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# taz.de -- Homöopathie-Streit in der Ampel: Die heiligen Kügelchen der Grün…
> Der Vorschlag von Gesundheitsminister Lauterbach, Homöopathie als
> Kassenleistung zu streichen, scheitert wohl am Veto der Grünen. Die sind
> sich uneinig.
Bild: Sollen nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden: …
In der SPD wundern sie sich demonstrativ. Als besonders durchsetzungsstark
haben sie die Grünen in den letzten beiden Jahren eigentlich nicht erlebt.
Asylpolitik, Klimaschutzgesetz, LNG-Terminals: In der Ampel räumte die
Ökopartei eine Position nach der anderen ab. Standhaft bleibt sie jetzt
aber ausgerechnet bei Mittelchen, die nach überwiegender Meinung der
Wissenschaft gar nichts bewirken. „Eine solche Härte hätte ich vom
Koalitionspartner eher in Umweltschutzdebatten erwartet“, sagt Christos
Pantazis, der gesundheitspolitische Sprecher der
Sozialdemokrat*innen im Bundestag.
Anlass für den Spott ist eine Angelegenheit, die in den Tagen vor Ostern
publik wurde. Da hatte der sozialdemokratische Gesundheitsminister Karl
Lauterbach innerhalb der Regierung gerade einen [1][neuen Entwurf seines
Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes verschickt, das verschiedene
Reformen vereint]. Ursprünglich hatte es auch vorgesehen, dass die
Krankenkassen keine homöopathischen Leistungen und Arzneimittel mehr
bezahlen dürfen. In der neuen Version fehlt die Passage.
Das Wirtschaftsministerium des grünen Vizekanzlers Robert Habeck habe sein
Veto eingelegt, berichtete die Bild kurz darauf. Habecks Haus dementiert
die Darstellung auf Anfrage nicht. Aus Ministeriumskreisen heißt es, die
Ampel wolle Fragen zu „nicht evidenzbasierten Behandlungsmethoden“ im
Rahmen des parlamentarischen Prozesses klären – also sobald der
Gesetzesentwurf aus dem Kabinett in den Bundestag gewandert ist. Auch
Lauterbachs Haus verweist auf die weiteren Verhandlungen. Aufgegeben habe
der Minister seinen ursprünglichen Plan nicht, die Homöopathie wolle er
weiterhin von den Kassenleistungen ausschließen.
Das Thema wird also weiterköcheln. Eine heikle Aussicht vor allem für die
Grünen, bei denen man hinter der Berichterstattung ein Vorwahlkampfmanöver
vermutet. Die SPD habe der Presse wohl gezielt gesteckt, woher die Einwände
gegen die Homöopathie-Streichung kamen – mit dem Ziel, einen innergrünen
Konflikt neu aufzureißen, den die Partei vor vier Jahren unter großen Mühen
halbwegs befriedet hatte.
Über ein Jahr lang hatte sie damals sehr öffentlich um ihren Umgang mit der
Homöopathie gerungen. Traditionell ist die Skepsis gegenüber der
Schulmedizin in grünen Milieus überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Das
schlug sich früher auch in grünen Programmen nieder. 2019 wollte eine
Gruppe vor allem junger Mitglieder daran etwas ändern: [2][In einem
Parteitagsantrag forderten sie den Bruch mit der Homöopathie]. In der
Klimapolitik auf Wissenschaft und Evidenz zu pochen, in der
Gesundheitspolitik darauf zu pfeifen – das passe nicht zusammen.
## Homöopathie sei kein drängendes Problem
Die Auseinandersetzung zwischen ihnen und dem Globuli-Flügel nahm in den
folgenden Monaten mehrere Wendungen, [3][an deren Ende ein
Vorstandsbeschluss aus der Feder des damaligen Vorsitzenden Habeck stand].
Die gesetzlichen Krankenkassen, hieß es darin, sollen homöopathische
Leistungen höchstens noch in Sondertarifen bezahlen. Ein weniger direkt
formulierter Satz schaffte es auf dem nächsten Parteitag auch ins
Grundsatzprogramm: „Leistungen, (…) deren Wirksamkeit wissenschaftlich
erwiesen ist, müssen von der Solidargemeinschaft übernommen werden.“
Unterm Strich stand also eine Absage an den Status quo, in dem die
Homöopathie zwar nicht zum Standardprogramm der gesetzlichen Kassen gehört,
von vielen aber als freiwillige Zusatzleistung angeboten wird. Im
Wettbewerb um die Versicherten, bei denen Kügelchen und Co zum Teil beliebt
sind, dienen diese Angebote als wichtige Werbemaßnahme. Ermöglicht wird ihr
Status durch Sondervorschriften, denen zufolge für homöopathische Therapien
das strenge Zulassungsverfahren für Arzneimittel nicht gilt. Ihr Nutzen
muss nicht durch kontrollierte Studien nachgewiesen werden. Diese
Sondervorschriften will Lauterbach eigentlich streichen.
Warum stellen sich die Grünen jetzt entgegen ihren Beschlüssen quer? Die
Lage in der Partei ist vielschichtig. Einige Akteure sind von der
Wirksamkeit der Homöopathie weiterhin überzeugt und haben sich der neuen
Programmatik nie gebeugt.
