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# taz.de -- Interview mit Annton Beate Schmidt: „Die Kunst ist nicht meine Me…
> Bei Annton Beate Schmidt geht die Kunst eine Liaison mit Essen ein:
> Regelmäßig wird ihr Atelier zum Salon. Hier geht es um Interaktion,
> Integration - und Emotion.
Bild: Annton Beate Schmidt in ihrem Nord-Neuköllner Atelier
taz: Frau Schmidt, hier im Regal steht eine Flasche „Integrity Gin“ – was
ist das denn?
Annton Beate Schmidt: Die ist von einem Ausstellungsprojekt, bei dem ich
mich mit dem Thema „Integrität und Künstler‘“ beschäftigt habe. Ich ha…
mich gefragt, was das eigentlich bedeutet, Integrität. Alle reden darüber,
aber niemand weiß, was damit gemeint ist. Ist ein Künstler noch integer,
wenn er Geld kriegt? Wenn er zu viel Geld kriegt? Wenn er sich politisch
engagiert oder eben gerade nicht? Solche Fragen habe ich angerissen.
Konzept war, alle Komponenten der Ausstellung in einer Nacht zu verkaufen.
Ich habe dazu unter anderem das Wort Money in 500 Stück Seife geschnitzt
und die wie in einer Edelboutique angeboten. Den „Integrity Gin“ habe ich
in Fläschchen verkauft, aber die Idee war vor allem, dass die Leute ihn
hier trinken und anfangen zu reden. Der Gin war mit Zitrusfrüchten und
Kräutern angesetzt, zu deren Bedeutung ich lange recherchiert habe. Es
waren welche, die für Stärke, Klarheit und Selbstfindung stehen.
Integrität hat ja auch mit Offenheit zu tun – und Alkohol lockert die
Zunge.
So kann man es auch interpretieren. Wenn man böse ist, kann man sich aber
auch fragen: Saufen alle Künstler? Künstler, Alkohol, Drogen, das ist ja
immer ein großes Thema. Ich stelle jedenfalls nur Ansätze hin und plane
ungern im Voraus, welches Ergebnis das beim Besucher erzielt. Auch auf die
Seifen gab es ganz unterschiedliche Reaktionen: Manche Leute haben sie mit
dem Kommentar gekauft: „Super, wenn ich die benutze, werde ich reich!“
Andere haben sie eher als Möglichkeit begriffen, den Schmutz des Geldes
abzuwaschen. Das ist immer eine Frage der eigenen Position. Ich möchte
auch, dass die Leute in Interaktion mit mir treten und ihre Erfahrungen an
mich zurückgeben.
Ist das ein Grundmotiv Ihrer Arbeiten?
Auf jeden Fall. Alles, was ich mache, hat so eine duale Ausrichtung. Bei
einer Ausstellung im Freien Museum an der Potsdamer Straße ging es einmal
um die Frage, ob der Holocaust in der Arbeit von Künstlern meiner
Generation noch relevant ist. Mein Beitrag war die Inszenierung eines
Tante-Emma-Ladens, in dem Bleistiftzeichnungen von Menschen hingen, die
heute als Künstler in Berlin arbeiten und unter den Nazis nicht hätten
arbeiten können – weil sie jüdisch sind oder schwul. In dem Laden saß einen
Verkäufer in Klamotten von 1930, der Respekt- und Toleranz-Lollis verkauf
hat, große, runde Lollis mit einem R oder T drin. Ich denke: Wenn Leute an
so etwas lutschen, reflektieren sie darüber, ob sie das toleranter oder
respektvoller macht.
Essen spielt in Ihren Arbeiten ja überhaupt eine ganz wichtige Rolle.
Die letzte Installation dazu hieß „Neukölln Bites“. Wenn Essen als
Arbeitsmaterial dient, arbeite ich meist in Kooperation mit meinem Mann. Er
ist freiberuflicher Koch und bietet vor allem Konzepte für Kulturschaffende
an, zum Beispiel themenbegleitendes Catering für Vernissagen. Für „Neukölln
Bites“ hatten wir im Vorfeld Essenserinnerungen von Menschen gesammelt.
Omas Kuchen, Mamas Kartoffelsalat. Mein Mann hat Gerichte daraus kreiert,
aber so verändert, dass man sie nicht mehr erkennt: Es gab marinierten
Kartoffelsalat am Stiel, Rhabarber-Chips oder eine gelierte, farblose
Tomatensuppe in Tassen, die an der Wand hingen. Das fand im Rahmen von „48
Stunden Neukölln“ statt, da sind 800 Leute durchs Atelier gelatscht. An den
Reaktionen hat man gemerkt: Du kommst den Menschen über Essen, über Dinge,
die sie in ihren Körper tun, wahnsinnig nahe und löst Emotionen aus.
Was steht als Nächstes an?
