# taz.de -- Erdölverarbeiter PCK in Schwedt: Raffineriesorgen | |
> Seit Russlands Angriffskrieg fließt kaum noch Öl bei PCK. Ein Treffen | |
> über die Zukunft des Werks hinterlässt Ratlosigkeit. | |
Bild: Ganze Züge mit Öl wurden im PCK einst präpariert und abgeschickt | |
Schwedt taz | Gerhard Tuchan rollt seine Zettel zusammen und blickt noch | |
mal in den Saal. Tuchan, ruhiger Gang, goldfarbene Brille, prächtige Mähne | |
für sein Alter, hat wieder Ausdauer bewiesen. Der Schwedter ist stets | |
dabei, wenn die Uckermärkischen Bühnen zum Gespräch laden über die Zukunft | |
des PCK, des wirtschaftlichen Erdölverarbeitungsgiganten im Norden | |
Brandenburgs. | |
Doch das [1][Öl, das aus der Erdölleitung „Druschba“, zu Deutsch | |
„Freundschaft“, quoll, ist versiegt], der russische Mehrheitseigentümer | |
Rosneft kaltgestellt und die „grüne Raffinerie“ nur ein vages Versprechen. | |
Intendant André Nicke hatte zu einer neuen Gesprächsrunde „Zukunft jetzt!“ | |
geladen, die sechste seit Mai 2022. Doch danach bleibt die Zukunft so | |
rätselhaft wie an den fünf Abenden zuvor. | |
Zumindest Gerhard Tuchan müsste davor nicht bange sein. Mit Jahrgang 1940 | |
ist der Zeithorizont überschaubar geworden. Wie auch bei vielen anderen auf | |
den Stühlen, Jüngere waren weniger präsent. Von den Lehrlingen, die am | |
Nachmittag vor dem Werkseingang in ihre Autos stiegen, war keiner gekommen. | |
Dabei sollen sie doch einmal den grünen Wasserstoff produzieren, den | |
Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach von der SPD so kräftig | |
beworben hat. | |
Steinbach, bundesweit bekannt als „Mr. Tesla“, da er Elon Musk [2][vom | |
Standort Grünheide überzeugt hat], muss in Schwedt einen anderen Coup | |
landen: Windstrom aus Offshore-Anlagen in der Ostsee wird per Elektrolyse | |
zu grünem Wasserstoff, der über Pipelines verteilt in Eisenhüttenstadt | |
klimafreundlichen Stahl kochen lässt, anderswo Zement und Beton | |
klimaneutral macht und der in Gaskraftwerken, etwa in der Lausitz, auch | |
wieder zu Strom werden kann, wenn mal kein Wind weht. | |
## Steinbach bleibt Optimist | |
„Aber es rechnet sich einfach nicht“, stänkert Tuchan. Der Gesprächsabend | |
ist schon vorbei und Steinbach wieder Richtung Berlin unterwegs. Gerhard | |
Tuchan rollt einen Zettel auseinander. Seine Zeitung, die MOZ, gibt einen | |
ganz anderen Ausblick als der Minister. Tuchan kneift die Augen zusammen. | |
„Ein Projekt lebt von der Wirtschaftlichkeit und die war hier leider nicht | |
gegeben“, zitiert er einen Geschäftsführer, der in der Raffinerie Heide in | |
Schleswig-Holstein gerade das Projekt „H2 Westküste“ beerdigt hat, das doch | |
auch Schwedts Zukunft werden soll: der Umstieg auf grünen Wasserstoff | |
mittels Elektrolyse. | |
Mit seiner Zettelrolle hatte sich Tuchan auf einen längeren Kampf mit dem | |
Minister vorbereitet, doch der joviale Steinbach wies Tuchan schnell in die | |
Meckerecke. Was er denn wolle, Wasserstoffautos fahren doch schon, beschied | |
Steinbach dem alten PCK-Ingenieur. Er, Steinbach, bleibe Optimist. | |
Irgendwann am Abend, Steinbach sprach über die [3][Treuhandverwaltung der | |
Rosneft-Anteile], liefen vor den Fenstern Montagsdemonstranten vorüber. | |
