# taz.de -- Was Ausländerhass mit mir macht: Der Sozialschmarotzer-Effekt | |
> Im Warteraum des Finanzamts las ich ein Zitat eines AfDlers und mein | |
> Ausländerhass-Gedankenkarussell ging los. Zum Glück stoppte es der | |
> Sachbearbeiter. | |
Bild: Schütten Öl ins Feuer jahrelanger Ausländerfeindlichkeit: AfD-Anhänge… | |
Beim Finanzamt sitze ich im Warteraum, um mich nach dem Schicksal meiner | |
Steuererklärung zu erkundigen. | |
„Sozialschmarotzer! Die [1][AfD] wird alle Ausländer remigrieren“, sagt ein | |
AfD-Heini in der Zeitung. | |
Wer ist denn hier ‚Sozialschmarotzer‘?! Die Hälfte meines sauer verdienten | |
Geldes wird mir das Finanzamt gleich abknöpfen! | |
Kurz danach schaut mich der Sachbearbeiter völlig entgeistert an, als hätte | |
er einen Außerirdischen zu Besuch – einen ausländischen Außerirdischen! | |
Einen ausländischen, außerirdischen Sozialschmarotzer, der weder beim | |
Finanzamt noch in Deutschland was zu suchen hat! | |
Ich bin kein [2][Sozialschmarotzer], verdammt! | |
„Alle Ausländer sind Sozialschmarotzer! Die sind alle arbeitslos und | |
bezahlen ohnehin keine Steuern“, denkt der sich jetzt wohl hinter seinem | |
Schreibtisch. | |
„Ich arbeite seit 30 Jahren in Halle 4 [3][sehr, sehr hart], du Ignorant, | |
da warst du noch nicht mal geboren“, kontere ich sofort – innerlich | |
natürlich! | |
„Diese Türken haben bestenfalls einen stinkenden Gemüseladen, lümmeln von | |
morgens bis abends hinter der Theke rum, drehen Däumchen und uns Deutschen | |
drehen sie vergammelte Tomaten an“, denkt er weiter und merkt nicht mal, | |
dass ich all seine Gedanken von seinen abweisenden, eiskalten Blicken | |
ablesen kann. | |
„Du hast ja von Nichts ’ne Ahnung! Wenn du wüsstest, wie viel Arbeit so ein | |
Gemüseladen macht“, werfe ich ihm meine Gedanken an den Kopf. „Man muss | |
morgens, besser gesagt, mitten in der Nacht aufstehen, in eisiger Kälte zum | |
Großmarkt fahren, zentnerweise Gemüsekisten aufladen, im Geschäft alles | |
wieder ausladen und wie ein Irrer 15 Stunden lang pausenlos schuften. Ohne | |
die Hilfe der anderen Familienmitglieder ist diese Arbeit auf keinen Fall | |
zu schaffen. Überhaupt nicht zu vergleichen mit deinem lächerlichen | |
Acht-Stunden-Zeittotschlagen in diesem gemütlichen Büro, du Parasit!“ | |
„Diese ganzen Gemüseläden und [4][Dönerbuden] sind ohnehin alle nur zur | |
Tarnung da. Damit waschen die Ausländer ihre schmutzigen Drogengelder“, | |
meint er. | |
„Drogen? Dass ich nicht lache! Die Türken verkaufen in ihren Geschäften | |
nicht mal Dosenbier, du blöder Rassist“, brülle ich fassungslos zurück. | |
Besser gesagt, ich hätte so gebrüllt, wenn der Mann ein Wort gesagt hätte. | |
Aber seit zehn Sekunden starrt er mich regungslos an. | |
Doch dann spricht er plötzlich: „Jetzt weiß ich endlich, woher ich Sie | |
kenne. Vom Elternabend natürlich! Sie sind doch der Vater von diesem | |
reizenden, kleinen Mädchen Hatice, das neben meinem Sohn sitzt, nicht wahr? | |
Wie heißen Sie noch mal?“, lächelt er. | |
„Ich, ich heiße Sozialschmarotzer… ich meine, Engin. Ich will für meine | |
schmutzigen Drogengeschäfte Steuern zahlen… ähm, ich möchte wegen meiner | |
Steuerhinterziehung… ich meine, [5][Steuererklärung] nachfragen…“, stott… | |
ich völlig verwirrt. | |
„Wie bitte? Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Engin?“ | |
„Oh, Entschuldigung, wir sind in all den Jahren in Deutschland ohnehin so | |
superempfindlich geworden. Und einige dämliche AfD-Politiker gießen noch | |
mehr Öl ins Feuer!“ | |
28 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Alternative-fuer-Deutschland-AfD/!t5495296 | |
[2] /Push--und-Pull-Faktoren/!5968236 | |
[3] /60-Jahre-Anwerbeabkommen/!5808609 | |
[4] /Tuerkisch-deutsche-Kulturgeschichte/!5836223 | |
[5] https://www.elster.de/eportal/ | |
## AUTOREN | |
Osman Engin | |
## TAGS | |
Kolumne Alles getürkt | |
Bremen | |
Schwerpunkt Ausländerfeindlichkeit | |
Migranten | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Kolumne Alles getürkt | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Gastarbeiter | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Osman und die Erziehung: Das undankbare Kind | |
Eigentlich wollte Osman seine Tochter Hatice ja nur von der Schule abholen. | |
Aber das ist komplizierter als gedacht. | |
Migrant*innen bereichern Deutschland: Dankbarkeit statt Nationalhochmut | |
In Folge der AfD-Pläne gibt es viel Solidarität für Migrant*innen. Es | |
braucht aber mehr als das: die Einsicht, dass wir ihnen unseren Wohlstand | |
verdanken. | |
Demos gegen rechts: Fliehen oder kämpfen? | |
Für Migrant:innen war Rassismus schon vor den Deportationsplänen eine | |
Bedrohung. Die Demos sollten ein Anstoß sein, ihn im Ansatz zu bekämpfen. | |
Serpil Midyatlı über Migration: „Integration gab es nicht“ | |
Das Anwerbeabkommen mit der Türkei wird 60. Ein Gespräch mit Serpil | |
Midyatlı, Schleswig-Holsteinische SPD-Chefin und Gastarbeiterkind. |