# taz.de -- Entscheidung über Sterbehilfe: Am Ende überwogen die Nein-Stimmen | |
> Zwei Gesetzentwürfe zur ärztlichen Suizidhilfe sind im Bundestag | |
> gescheitert. So fehlt weiter Rechtssicherheit für Sterbewillige, -helfer | |
> und Ärzte. | |
Bild: Bundestagsabgeordnete stimmten am Donnerstag gegen zwei Gesetzesentwürfe… | |
Der Sound wurde mitunter recht pastoral. Noch nie habe sie so „voller | |
Demut“ vor dem Bundestag gestanden, sagte Kathrin Helling-Plahr (FDP) bei | |
der Vorstellung des liberalen Entwurfs zur Neuregelung der Suizidhilfe. | |
„Ich mache mir Sorgen um die, die denken, ich falle anderen zur Last. Wir | |
sollten ihnen zurufen: Jedes Leben in diesem Land ist etwas wert!“, | |
erklärte Lars Castellucci (SPD), der den konservativen Gesetzentwurf | |
präsentierte. | |
[1][Beide konkurrierende Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe], die jeweils aus | |
fraktionsübergreifenden Gruppen von Abgeordneten kamen, gewannen am | |
Donnerstag im Bundestag keine Mehrheit. Damit wird es vorerst keine neue | |
gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland geben. Ärzt:innen | |
dürfen wie bisher Hilfe zur Selbsttötung leisten, solange die | |
Freiverantwortlichkeit der Suizident:innen gewährleistet ist. | |
Castellucci sagte nach der Abstimmung, es müsse „unbedingt bald einen neuen | |
Anlauf geben“. Es brauche Rechtssicherheit, Klarheit und Schutz für alle | |
Beteiligten. | |
Die Vorsitzende [2][des Deutschen Ethikrats], Alena Buyx, bedauerte mit | |
Blick auf Betroffene das Scheitern der Gesetzesinitiativen. Nicht nur | |
Patient:innen, auch Ärzt:innen, Pflegekräfte und Einrichtungen hätten das | |
Bedürfnis nach Klarheit, sagte Buyx dem Evangelischen Pressedienst (epd). | |
Beide Anträge hätten nach Auffassung von Sachverständigen aber Schwächen | |
gehabt, meinte Buyx. | |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bedauerte, dass „keiner der | |
Anträge eine Mehrheit gefunden hat“. Dadurch bestehe zwar „keine komplette | |
Rechtsunsicherheit“, es sei aber nicht ganz klar, wie sich die Situation | |
jetzt für die Ärzt:innen darstelle. Er gehe davon aus, dass jetzt offene | |
Fragen im Zusammenhang mit der Sterbehilfe, etwa zur ärztlichen | |
Verschreibung todbringender Medikamente, von Gerichten geklärt werden | |
müssten, sagte Lauterbach. Auch das Gesundheitsministerium müsse sich damit | |
beschäftigen, wie die Abgabe von Pentobarbital geregelt werde. | |
In der Suizidhilfe in Deutschland ist die Anwendung des Medikaments | |
Pentobarbital, das in anderen Ländern in der Sterbehilfe angewandt wird, | |
verboten. Nur in extremen Ausnahmefällen gestatteten Verwaltungsgerichte in | |
Deutschland bisher die Herausgabe des Medikaments. In beiden der am | |
Donnerstag gescheiterten Gesetzentwürfe sollte das Betäubungsmittelrecht | |
soweit geändert werden, dass die Verschreibung von Pentobarbital unter | |
bestimmten Bedingungen gestattet worden wäre. Derzeit verwenden die | |
Ärzt:innen in der Suizidhilfe Medikamentenkombinationen, deren Substanzen | |
nicht verboten sind. | |
Hintergrund der beiden am Donnerstag abgestimmten Gesetzesinitiativen war | |
ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020. Das Gericht hatte | |
entschieden, dass das bestehende Verbot der „geschäftsmäßigen“ Suizidhil… | |
worunter auch die wiederholte Suizidhilfe durch Ärzte zu verstehen ist, | |
verfassungswidrig sei. Jeder Mensch habe die Freiheit, sich das Leben zu | |
nehmen. Diese Freiheit umfasse auch die Freiheit, „hierfür bei Dritten“ | |
Hilfe zu suchen. Das Urteil räumte allerdings dem Gesetzgeber ein, zum | |
„Schutz der Selbstbestimmung“ „Sicherungsmechanismen“ einzubauen. Daraus | |
erwuchsen die Gesetzesinitiativen. | |
Der Entwurf der Gruppe um Castellucci und Ansgar Heveling (CDU) wollte die | |
ärztliche Suizidhilfe grundsätzlich wieder unter Strafe stellen und nur | |
gestatten, wenn bestimmte Vorbedingungen eingehalten würden. Dazu gehörte | |
eine zweimalige Untersuchung durch Psychiater:innen oder | |
Psychotherapeut:innen im Abstand von mindestens drei Monaten, um die | |
„Freiverantwortlichkeit“ und „Selbstbestimmtheit“ des Entschlusses | |
festzustellen und eine psychische Erkrankung auszuschließen. | |
Man könne die „Selbstbestimmung nicht voraussetzen“, verteidigte | |
Castellucci die Bedingungen in diesem Gesetzentwurf. Menschen seien auch | |
„Missbrauch“ ausgeliefert. Niemand solle sich „gedrängt fühlen“ zum | |
Suizid. | |
Der Entwurf der Abgeordnetengruppe um Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast | |
(Grüne) sah ebenfalls eine Beratungspflicht vor, aber durch unabhängige | |
„Beratungsstellen“, die nicht unbedingt von Psychiater:innen oder | |
Psychotherapeut:innen hätten besetzt werden müssen. | |
Die Beratungsstellen hätten keine Bewertungen abgegeben, aber einen | |
Beratungsschein ausgestellt, der die Voraussetzung sein sollte für eine | |
Verschreibung von Pentobarbital durch den Arzt. „Einen gegen die Autonomie | |
gerichteten Lebensschutz darf es nicht geben“, hatte Helling-Plahr erklärt. | |
6 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
Jonas Grimm | |
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