Vielleicht waren es hundert, die da mit Trommeln vorbeizogen, ein | |
Störgeräusch, mehr nicht. | |
Etwa genauso viele saßen auch im Hauptfoyer. „Und ich war der Pessimist“, | |
sagt Tuchan noch einmal, hinter seiner Brille blitzt es angriffslustig. | |
Doch Tuchan war die Ausnahme. Insgesamt blieb es ruhig, hin und wieder gab | |
es sachte Applaus, auch als Steinbach die Montagsdemos zum größten | |
Standortrisiko erklärte. Nur als der Minister die Russlandsanktionen und | |
das Ölembargo verteidigte, grummelte es. Und einer polterte von hinten: | |
„Das ist doch Scheiße!“ | |
Draußen auf den Stufen des Theaters, ein sozialistisches Kulturgebirge am | |
Westhang der Oder, führt eine Magistrale, heute die Linden-, früher die | |
Leninallee, breit wie ein Moskauer Prospekt Richtung PCK. Man kann die | |
Schwaden über dem erleuchteten Werksgelände gut erkennen. Vor über 60 | |
Jahren hat der junge Tuchan dort Kiefern gefällt, auf der „Großbaustelle | |
des Sozialismus“. Ulbrichts Formel „Chemie bringt Brot, Wohlstand und | |
Schönheit“ materialisierte sich hier an der Oder. | |
## Blick in eine ungewisse Zukunft | |
Als das alte Schwedt 1945 in Trümmern sank, war es bekannt für sein | |
Residenzschloss und die Tabakfelder ringsum. Heute fahren neun von zehn | |
Autos in Berlin und Brandenburg mit Sprit aus der Stadt mit seinen 34.000 | |
Einwohnern. Doch viele, die auf die Raffinerie schauen, blicken in eine | |
ungewisse Zukunft, auch in die eigene. | |
Dabei ist die Frage, ob die Wasserstoffelektrolyse wirtschaftlich sein | |
kann, noch zweitrangig. Es müsste sich zunächst jemanden finden, der das | |
finanziert. PCK-Geschäftsführer Ralf Schairer ist es nicht. Auffallend | |
still blieb der führende PCK-Mann. Schairer beließ es dabei, die unsichere | |
Lage der Raffinerie mit „realistischem Optimismus“ zu umschreiben, und | |
lobte die Belegschaft, die inzwischen 23 verschiedene Rohölsorten | |
verarbeite, was Flexibilität beweise, nebenbei aber auch, wie unsicher die | |
Versorgung geworden ist. Derzeit kommt Öl vor allem über die Leitung aus | |
Rostock, die dringend ertüchtigt werden muss, wofür das PCK auf bis zu 400 | |
Millionen Euro EU-Mittel setzt. | |
Es ist eben nicht nur die Versorgung ins Wanken geraten, auch die | |
Eigentümerstruktur. Mehrheitseigner ist der vom Kreml kontrollierte Konzern | |
Rosneft, geleitet vom Putin-Intimus Igor Setschin. Groß geworden ist | |
Rosneft 2004, als es sich den Yukos-Konzern des Putin-Gegners Michail | |
Chodorkowski einverleibte. Der Oligarch war damals schon im Straflager, was | |
Gerhard Schröder nicht davon abhielt, 2017 | |
Rosneft-Aufsichtsratsvorsitzender zu werden. Er blieb es bis Mai 2022. | |
Rosneft, das keinerlei Interesse zeigte, russisches Öl zu boykottieren, | |
verlor im September 2022 seinen Einfluss, als seine 54 Prozent | |
treuhänderisch in die Verwaltung der Bundesnetzagentur übergingen. | |
## Shell hat PCK-Anteile verkauft | |
Was zunächst einem Husarenstück gleicht, hat sich zu einer Bedrohung | |
ausgewachsen, räumte Steinbach ein. Zwar hat das | |
Bundeswirtschaftsministerium Anfang März die Treuhandschaft bis zum 10. | |
September 2024 verlängert. Doch damit steigen die Risiken. Die | |
