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# taz.de -- Trend-Essen aus Japan: Run auf Reisbällchen
> Onigiri sind beliebte Snacks der japanischen Küche. Ein Besuch in einem
> Lokal in Tokio, wo die Menschen für den Happen Reis lange anstehen.
Bild: Wichtig: Ein bisschen Füllung kommt auf die Spitze
Auf kleinen Hockern sitzen zehn Menschen nebeneinander auf einem
Bürgersteig [1][im Tokioter Stadtteil] Otsuka, hinter der letzten Person
steht ein selbstgebasteltes Schild: „An die Gäste des Onigiri Bongo“, ist
da auf Japanisch zu lesen, „Wenn Sie hinter diesem Punkt anstehen, stellen
Sie sich bitte entlang der Straßenbahnlinie an.“
Und tatsächlich, auf der anderen Straßenseite stehen noch etwa zwanzig
weitere Menschen. Sie alle warten zwei bis drei, an Wochenenden gar sechs
Stunden, um Onigiri zu verspeisen.
Onigiri gehören zu den beliebtesten Snacks der japanischen Küche: herzhaft
gefüllte Reisbällchen, in der Regel umwickelt von Nori, also
Seetangblättern, wie man sie auch vom Maki, also gerollten Sushi, kennt.
Doch innen ist kein roher Fisch, zu den typischen Füllungen gehören
Thunfisch-Mayonnaise, saure Pflaume, Takana (eine Art Wirsing), gebratener
Lachs und Mentaiko (Seelachsrogen). Zudem sind Onigiri deutlich größer,
ihre Form ist meist dreieckig, mitunter auch kugel- oder zylinderförmig.
Ob als Lunchpaket, zu Events wie Sportfesten oder als Glücksbringer vor
Prüfungen, vom Großteil der japanischen Bevölkerung werden sie seit
Kriegsende – also seit Reis nicht mehr als Luxusware gilt – heiß geliebt
und gern verspeist. In Plastik abgepackte Onigiri gibt es in jedem
japanischen Convenience Store – kurz Konbini –, sie sind also fast überall
im Land rund um die Uhr erhältlich. Trotzdem sind die Japaner.innen gern
bereit, sich vor auf Onigiri spezialisierte Imbisse und Restaurants
anzustellen – sogar in die besonders lange Schlange vor dem Onigiri Bongo.
## „Anfangs waren Gäste empört“
„Konbini sind praktisch, ich kaufe da auch gerne tiefgekühlte
Garnelen-Chili-Onigiri“, sagt Yumiko Ukon. Die 71-Jährige leitet das
Onigiri Bongo seit 2012, als ihr Mann Tasuku starb, der das kleine
Restaurant mit nur neun Sitzplätzen vor über 60 Jahren gegründet hatte.
„Dass die Leute gerne bei uns anstehen, liegt an unserer Zubereitung“,
sagt Yumiko Ukon. Sie selbst hat sich vor einigen Jahren aus der Küche
zurückgezogen. Der aktuelle Koch, er war früher Sushikoch, steht nun neben
einem gigantischen Reiskocher und schaufelt häufchenweise Reis auf eine
weiße Arbeitsplatte, hinter der mehr als dreißig große Plastikschalen mit
unterschiedlichen Zutaten stehen.
Großzügig portioniert er die Füllung in die Mitte des Reishäufchens, legt
noch ein wenig Reis obendrauf und knetet die Masse – nur ganz leicht, die
Hände kaum aufeinandergepresst. Schließlich legt der Koch einen Happen der
jeweiligen Füllung auf die Spitze des Onigiri, damit beim ersten Bissen
nicht nur Reis, sondern auch die Würze den Mund füllt. Zudem können Gäste
so direkt sehen, welche ihrer Bällchen womit gefüllt sind.
Auf das sanfte Zudrücken lege sie besonderen Wert, erklärt Yumiko Ukon.
„Anfangs waren Gäste empört“, sagt sie. „Der Reis fällt nämlich schne…
auseinander als gewohnt.“ Doch sie ist von ihrer Methode überzeugt. „Beim
Sushi [2][achten Profiköche] auch darauf, dass sie den Reis nicht so
zusammenpressen. Und Onigiri schmeckt besser, wenn er viel Raum für Luft
zulässt.“
Neben der Luftigkeit sei auch entscheidend, dass die Onigiri noch warm
sind und dass wirklich jeder Bissen neben Reis und Nori eine ordentliche
Menge Füllung enthält. Zudem bietet das Menü eine ungewohnt große
geschmackliche Bandbreite. Können Kund:innen sonst zwischen fünf bis zehn
Onigiri-Füllungen auswählen, sind es beim Onigiri Bongo mehr als fünfzig,
darunter außergewöhnliche Optionen wie Asari-Muscheln, Seeigel mit Qualle
oder Bacon.
