# taz.de -- Gewalt in der Weimarer Republik: Breite Blutspur | |
> Die Berliner Gedenkstätte Topographie des Terrors thematisiert in einer | |
> Ausstellung, wie Gewalt die ersten Jahre der Weimarer Republik prägte. | |
Bild: Regierungstruppen in Berlin, März 1919 | |
Am Anfang steht ein Stahlhelm, Modell 1917, darauf ein aufgemaltes | |
Hakenkreuz. Der Kopfschutz kam beim Kapp-Putsch 1920 zum Einsatz, als einer | |
der Männer der daran beteiligten Marinebrigade Hermann Erhardt der jungen | |
Republik den Garaus machen wollte. Zwar verweigerte damals die Reichswehr | |
den Regierenden die Gefolgschaft, doch ein Generalstreik der Arbeiterschaft | |
sorgte dafür, dass der Umsturzversuch nur eine Episode blieb – aber eine | |
Episode unter vielen. | |
„Gewalt gegen Weimar“ lautet der Titel der Sonderausstellung in der | |
Berliner [1][Topographie des Terrors] über die frühen Jahre der deutschen | |
Republik. Das Thema lädt zwangsläufig zu historischen Vergleichen ein, | |
auch wenn die Ausstellungsmacher solche tunlichst vermeiden. | |
„Viele Parallelen machen den heutigen Besucher nachdenklich“, bekannte | |
[2][Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner] (CDU). Man sei damals | |
gegen „rechte Gewalt nicht entschieden genug vorgegangen“, sagte die | |
Direktorin der Topographie des Terrors Andrea Riedle bei einer | |
Pressekonferenz am Dienstag. | |
## Vom selbst inszenierten Chaos zum autoritären Staat | |
Allerdings ist die Gewalt in den fünf Jahren zwischen 1918 und 1923 sowohl | |
quantitativ als auch qualitativ kaum vergleichbar mit dem, was | |
Rechtsradikale in Deutschland im Jahr 2024 anrichten, so furchtbar dies | |
auch ist. | |
Vor gut einhundert Jahren marodierten paramilitärische Banden wie die | |
Gruppe Erhardt durch das Land, deren Anführer am Mord an den Herero und | |
Nama im heutigen Namibia beteiligt gewesen war. Geheimgesellschaften wie | |
die „Organisation Consul“ versuchten mit Attentaten auf Spitzenpolitiker | |
ihre Vorstellungen durchsetzen zu können – vom selbst inszenierten Chaos | |
zum autoritären Staat. | |
In München übernahm 1921 ein gewisser Adolf Hitler den Vorsitz einer | |
Splitterpartei. [3][Zwei Jahre später glaubte er, die Macht in Deutschland | |
an sich reißen zu können] – und scheiterte mit seinem Putschversuch. Auf | |
der linken Seite unterstütze die noch junge, aber doch schon von der | |
Sowjetunion abhängige Kommunistische Partei hoffnungslose | |
Aufstandsbewegungen im Glauben an die Gründung einer Sowjetrepublik. | |
## Verrohung der Sprache | |
Und doch fallen Parallelen zwischen heute und damals auf – in der Sprache. | |
So wie heute der politische Gegner von Rechtsradikalen und ihren | |
Hilfstruppen in Messenger-Diensten verunglimpft wird, so sprachen die | |
rechten Gegner der Weimarer Republik den Demokraten jegliches Existenzrecht | |
ab. Sie galten ihnen als „Erfüllungsgehilfen“ (des Versailler Vertrags) und | |
„November-Verbrecher“ (am deutschen Volk). Verbrecher aber gehören | |
eingesperrt – so wie 100 Jahre später die „Impf-Verbrecher“ gegen Corona. | |
Die Verrohung der Sprache war und ist die unabdingbare Voraussetzung für | |
den bedenkenlosen Einsatz von Gewalt. | |
Dies galt und gilt zweifellos auch für linksradikale Sekten und | |
