# taz.de -- Inflation in Japan: Erste Zinsanhebung seit 17 Jahren | |
> Nach langer Zeit hebt Japans Notenbank wieder die Zinsen an. Sie bleiben | |
> aber relativ niedrig, weil niemand hohe Zinsen mag. | |
Bild: Shopping in Tokio | |
TOKIO taz | In [1][Japan] wurde die geldpolitische Zeitenwende eingeläutet: | |
Die Notenbank hob erstmals seit 17 Jahren ihren Leitzins an und | |
verabschiedete sich dabei vom weltweit letzten Negativzins. Die Bank of | |
Japan (BoJ) beendete auch die Kontrolle der Zinskurve, die die zehnjährige | |
Rendite zuletzt bei 1 Prozent deckelte, und stellte ihre Käufe von | |
Aktienindexfonds, Immobilienfonds und Firmenpapieren ein. „Dies ist ein | |
bedeutender Politikwechsel und viel umfassender, als ich erwartet hatte“, | |
erklärte Hideo Kumano, Chefökonom des Forschungsinstituts Daiichi Life. | |
Mit ihrem Schritt signalisierte die Zentralbank das Ende der Deflation, | |
also fallender Preise, in Japan. Seit den 1990er Jahren stagnierten die | |
Preise maximal, häufig gingen sie sogar zurück. Die Löhne stagnierten | |
ebenfalls oder sanken leicht. Die Notenbank versuchte ab dem Jahr 2013, | |
diese Dauerkrise mit massiven Wertpapierkäufe zu überwinden, aber der | |
Erfolg blieb aus. Preise und Löhne begannen erst wieder zu steigen, als das | |
Ende der Coronapandemie und der Krieg in der Ukraine die Rohstoff-, | |
Transport- und Materialpreise weltweit kräftig nach oben trieb. | |
Für die Japaner verteuerten sich Importwaren wie Kraftstoffe und | |
Nahrungsmittel zusätzlich durch den Wertverfall des Yen, weil die Notenbank | |
zunächst am Negativzins festhielt, während die US-Notenbank Fed und die | |
[2][Europäische Zentralbank] ihre Leitzinsen anhoben. Die Bevölkerung in | |
Japan hatte sich jedoch an stabile Preise gewöhnt und reagierte schockiert | |
auf die plötzlichen Teuerungssprünge bei Lebensmitteln bis zu Autos. Bei | |
Inflationsraten von maximal 4,2 Prozent schalteten viele Konsumenten auf | |
Sparmodus um. Die Löhne stiegen zwar seit 2022 ebenfalls wieder an, aber | |
hinkten den Preisen hinterher. Das wird sich nun erstmals ändern. | |
Bei den Tarifverhandlungen im Frühjahr setzten die japanischen | |
Gewerkschaften die stärkste Lohnanhebung seit über 30 Jahren durch. Einige | |
Unternehmen zahlen sogar freiwillig mehr, als gefordert wurde. Im Schnitt | |
werden die Löhne bei vielen Großunternehmen ab April um 5,3 Prozent | |
steigen. Viele kleine und mittlere Firmen, die rund 70 Prozent der | |
Arbeitnehmer in Japan beschäftigen, können solch hohe Aufschläge jedoch | |
nicht zahlen. | |
## Reale Inflation nähert sich der gewünschten | |
„Nach unserer Bewertung ist das Ziel einer nachhaltigen Inflation von 2 | |
Prozent in greifbare Nähe gerückt“, begründete Notenbankchef Kazuo Ueda die | |
Anhebung des Leitzinses auf eine Spanne zwischen 0 und 0,1 Prozent. „Die | |
groß angelegte geldpolitische Lockerung hat ihren Zweck erfüllt.“ Doch | |
weitere Zinsschritte, wie sie die Zentralbanken in Europa und den USA | |
gingen, lehnte er indirekt ab. „Es gibt noch einen gewissen Abstand zu 2 | |
Prozent“, sagte Ueda. Daher soll der Kauf von Staatsanleihen vorerst | |
weitergehen. | |
Vordergründig geht es der Notenbank darum, starke Ausschläge bei | |
Wechselkursen, Aktien und Anleihen zu verhindern. Aber mit dem Verzicht auf | |
Zinserhöhungen zollt sie auch der chronischen Wachstumsschwäche der | |
einheimischen Wirtschaft Tribut. Zugleich ist die Regierung stark auf | |
billiges Geld angewiesen, um ihr hohes Haushaltsdefizit zu finanzieren. | |
Premier Fumio Kishida steigerte die Ausgaben für Kinder, Verteidigung und | |
Klimaschutz im neuen Staatshaushalt deutlich, steuern will er dafür jedoch | |
nicht erhöhen. Die höheren Ausgaben müssen also durch neue Kredite | |
finanziert werden. | |
Auch viele Bürger profitieren von den Niedrigzinsen. Haus- und | |
Wohnungskäufe ließen sich ohne sie kaum noch finanzieren. Zudem arbeiten | |
viele Japaner für sogenannte Zombiefirmen, die nicht einmal ihre | |
Kreditzinsen aus ihren Gewinnen bedienen können. Höhere Zinsen würden viele | |
solcher Arbeitsplätze kosten. | |
Andererseits wird der Yen nun schwach bleiben und Importwaren werden sich | |
dadurch weiter verteuern. Auch Auslandsreisen können sich viele nicht mehr | |
leisten. Vergangenes Jahr reisten ein Drittel weniger ins Ausland als vor | |
der [3][Pandemie]. | |
19 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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