## Onigiri in Dresden und Berlin
Die Popularität des Onigiri Bongo hat sich durch seine mediale Präsenz noch
potenziert. Sämtliche Befragte aus der Schlange berichten, dass sie durch
[3][soziale Medien wie Instagram] oder Tiktok aufs Bongo aufmerksam
geworden sind. Dass sie nun so lange warten müssen, stört sie nicht, denn
Schlangestehen für Essen ist in Japan recht üblich. Wem das zu blöd ist,
kann sich beim Onigiri Bongo immer noch Essen zum Mitnehmen bestellen.
Auch Takashi Aoki, 31, gesellt sich beim Besuch dazu, eine Art Lehrling von
Yumiko Ukon: Vor drei Jahren entschloss sich der gelernte Informatiker
zusammen mit seinem Geschäftspartner Akiyasu Tsuchiya, nach Deutschland zu
gehen und dort die japanische Küche zu verbreiten. Sie entschieden sich für
Onigiri, weil sie die Zubereitung für einfach hielten.
„Ich habe noch nie Tempura frittiert, noch nie Tonkotsu-Brühe für Ramen
gekocht. Aber Onigiri formen kann ich“, sagt Aoki. Tsuchiya hatte zuvor
sogar knapp zwei Monate als Lehrling im Onigiri Bongo gearbeitet. Yumiko
Ukon schüttelt den Kopf, als Aoki davon erzählt. „Was soll man denn in zwei
Monaten Vernünftiges beibringen?“, fragt sie.
Die beiden Männer dachten sich hingegen: Erst mal anfangen, das mit der
Perfektion klappt dann schon nach einer gewissen Zeit. Mit wenig Erfahrung
öffneten sie den ersten „Tokyo Gohan“ 2021 in Dresden, den zweiten ein
Jahr später in Berlin. Dabei entschieden sie sich bewusst gegen
Düsseldorf, die Japan-Hauptstadt Deutschlands. „Dort hätten wir
hauptsächlich japanische Kundschaft“, erklärt Takashi Aoki. Doch das
passte nicht zu ihrer kulinarischen Mission.
## Kampf gegen Sojasauce
Wobei Onigiri in Deutschland nicht komplett unbekannt ist. Schon seit
einiger Zeit finden sie sich in perfekter Dreiecksform und in Plastik
verpackt in den Kühlregalen von Supermarktketten wie Rewe. Ungewohnt ist
ein reiner Onigiri-Imbiss für die deutsche Kundschaft dennoch. Auch, weil
sie es gewohnt sind, eine gewisse Auswahl zu haben. „Dass wir fast
ausschließlich auf Onigiri spezialisiert sind, verstehen noch nicht alle“,
sagt Aoki. Da es sich bei seinem Laden in den Köpfen der Kundschaft um ein
japanisches Restaurant handelt, gingen viele Gäste davon aus, dass es auch
Ramen oder Sushi gibt, sagt er. Doch als Ergänzung stehen nur
Edamame-Bohnen, Misosuppe, und Karaage (frittiertes Hähnchen) auf der
Karte.
Auch die Füllungen mussten sie ein wenig an den deutschen Geschmack
anpassen, unter anderem stehen Avocado mit Tomaten, Miso mit Frischkäse,
Schweinebauch mit Kimchi oder Hackfleisch mit Sojasauce auf der Karte.
„Erstaunlicherweise ist Fleisch sehr beliebt“, sagt Takashi Aoki.
Die deftigen Geschmacksrichtungen seien den salzliebenden Deutschen dennoch
nicht würzig genug. So fragen die Gäste immer wieder nach Sojasauce – was
Aoki anfangs zunächst massiv störte. „Ich hab das wirklich gehasst. Die
Sauce macht den gesamten Onigiri kaputt.“ Mittlerweile hat er den Kampf
dagegen aufgegeben. „Bis man in Deutschland die Köstlichkeit des puren
Reises erkennt, dauert es wohl noch eine Weile.“
19 Jan 2024
## LINKS
[1] /Fridays-for-Future-in-Japan/!5897712
[2] /Interview-mit-Annton-Beate-Schmidt/!5025102
[3] https://www.instagram.com/explore/tags/onigiribongo/top/
## AUTOREN
Shoko Bethke
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