissenschaft versucht
hat, sich von Druck frei zu machen und eben nicht nur Entscheidungen und
Empfehlungen in die eine Richtung getroffen hat.
Ein weiterer Kritikpunkt aus den RKI-Protokollen sind die Kontroversen um
den Impfstoff Astra-Zeneca. Es sei im RKI diskutiert worden, dass dieser
schlechter wirke als die MRNA-Impfstoffe, und trotzdem sei er für alle
Altersgruppen empfohlen worden.
Da ist das Skandalisierungspotential besonders dünn. [3][Es war von Anfang
an bekannt, dass der Wirkungsgrad des Astra-Zeneca-Impfstoffs geringer
ist]. Trotzdem war das ein getesteter und zugelassener Impfstoff in einer
Zeit, in der es zu wenig Impfstoff gab. Der Wirkungsgrad war im Vergleich
zu anderen Impfstoffen auch gut, nur waren die MRNA-Impfstoffe eben noch
besser. Global gesehen hat der Astra-Zeneca-Impfstoff übrigens sehr viel
Gutes geleistet, weil er für mehr Länder zugänglich war – das war die
Politik der Oxford University, die ja an der Entwicklung beteiligt war. Als
sehr seltene Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt wurden und später dann
in Deutschland genug Impfstoff da war, wurden die Empfehlungen auch
entsprechend korrigiert.
Aus den Protokollen wurde schließlich noch die Aussage herausgegriffen,
dass ein Lockdown mehr Schaden verursache als die Pandemie selbst.
Allerdings bezog sich die zitierte Aussage gar nicht auf Deutschland,
sondern auf Afrika.
Das ist ein klassisches Beispiel für eine aus dem Kontext gerissene
Aussage. Was tatsächlich in Deutschland nicht ausreichend stattgefunden
hat, war eine breit aufgestellte Diskussion über die Folgen von Maßnahmen
wie etwa Schulschließungen. Der virologische Blick war vor allem in der
Anfangszeit zu bestimmend.
Wie kann aus Ihrer Sicht eine geeignete Aufarbeitung aussehen?
Man sollte sich die zentralen Entscheidungen, die Meilensteine in der
Corona-Pandemie noch mal vornehmen und fragen, wie genau ist es dazu
gekommen? Wie wird das im Nachhinein beurteilt? Wo ist vielleicht was
fehlgelaufen? Das können Entscheidungen über Schulschließungen sein oder
darüber, ob man zu zweit im Park spazieren geht. War es sinnvoll, diesen
harten Lockdown zu machen oder nicht? Da haben wir auch eine Vielzahl von
Ländern, mit denen wir uns vergleichen können, von Italien bis Schweden.
Wer sollte an dieser Aufarbeitung beteiligt sein?
Menschen aus Wissenschaft, Politik, Gesundheitswesen und anderen
beteiligten Organisationen, aber auch die Bürger selbst. Die kann man jetzt
gut befragen und mit in die Bewertung reinnehmen. Auch
Finanzierungsmechanismen und die Zusammenarbeit zwischen den Ländern
gehören auf den Prüfstand.
Sehen Sie, dass das stattfindet?
Sagen wir mal so, es gibt Signale, es gibt eine Offenheit dafür – auch mit
Blick auf künftige Pandemien. Aber der Alltag ist so dominant, dass die
Aufarbeitung immer wieder aus dem Blick gerät.
Ist es ein Problem, dass alle, die das jetzt eigentlich aufarbeiten könnten
und müssten, selbst involviert gewesen sind?
Eine unabhängige Moderation wäre gut, aber ich weiß auch nicht genau, wo
die herkommen soll nach einer Pandemie, in der quasi alle Beteiligte waren.
Vielleicht kann die Lösung nur sein, dass bei der Aufarbeitung eine breite,
repräsentative Gruppe aus den verschiedenen Bereichen beteiligt ist und
nicht nur einzelne Expert*innen.
Teilen Sie die Sorge, die zum Beispiel Karl Lauterbach äußert, dass eine
politische Aufarbeitung vor allem Populisten in die Hände spielen könnte?
Populisten werden weiterhin versuchen, mit Corona irgendwie Stimmung zu
machen, weil das Thema berührt. Und sie werden sich, genau wie es jetzt
passiert, das für sie Nützliche herauspicken – egal ob es eine umfassende
Aufarbeitung gibt oder nicht. Ich glaube, wir sollten davon losgelöst eine
vernünftige Aufarbeitung machen, die demokratischen und fairen Ansprüchen
genügt.
Lässt sich wissenschaftliche und politische Aufarbeitung voneinander
trennen?
Ich wüsste nicht, was der Sinn davon sein sollte. Es war in der
Vergangenheit so und wird auch in Zukunft hoffentlich so sein, dass die
Wissenschaft Daten liefert, die der Politik als Entscheidungsgrundlage
dient. Das lässt sich nur zusammen betrachten.
Wenn man den Gesundheitsminister nach einer Aufarbeitung fragt, verweist er
jedenfalls auf den Nachfolger des Corona-Expert*innenrat – den neuen
wissenschaftlichen [4][Expert*innenrat „Gesundheit und Resilienz]“.
Das ist immerhin ein wissenschaftlich sehr breit aufgestellter Rat. Die
haben ihre erste Sitzung gerade gehabt, haben aber Schweigepflicht.
Allerdings sollen die ja nicht nur Aufarbeitung betreiben…
…sondern vor allem Zukunftsstrategien erarbeiten. Das klingt ganz schön
viel für ein ehrenamtliches Gremium oder?
Ja, vor allem innerhalb eines Jahres und mit Leuten, die wahrlich alle
nicht unterbeschäftigt sind. Das kann aus meiner Sicht nur ein Ansatz der
Aufarbeitung sein, aber es sollte nicht der einzige bleiben.
Würden Sie eine politische Aufarbeitung zum Beispiel in Form einer
Enquete-Kommission begrüßen?
Ich bin zum Glück kein Politiker, aber ich fände einen formalisierten
Prozess der Aufarbeitung, egal wie man den jetzt genau nennt, durchaus
wünschenswert.
29 Mar 2024
## LINKS
[1] /Verschwoerungsmagazin-und-RKI-Files/!6000899
[2] /Stiko-Vorsitzender-ueber-Kinderimpfung/!5817945
[3] /Verwirrung-um-Impfstoff/!5772103
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/expertinnenrat-gesundheit-und-…
## AUTOREN
Manuela Heim
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