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# taz.de -- Tiefgefrorene Ukrainedebatte: Im Westen nichts Neues
> Mützenich und Strack-Zimmermann sind Putins stärkste Verbündete: Der eine
> will ihm nicht die Stirn bieten, die andere Politik nicht sozial
> abfedern.
Auch wenn die Nachrichtenkanäle einen die Woche über mit
[1][Tiefkühlfantasien], [2][Jugendoffizieren], [3][Zivil-] und
[4][Heimatschutz] zuballerten: [5][An der einzigen Front, an der Wladimir
Putin seinen Krieg gegen die Ukraine gewinnen kann] – nennen wir sie die
Mützenich-Front –, herrscht Stillstand.
Denn schon im Juli 2022, ein knappes halbes Jahr nach Beginn des russischen
Überfalls auf die Ukraine, hat der Journalist und Schriftsteller Stephan
Wackwitz in der taz geschildert, auf welch fruchtbaren Boden der Infokrieg
des Moskauer Mafiaregimes in bestimmten westlichen Milieus fällt.
In einem [6][Bericht über ein Veteranentreffen des Marxistischen
Studentenbunds Spartakus] kamen laut Wackwitz, der selbst mal Mitglied in
der DKP-Organisation war, „gestandene Gewerkschaftsfunktionäre,
Studiendirektorinnen, Chefredakteure, Germanistinnen und Agraringenieure“
zusammen, Leute „zwischen DGB, Linkspartei und gewerkschaftlicher
Bildungsarbeit“. Die Mehrzahl von ihnen plädierte schon damals „für
Verhandlungen, ukrainische Gebietsabtretungen, ‚Kompromisse‘ – und
natürlich für den All-Time-Classic des real existierenden Sozialismus von
alters her, den ‚Kampf für den Frieden‘.“
Klar: Wer für den Frieden kämpft, ohne den Angegriffenen überhaupt
wahrzunehmen, der kann schlicht nicht anders, als ihn aufzufordern, den
Widerstand einzustellen. Nicht die Realität bestimmt hier das Denken,
sondern die Abwehr derselben, nicht die Empathie mit dem Opfer, sondern die
Angst vor dem Täter.
## Mützenich nach Hessisch-Sibirien?
Insofern ist die [7][andauernde Empörung] über die Aussagen des
SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der in der Bundestagssitzung vom
14. März der Nation im Vorfeld des Superwahljahrs die Frage vorgelegt
hatte, ob es nicht an der Zeit sei, „auch darüber nachzudenken, wie man den
Krieg in der Ukraine einfrieren und später beenden kann“, verständlich,
aber etwas überflüssig.
So überflüssig, wie es in einer noch einigermaßen offenen Debattenkultur
Ermahnungen sind, solche Aussagen [8][müsse man in diesem Land denken
können]: Man darf sie denken, man soll sie aussprechen, sie werden auf
allen Kanälen gesendet, und niemand kommt dafür in ein Straflager in
Hessisch-Sibirien oder wird mit Nowitschok vergiftet.
Am Ende hat man dann sogar einen schönen Slogan für den Wahlkampf – den vom
[9][„Friedenskanzler Scholz“]. Putins ehemaliger Angestellter Gerhard
Schröder [10][fragte nicht umsonst] verschmitzt: „Wenn jemand als
‚Friedenskanzler‘ beschrieben wird, ist das denn negativ?“
Nichts Neues an der Mützenich-Front also; an der realen Front im Osten tut
sich auch nichts Kriegsentscheidendes – was bei den Kräfteverhältnissen
immer noch ein mit größten ukrainischen Opfern erkämpftes Wunder ist, ein
fortdauernder Sieg. Und schließlich ist Ex-Unions-Kanzlerkandidat Armin
Laschet zuzustimmen, [11][der in einem klugen Gespräch zur Lage] in
Deutschland zwischen innerer und äußerer faschistischer Bedrohung gesagt
hat: „Rechtsextreme darf man nicht hinnehmen. Aber in Fragen von Krieg und
Frieden darf man unterschiedlicher Meinung sein. Auch wenn ich sie nicht
teile.“
## „Solidaritätszuschlag Freie Ukraine“
Die Unterstützung für die Ukraine bedarf eben tatsächlich demokratischer
Legitimation. Um die müssen wir kämpfen. Der Gegner bei diesem Kampf ist
nicht nur Rolf Mützenich, sondern genauso Marie-Agnes Strack-Zimmermann und
ihre Partei, die FDP. Denn wenn in der Ukraine auch unsere Freiheit
verteidigt wird und wir uns das deswegen so viel kosten lassen müssen, wie
es kostet – [12][whatever it takes] eben –, dann ist das mit einer
Politik, die auf der Schuldenbremse steht und die sozial-ökologische
Modernisierung tagtäglich hintertreibt, nicht zu machen.