Für 2015 planen wir eine große Ausstellung namens „Berlin Bites“. Die soll
voll finanziert für drei Tage an einem großen Ort stattfinden, deswegen
gibt es im Februar eine Crowdfunding-Aktion. Es wird um Migration gehen,
wir arbeiten dazu mit Kulturvereinen und Jugendclubs zusammen. Wir lassen
uns deren Rituale und ihr Essen zeigen, wir kochen mit ihnen, wir lassen
uns erzählen, wie Essen bei ihnen abläuft. Die Ergebnisse wollen wir in
Gerichte verwandeln, diese verändern und die Leute dazu einladen, sie zu
versuchen. Um zu zeigen, was unterschiedlich ist und was nicht und dass es
vielleicht gar nicht so schlimm ist, wenn wir unterschiedlich sind. Es geht
darum, miteinander anstatt übereinander zu reden. Das sieht man ja auch bei
den Essen hier im Atelier.
Sie bieten regelmäßig „Supper Clubs“ an, bei denen Ihr Mann mehrgängige
Menüs kocht.
Wir nennen diese Abende „Speak Easy Club“, in Anlehnung an die
Flüsterkneipen der US-amerikanischen Prohibitionszeit. Da sitzen dann
Leute, die im richtigen Leben nie aufeinandertreffen würden, einer von der
taz neben einem von Springer, und die können irgendwie trotzdem miteinander
reden. Im Nachhinein kriegen wie E-Mails von Leuten, die sagen: Das war
sehr befruchtend für mich, ich muss eine ganze Menge revidieren. Und selbst
wenn Unterschiede deutlich werden, finde ich das nicht schlimm. Man kann
trotzdem an einem Tisch sitzen und essen.
Ist das Kunst?
Na ja, es hängt ein bisschen davon ab, was auf den Tisch kommt. Manchmal
ist das experimenteller, dann ist es eher Kunst. Aber eigentlich ist es
Spaß und Networking, wobei ich dieses Wort nicht mag.
Kein weiterer Subtext?
Keiner außer diesem „Redet miteinander!“. Wir leben alle in dieser Stadt,
und es macht keinen Sinn, wenn wir uns auf den Bürgersteig gegenüber
stellen und „Bäh“ sagen.
Letztens erschien irgendwo eine ätzende Kritik von Supper Clubs – nach dem
Motto: Die kaufen sich ihre Freunde.
Das sind nicht meine Freunde, die hier essen, ich habe auch genug. Richtig
ist, dass manchmal Freunde kommen und manchmal Leute zu Freunden werden.
Das muss aber nicht sein. Für mich ist es einfach eine Fortsetzung dessen,
was ich ohnehin täglich betreibe.
Und was ist es für die Leute, die kommen?
Manche kommen nur wegen des Essens, andere wegen der Erfahrung. Manche
wegen uns. Wir haben ein paar Stammgäste, aber manchmal kennen wir keinen.
Einmal waren lauter Leute aus der Dragqueen-Szene da, einmal brachte
jemand, für den mein Mann Catering gemacht hatte, lauter ältere Herren im
Anzug mit. Ich mag das, ich habe kein Interesse daran, nur eine bestimmte
Szene abzugreifen.
Kann einem eine solche Situation auch mal entgleiten?
Bis jetzt ist das jedenfalls noch nie passiert. Klar, ab und zu ist mal
jemand doof, letztens motzte einer: „Wann kommt denn endlich mein Essen?“
Aber das regelt sich normalerweise selbst. Diesem Menschen sagte dann ein
anderer: „Hol’s dir halt selbst.“ Das war kein großes Drama. Klar, es wi…
auch mal ein bisschen über ein Thema gestritten, aber da bin ich jetzt mal
ganz moralisch und weltverbesserisch: Immer wenn man Menschen
zusammenbringt, kultiviert man eine Kommunikation, die mit der da draußen
nicht vergleichbar ist.
Was genau meinen Sie mit „da draußen“?
Das kennen wir doch alle. Immer wenn sich verschiedene Gruppen berühren –
zum Beispiel Fahrradfahrer mit Autofahrern, Hundebesitzer mit
Nichthundebesitzern, Eltern mit Leuten ohne Kinder –, dann hat jeder das
Gefühl, der andere gräbt ihm seinen Lebensraum ab. Und fährt präventiv den
Ellenbogen aus. Mir passiert das ja auch. Ich finde das furchtbar und habe
das Gefühl, es wird stärker.
Ihr Atelier in „Kreuzkölln“ ist zur Straße hin sehr offen. Wie nehmen Sie
die Veränderungen der letzten Jahre wahr?
