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# taz.de -- Kulturförderung und Antisemitismus: Risiken bei Bekenntnispflicht
> Der Rechtsprofessor Möllers hat Antisemitismusklauseln bei der
> Kulturförderung untersucht. Er sieht darin rechtliche Probleme.
Bild: Auch der Karneval der Kulturen braucht die Kulturförderung
Antisemitismusklauseln in staatlichen Förderrichtlinien, wie es sie
[1][zeitweise in Berlin] und Schleswig-Holstein gab, waren in mehrfacher
Hinsicht rechts- und verfassungswidrig. Das ergibt sich aus einem
Gutachten, das der renommierte Rechtsprofessor Christoph Möllers im Auftrag
von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) erstattete. Die
Antisemitismusklauseln verstießen gegen den Gesetzesvorbehalt, gegen das
Bestimmtheitsgebot und gegen Grundrechte.
Grundsätzlich kann der Staat seine Kulturförderung zwar mit anderen
Zwecken, etwa der Standortpolitik, verbinden. Außerdem haben
Kultureinrichtungen und Künstler:innen keinen Anspruch auf staatliche
Förderung, so Möllers. Wenn der Staat in Förderbescheiden den Begünstigten
jedoch neue Pflichten auferlegt – etwa den Einsatz gegen Antisemitismus –,
dann ist hierfür eine gesetzliche Grundlage erforderlich, arbeitete Möllers
heraus.
Die in Berlin und Schleswig-Holstein [2][zeitweise geltenden
Antisemitismusklauseln] waren aber lediglich in Verwaltungsvorschriften
enthalten.
Gegen das Bestimmtheitsgebot verstießen die Klauseln, soweit sie von den
Mittel-Empfänger:innen verlangten, sie müssten sich „zu einer vielfältigen
Gesellschaft bekennen“. Dies sei ein „ungewisses allgemeines Ideal“ ohne
definierte Handlungsfolgen, moniert Möllers.
Dagegen sei die Verpflichtung, sich gegen Antisemitismus und Rassismus
einzusetzen, bestimmt genug, befand der Rechtsprofessor.
Geldempfänger:innen seien dann verpflichtet, antisemitische und
rassistische Äußerungen zu unterlassen. Dass oft umstritten ist, ob zum
Beispiel Kritik an Israel antisemitisch ist, mache die Anforderungen nicht
unbestimmt, so Christoph Möllers, der an der Berliner Humboldt-Uni lehrt
und regelmäßig die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht
vertritt.
## Verfassungsrechtliche Bedenken
Auch die Verletzung der Grundrechte, insbesondere der Meinungsfreiheit,
wurde im Gutachten geprüft. Indem die inzwischen zurückgezogenen
Antisemitismusklauseln „Bekenntnisse“ gegen Ausgrenzung und Antisemitismus
verlangten, wurde eine Pflicht zur Veröffentlichung innerer Einstellungen
geschaffen.
Möllers sieht bei solchen Bekenntnispflichten „gewichtige“ rechtliche
Risiken, dass die Eingriffe nicht zu rechtfertigen sein könnten. Möllers
hat sogar „schwere verfassungsrechtliche Bedenken“, soweit sich die
abgeforderten Bekenntnisse auf eine umstrittene Antisemitismusdefinition
bezogen, die auch Israelkritik tendenziell umfasst. „Die Adressaten werden
genötigt zu behaupten, was sie nicht glauben, obwohl die Behauptung
wissenschaftlich umstritten ist“, schreibt Möllers.
Dagegen liege wohl kein Verstoß gegen die Kunstfreiheit vor, auf die sich
laut Möllers auch staatliche Kultureinrichtungen berufen können, wenn der
Staat lediglich zusätzliche Ziele vorgebe wie den Kampf gegen den
Antisemitismus. Denn damit greife der Staat nicht auf einzelne
Programmentscheidung durch. Die Institutionen müssten nur bei Anwendung
ihrer eigenen Kriterien weitere Kriterien beachten. Auch der Eingriff in
die Meinungsfreiheit der geförderten Künstler:innen durch solche
Zielvorgaben sei gerechtfertigt, jedenfalls solange bei Verstößen keine
Sanktionen vorgesehen sind.
## Wie soll das durchgesetzt werden?
In einer Art Nachwort zu seinen juristischen Ausführungen kritisiert
Möllers, dass sich die Befürworter von Antisemitismusklauseln nicht dazu
äußerten, wie solche Vorgaben durchzusetzen seien. Erforderlich werde die
„Kontrolle des gesamten Kulturbetriebs“, die Möllers aber für
„missbrauchsanfällig“ hält.
Ohne Sanktionen bei Verstößen hätte es zugleich Vollzugsprobleme gegeben.
„Von durchdachten Regelungen kann man soweit auch bei Sympathie für das
Anliegen nicht sprechen“, konstatiert Möllers in seinem differenzierten
Gutachten.
25 Mar 2024
## LINKS
[1] /Antisemitismus-im-Kulturbetrieb/!5982151
[2] /Antidiskriminierungsklausel-in-Berlin/!5982966
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Kulturförderung
Antisemitismus
Berlin
Kulturpolitik
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Joe Chialo
Documenta
Antisemitismus
Mc-Carthy-Ära
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Joe Chialo
Antisemitismus
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