Zwangsverwaltung lasse sich nicht ewig fortsetzen, es käme einer | |
schleichenden Enteignung gleich und Rosneft könne vor einem Gericht klagen, | |
mit guten Aussichten. Kurzum – über dem PCK hängt ein Damoklesschwert. | |
Eine Lösung wäre, dass Rosneft seine Anteile freiwillig verkauft und eine | |
Enteignung durch den Bund, die ebenfalls im Raum steht, aber als politisch | |
schwierig gilt, überflüssig macht. Es sollte allerdings ein seriöser | |
Investor sein, der Knowhow in Petrolchemie besitzt, die Zukunft im | |
Wasserstoff sieht und ausreichend Finanzen mitbringt. Da es sich beim PCK | |
um kritische Infrastruktur handelt, hat die Bundesregierung | |
Mitspracherecht, wenn sich ein Käufer findet. | |
Und dann ist da noch der Gigant Shell, der seit Längerem das Interesse an | |
PCK verloren hat und die 37,5 Prozent Ende 2023 an den britischen | |
Mineralölhändler Prax veräußert hat. Was früher Bedenken hervorgerufen | |
hätte, denn Prax ist ein eher kleines Licht, wird heute von Land und Bund | |
begeistert gefeiert. Der Verkauf wird derzeit abgewickelt. | |
Verglichen damit scheint die italienische Eni mit ihren 8 Prozent geradezu | |
ein Fels zu sein. Sozialdemokrat Steinbach jedenfalls redete sich den Mund | |
fusselig, hatte aber nichts als Vermutungen, wie es ab September | |
weitergehen könnte. Die Landtagswahlen am 1. September fallen in eine | |
heikle Phase. Bisher war Schwedt eine sichere Bastion der SPD, der Partei, | |
die sich gern besonderer Beziehungen zu Moskau rühmte, die Herren Platzeck | |
und Schröder sind da nur zwei Exponenten. | |
## Förderung für den Verein muss halbiert werden | |
Als Rosneft 2017 kam, so erzählte es Gerhard Tuchan, war die Euphorie groß. | |
Die Stadt fädelte einen Freundschaftsvertrag mit dem russischen | |
Schwarzmeerort Tuapse ein, wo Rosneft eine Raffinerie betreibt. Inzwischen | |
ruht die Freundschaft und [4][in der Raffinerie Tuapse gab es mehrfach | |
Großbrände], zuletzt im Januar, wofür Russland ukrainische Drohnen | |
verantwortlich macht. | |
Es war SED-Chef Walter Ulbricht, der 1958 den Startschuss für die | |
Raffinerie gab, die am 1. April 1964 ihren Betrieb aufnahm. | |
PCK-Geschäftsführer Ralf Schairer kündigte an, den 60. Jahrestag noch | |
angemessen zu feiern. Zunächst aber gibt es für die erste Generation eine | |
bittere Pille. Einen Tag nach der Gesprächsrunde tagte im Theater der | |
PCK-Seniorenverein, er ist mit fast 900 Mitgliedern Deutschlands größte | |
seiner Art, Durchschnittsalter 80 Jahre. | |
Aufgrund der angespannten Lage müsse das PCK die Förderung für den Verein | |
halbieren, eröffnete der Vorsitzende, zeigte aber dennoch großes | |
Verständnis: „Nur wenn es der Raffinerie gut geht, kann es auch uns, | |
unserem Verein gut gehen.“ Was für die Rentner gilt, gilt für die gesamte | |
Region. | |
26 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /-Nachrichten-im-Ukrainekrieg-/!5918194 | |
[2] /Protestcamp-gegen-Tesla-in-Gruenheide/!5999388 | |
[3] /Quasi-Enteignung-der-Rosneft-Toechter/!5879179 | |
[4] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!5988012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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