Jeder Diskurs über zu liefernde Waffensysteme bleibt schal, wenn nicht
gleichzeitig das ganze Land mobilisiert und motiviert wird. Und das
bedeutet auf der entscheidenden materiellen Seite, dass diejenigen Opfer
bringen müssen, die sie sich leisten können.
Die FDP als Partei der „Leistungsträger“ hat gerade die historische
Aufgabe, ihre Klientel an den Gedanken eines von ihr – und ihr allein – zu
stemmenden „Solidaritätszuschlags Freie Ukraine“ heranzuführen, anstatt
einzufordern, was man selbst nicht beizutragen bereit ist, wie es
eigentlich das Wesen der räuberischen Regionalpartei CSU ist („Ich kenne
wenige Minister, die so viel Geld nach Bayern holen wie der Andi Scheuer“,
[13][Markus Söder,] 2021).
Die Mützenich-SPD und die Strack-Zimmermann-FDP sind nur zwei Seiten der
Wette, die Putin wie jeder Mafioso hält: dass nämlich der demokratische
Staat zugleich angstgelähmt und unsozial ist; dass er seinen
Bürger:innen so wenig zutraut, wie er ihnen gönnt.
## Ein beispielloser Augenblick
Nicht umsonst hat US-Präsident Joe Biden [14][seine Rede zu Lage der
Nation] mit einem Zitat seines Vorgängers F. D. Roosevelt eröffnet: „Ich
wende mich in einem in der Geschichte der Union beispiellosen Augenblick an
Sie.“ Und Biden fuhr fort: „Präsident Roosevelt wollte den Kongress
wachrütteln und die Amerikanerinnen und Amerikaner darauf aufmerksam
machen, dass dies keine gewöhnlichen Zeiten waren. Freiheit und Demokratie
waren auf der ganzen Welt in Gefahr.“
Und weiter: „Das Besondere an der jetzigen Situation ist, dass Freiheit und
Demokratie gleichzeitig von innen und außen angegriffen werden. Im Ausland
ist Russlands Putin auf dem Vormarsch, marschiert in die Ukraine ein und
stiftet Chaos in ganz Europa und darüber hinaus. Sollte irgendjemand in
diesem Raum meinen, Putin würde bei der Ukraine haltmachen, dann versichere
ich Ihnen: Das wird er nicht.“
Unter Roosevelts Führung lag in den USA am Ende „der Spitzensteuersatz bei
79 Prozent und die Erbschaftsteuer bei 77 Prozent“ (Ulrike Herrmann,
[15][„Von Roosevelt lernen“,] taz 23. 10. 2011). Aber auch die Art und
Weise, wie Biden die US-amerikanische Öffentlichkeit angesprochen hat,
verweist auf eine Leerstelle hierzulande.
„Meine Botschaft an Präsident Putin, den ich schon sehr lange kenne, ist
ganz einfach: Wir werden nicht weglaufen. Wir werden uns nicht unterwerfen.
Ich werde mich nicht unterwerfen“, sagte Biden. Eine so warme, humane,
mutige Rhetorik, ein Aufruf mit historischer Tiefenschärfe, demokratischem
Pathos und verständlicher – ach! – Definition des zu Leistenden wie des
Ausgeschlossenen fehlt in unserem eingefrorenen Land. Dabei wäre genau das
tatsächlich an der Zeit.
23 Mar 2024
## LINKS
[1] /Debatte-um-Militaerhilfe-fuer-die-Ukraine/!5996428
[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/bildungsministerin-will-jugendoffizier…
[3] https://www.tagesschau.de/multimedia/video/schnell_informiert/video-1317126…
[4] /Bundeswehr-im-Kriegsfall/!5999418
[5] /Waffen-fuer-die-Ukraine/!5935243
[6] /Marxistischer-Studentenbund-Spartakus/!5864783
[7] /Debatte-ueber-Ende-des-Ukraine-Kriegs/!5999379
[8] /Muetzenichs-Ukraine-Aeusserungen/!5996290
[9] https://www.spiegel.de/politik/ukraine-krieg-olaf-scholz-als-friedenskanzle…
[10] https://www.sueddeutsche.de/politik/konflikte-friedenskanzler-schroeder-lo…
[11] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armin-laschet-im-interview-wer-…
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Whatever_it_takes
[13] https://www.merkur.de/politik/csu-parteitag-bayern-markus-soeder-scheuer-g…
[14] https://www.youtube.com/watch?v=nFVUPAEF-sw
[15] /Debatte-Milliardaere/!5109265
## AUTOREN
Ambros Waibel
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