| # taz.de -- Suizidhilfe in Deutschland: Auch psychisch Erkrankte können entsch… | |
| > Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben setzt einen „autonom | |
| > gebildeten freien Willen“ voraus. Die Einzelheiten sind allerdings noch | |
| > umstritten. | |
| Bild: In Karlsruhe kommen die Richter nicht zum Schluss, dass eine psychische K… | |
| Karlsruhe taz | Wann darf ein Arzt einer psychisch kranken Person beim | |
| Suizid helfen? In Deutschland ist das bisher nicht gesetzlich geregelt. Bis | |
| auf weiteres muss das deshalb die Rechtsprechung klären. Von zentraler | |
| Bedeutung ist dabei das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, das das | |
| Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 aus der Menschenwürde und dem | |
| allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet hat. Die Entscheidung zu | |
| sterben, sei ein „Akt autonomer Selbstbestimmung“, der von Staat und | |
| Gesellschaft zu respektieren sei. Dieses Recht haben nicht nur Schwer- und | |
| Todkranke, es gilt vielmehr in jeder Phase des Lebens. | |
| Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben setzt allerdings einen „autonom | |
| gebildeten freien Willen“ voraus, so das Karlsruher Gericht. Eine | |
| psychische Krankheit könne „eine erhebliche Gefahr für eine freie | |
| Suizidentscheidung“ sein. Die Richter:innen zitierten Sachverständige, | |
| wonach bei rund 90 Prozent der erfolgreichen Suizide eine psychische | |
| Störung vorlag. | |
| Die Richter kommen aber nicht zum Schluss, dass eine psychische Krankheit | |
| generell eine freie Entscheidung ausschließt. Sie stellen fest, dass zwar | |
| 40 bis 60 Prozent der erfolgreichen Suizide auf Depressionen beruhen, die | |
| Depression aber nur bei 20 bis 25 Prozent der Suizident:innen zu einer | |
| eingeschränkten Einwilligungsfähigkeit führte. | |
| An einer anderen Stelle des Urteils betont das Gericht, dass der freie | |
| Wille „unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung“ gebildet werden | |
| muss. Auch dies zeigt, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht jede | |
| psychische Erkrankung die Freiheit der Entscheidung aufhebt, sondern nur | |
| die „akute“ Störung. Vor allem betont Karlsruhe, dass die Entscheidung zum | |
| Suizid von einer gewissen „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ | |
| getragen sein muss. Dieses Konstanz-Erfordernis betrifft nicht nur | |
| psychisch Kranke, aber auch. | |
| ## Der Gesetzgeber kann sich jederzeit einschalten | |
| Damit ist klar: Gerichte dürfen psychisch Kranken nicht generell das Recht | |
| auf selbstbestimmtes Sterben (und entsprechende ärztliche Hilfe) | |
| verweigern. Der genaue Maßstab, wann der Wille einer psychisch kranken | |
| Person beachtlich ist und wann nicht, muss von der Rechtsprechung aber noch | |
| entwickelt werden. | |
| [1][Die Entscheidung des Landgerichts Berlin am Montag] und ein ähnliches | |
| Urteil des Landgerichts Essen vom Februar sind die wohl ersten | |
| entsprechenden Versuche. Die schriftlichen Urteilsgründe, die noch nicht | |
| vorliegen, werden genau diskutiert werden. Allerdings wird in beiden | |
| Verfahren der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Revision angerufen. Der BGH | |
| kann dann einen bundesweit gültigen Maßstab entwickeln. | |
| Wenn der BGH die strafrechtliche Verurteilung der Ärzte aufrechterhält, | |
| können diese noch das Bundesverfassungsgericht anrufen, das den Maßstab des | |
| BGH verändern könnte, wenn er zu streng ist. Kommt der BGH zu Freisprüchen, | |
| ist der Weg zum Bundesverfassungsgericht jedoch verschlossen. | |
| Auch der Gesetzgeber kann sich jederzeit einschalten und verbindliche | |
| Regeln aufstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag | |
| ausdrücklich offen gelassen, „ein prozedurales Sicherungskonzept zu | |
| entwickeln“, also vor allem das Verfahren zu regeln. Dies versuchten zwei | |
| Gesetzentwürfe, [2][die im Juli 2023 im Bundestag jedoch keine Mehrheit | |
| fanden]. Beide Entwürfe sahen übereinstimmend vor, dass ein:e Fachärztin | |
| für Psychiatrie prüfen soll, ob eine „die autonome Entscheidungsfindung | |
| beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt“. Nur nach dieser Prüfung | |
| (und einer Beratung) sollten Ärzte legal bei der Selbsttötung helfen | |
| dürfen. | |
| Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem | |
| Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: | |
| Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern | |
| 0800 / 111 0 111 und 0800 /111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet | |
| ist möglich unter [3][http://www.telefonseelsorge.de] | |
| 9 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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