Gruppierungen. Aber lassen sich die Gewaltexzesse beider Seiten deswegen | |
gleichsetzen? | |
Die Ausstellung balanciert da auf einem schmalen Grat. Einerseits heißt es | |
etwa zur Münchner Räterepublik von 1919, von beiden Seiten, Kommunisten, | |
Anarchisten und rechtsradikalen Freikorps, sei Gewalt ausgegangen. Diese | |
Gleichsetzung hält einer genaueren Betrachtung aber kaum stand. | |
## Auf dem rechten Auge blind | |
Andererseits macht die Schau durchaus deutlich, dass Polizei und Justiz in | |
der jungen Republik auf dem rechten Auge blind waren, um dafür umso | |
heftiger auf Kritiker von der linken Seite einzuschlagen. Wie zum Beweis | |
dafür stehen da die Bücher des [4][Mathematiker Emil Julius Gumbels], der | |
die Tatsachen schon damals nachwies. | |
Der Hamburger Aufstand von 1923, die Ruhrkämpfe im März 1920, der Aufstand | |
in Mitteldeutschland – zweifellos setzte auch die kommunistische Linke auf | |
Gewalt, wenn es ihr nützlich erschien. Da wurden nicht nur | |
Fabrikanten-Villen niedergebrannt, sondern auch Menschen umgebracht. | |
Die Ausstellung macht freilich deutlich, dass es die Rechtsradikalen waren, | |
die bei ihren Versuchen, die Republik zu liquidieren, eine viel breitere | |
Blutspur durch das Land zogen – mit den Mordattentaten wie gegen Karl | |
Gareis, Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und [5][Walter Rathenau,] | |
mit Fememorden und Putschversuchen. | |
Sie erklärten Gewalt zum legitimen Mittel der politischen | |
Auseinandersetzung – und die Republik, in deren Auftrag diese Herrschaften | |
(Damen waren es sehr selten) ursprünglich aktiv geworden waren, besann sich | |
und rüstete ihrerseits auf. Die Ausstellung kann da mit einem polizeilichen | |
Gummiknüppel aufwarten, schwarz und von der Größe eine Fahrradpumpe. Nur | |
wen das Instrument getroffen hat, ob Rechte oder Linke, das muss offen | |
bleiben. | |
1923 hielt die Republik noch stand. Zehn Jahre später nicht. | |
22 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ausstellung-zu-NS-Verbrechen-in-Riga/!5979834 | |
[2] /PR-Termin-auf-Kraftwerksgelaende/!5994797 | |
[3] /100-Jahre-Prozess-Hitler-Putsch/!5991766 | |
[4] /Ausstellung-und-Buch-ueber-Pazifisten/!5616155 | |
[5] /Beginn-des-rechten-Terrors/!5836899 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Topographie des Terrors | |
Weimarer Republik | |
Putsch | |
Berlin Ausstellung | |
Geschichte | |
wochentaz | |
Antisemitismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zwangsarbeit in Berlin: „Berlin sei verdammt“ | |
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin erinnert mit einer | |
Ausstellung an die Widerstandsgruppe um Konstantin Žadkĕvič. | |
100 Jahre Prozess Hitler-Putsch: Verschworen gegen die Demokratie | |
Am 26. Februar 1924 begann in München der Prozess gegen Hitler. Die Justiz | |
half kräftig mit, ihn nach seinem Putschversuch als „Führer“ zu etabliere… | |
Berliner Pogrom am 5. November 1923: Das vergessene Pogrom | |
Vor 100 Jahren überfiel ein antisemitischer Mob plündernd die im Berliner | |
Scheunenviertel lebenden Jüdinnen und Juden. Eine Spurensuche. | |
100 Jahre nach dem Mord an Rathenau: Für immer Außenseiter | |
Vor 100 Jahren wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau von | |
Rechtsextremen ermordet. Ein Spaziergang zu Erinnerungsorten in Berlin. |