Der Lauteste unter ihnen ist Manfred Lucha, Gesundheitsminister in der
Anthroposophen-Hochburg Baden-Württemberg. Lauterbachs Pläne hat der
63-Jährige in den letzten Monaten immer wieder öffentlich kritisiert. Zu
unterschätzen sind solche Stimmen aus den Ländern schon deswegen nicht,
weil das Gesetz unter Umständen die Zustimmung des Bundesrats benötigt.
Eine Anti-Homöopathie-Klausel könnte dort zum Risiko für das gesamte Paket
werden.
Luchas Chef, Ministerpräsident Winfried Kretschmann, ist zwar kein
Globuli-Fan. Er argumentiert aber pragmatisch gegen eine Reform:
[4][Angesichts der geringen Kosten sehe er die Homöopathie nicht als
drängendes Problem], sagte er schon im Januar. Für homöopathische
Arzneimittel haben alle gesetzlichen Krankenkassen zusammen laut deren
Spitzenverband 2021 rund 7 Millionen Euro ausgegeben, für die ebenfalls
betroffenen anthroposophischen Arzneien knapp 15 Millionen Euro. Dem
gegenüber standen Gesamtausgaben von 300 Milliarden Euro.
In den letzten Wochen war diese Argumentation auch aus Berliner
Grünen-Kreisen zu hören: Einzusparen sei an der Stelle wenig. Warum also
ausgerechnet jetzt der ohnehin schon nervösen Gesellschaft noch ein
Reizthema vor die Nase setzen? Knapp 200.000 Unterschriften erhielt allein
schon eine Bundestagspetition, die Homöopathie-Anhänger*innen im Januar
nach Lauterbachs ersten Ankündigungen online gestellt hatten.
## Angst vor einer öffentlichen Globuli-Debatte
Ähnliche Abwägungen gibt es auch unter Grünen im Bundestag, der den Streit
nach dem Willen der Minister in den nächsten Monaten entscheiden soll. Der
Arzt und Gesundheitspolitiker Armin Grau betont zwar, dass es für die
Wirkung der Homöopathie keinen Nachweis gebe. Aber auch er verweist auf das
niedrige Einsparpotenzial. [5][„Weitaus wirksamer wäre es, Fehlanreize
abzubauen, die zu unnötigen Behandlungen und Eingriffen führen, bei denen
Patienten potenziell Schaden zugefügt werden kann und bei denen wir es mit
hohen Kosten zu tun haben“], sagt er. „Unter diesem Aspekt sollte man sich
überlegen, ob man wirklich bei der Homöopathie anfangen will.“
Schwer zu sagen, ob das auch der Mehrheitsmeinung in der Fraktion
entspricht. Unter den Abgeordneten ist in diesen Tagen ein starker Wille zu
spüren, der Konkurrenz keinen Gefallen zu tun und nicht schon wieder eine
so öffentliche Globuli-Debatte zu führen wie vor vier Jahren.
Wortführer*innen von damals halten sich zurück. Manche Abgeordnete
wollen nicht namentlich zitiert werden, andere sind noch im Osterurlaub und
nicht zu sprechen. Auch die Parteivorsitzenden wollen das Thema nicht
öffentlich bespielen. Es gebe den Parteitagsbeschluss zum Thema, lassen sie
eine Sprecherin nur ausrichten.
Nicht zu hoch hängen: erst mal nicht die schlechteste
Kommunikationsstrategie in einer Diskussion, aus der die Grünen
erfahrungsgemäß nicht ohne Ärger aus dem einen oder dem anderen Lager
herausgehen können. Fraglich ist aber, ob sie diesen Kurs auf Dauer
durchhalten können.
Im Bundestag zumindest zeigen die Ampelpartner bislang keine Neigung, den
Konflikt im Stillen zu lösen. Die FDP fordert auf Share-Pics in den
sozialen Medien bereits: „Homöopathie als Kassenleistung streichen.“ Und
für die SPD kündigt Gesundheitspolitiker Pantazis an: „Wir werden
versuchen, die Streichung im parlamentarischen Verfahren wieder
reinzuverhandeln.“
Der einzige Punkt des Gesetzespakets, der im Bundestag noch für Diskussion
sorgen könnte, ist die Homöopathie allerdings nicht. Andere gehen gegenüber
dem Globuli-Streit nur unter: zum Beispiel, dass neue Medizin-Studienplätze
statt vom Staat in Zukunft vor allem von den gesetzlichen Krankenkassen
bezahlt werden sollen. Von einer „kulturpolitisch aufgeladenen
Scheindebatte um die Homöopathie“ spricht daher Kathrin Vogler,
Gesundheitspolitikerin der Linken. Die Diskussion solle nur davon ablenken,
was auf die Beitragszahler eigentlich zukomme: große Reformvorhaben auf
ihre Kosten.
8 Apr 2024
## LINKS
[1] /Medizinforschungsgesetz/!5997894
[2] /Gruene-und-Homoeophatie/!5629256
[3] /Gruenen-Konflikt-ueber-Homoeopathie/!5702645
[4] /Homoeopathie-als-Kassenleistung/!5982597
[5] /Anthroposophische-Medizin/!5985535
## AUTOREN
Manuela Heim
Tobias Schulze
## TAGS
Robert Habeck
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