Ich sage manchmal schon, wir müssten jetzt eigentlich wegziehen. Ich meine
das aber nicht ganz ernst, und es hängt nicht nur mit der Veränderung im
Kiez zusammen, sondern auch mit unserer Position. Je mehr wir zu tun haben,
desto mehr stört es natürlich, wenn 30 Leute am Tag klopfen. Mir wird das
Energielevel langsam etwas zu heftig, es ist halt busy und immer voller.
Immer häufiger fotografieren Leute wie selbstverständlich hier rein. Einmal
saß ich am Schreibtisch, da kam eine Hand mit einer Kamera durchs halb
geöffnete Fenster. Ich habe empört das Fenster aufgerissen, und der Typ
stand nur da und meinte: Ich bin Fotograf aus New York, ich mach dich
berühmt. Ich habe ihm gesagt, dass ich gerne selber entscheiden würde, ob
ich berühmt werden will und wer dafür sorgt. Wenn man in diesem Geschehen
lebt und es gleichzeitig bearbeitet, wird es vielleicht manchmal ein
bisschen zu viel. Deshalb habe ich die Schaufensterscheiben jetzt mit
durchscheinender Folie abgeklebt. Aber nur teilweise.
Identität ist ein wichtiges Thema in Ihrer Arbeit. Wie viel von Ihnen
selbst steckt in Ihren Bildern und Installationen?
Der Beschäftigung mit den verschiedenen Themen liegen immer
autobiografische Erfahrungen zugrunde. Es gab Ausstellungen, die mit mir
persönlich zu tun hatten, aber am Ende geht es um Identität im Allgemeinen.
Ich glaube, der Mangel an Identität ist das größte Problem im Umgang
miteinander. Den Leuten ist nicht bewusst, wer sie sind. Und wem das nicht
klar ist, der kann auch nicht die Identität anderer akzeptieren, weil er
sich aufgrund der eigenen Schwäche permanent angegriffen fühlt.
Auf Ihrer Website gibt es Bilder von einer Installation, bei der unter
anderem ein übergroßes Beinpaar mitten im Raum hängt. War das eine
Auseinandersetzung mit Ihrer eigenen Körperbehinderung?
Ja, das war eine Installation, in der es darum ging, wie Menschen mich
wahrnehmen. Da war ich übrigens mal wirklich sauer über manche Reaktionen.
Welche denn?
Ach, einmal Dinge wie „Muss das denn jetzt sein, muss man das sehen?“. Und
auf der anderen Seite das, was man heute als inspiration porn nennt: „Hach,
Sie sind so toll, wenn ich Sie sehe, werden meine eigenen Probleme so
klein!“ … Sprüche, die du als behinderter Mitbürger runterbeten kannst. Z…
Teil ist es ja okay, das so zu betrachten. Aber nicht, herzukommen und zu
sagen, ach, Ihnen muss es aber schlecht gehen. Nicht, weil mich das
verletzt, sondern weil es einfach eine Unverschämtheit ist.
Sonst verarbeiten Sie Ihre Behinderung nicht als Thema?
Nö. Ich meine, für jemanden, der wie ich aufgewachsen ist, ist das auch ein
Auslöser, sich mit Identitätsfragen zu befassen. Meine Themen kommen aber
aus allen möglichen Ecken. Die Kunst ist keine Medizin für mein
Krüppelsein, wenn Sie das meinen.
Nervt es Sie eigentlich, über Ihre Behinderung im Zusammenhang mit Ihrer
Kunst zu sprechen?
Gar nicht. Es wäre auch unsinnig, das auszuklammern. Ich stehe in der
Ausstellung mit Krücken, das nehmen die Leute ja wahr. Aber eine
Unterscheidung zwischen der Kunst behinderter und nichtbehinderter Menschen
wäre so absurd wie eine zwischen Männer- und Frauenkunst. Natürlich spielt
das alles rein, aber es ist weder die Hauptklangfarbe meiner Kunst noch
ihre Motivation.
Wie ist Ihre Erfahrung: Gibt es heute viele Menschen mit Behinderung, die
Kunst machen?
Ganz wenige! Ich bin ja viel draußen, ich gehe zu Vernissagen und zu
Messen, und ich treffe sehr, sehr, sehr wenige Künstler mit Behinderung.
Fast niemanden. In Deutschland ist es meistens so: Wenn Behinderte Kunst
machen, geht es um ihre Behinderung, nicht um die Kunst.
Werden Sie vom Kunstbetrieb diskriminiert?
Werde ich ja schon als Frau, das ist schon mal ein verdammter Nachteil.
Wobei die Diskriminierung kaum an etwas festzumachen ist. Es sagt ja
niemand etwas. Wenn Dinge nicht funktionieren, erfahre ich doch letztlich
nicht, warum. Selbst wenn ich nachhake. Und es kommt ja auch vor, dass die
Behinderung als etwas Exotisches und damit als „gut“ betrachtet wird. Ich
versuche, mir solche Fragen gar nicht zu stellen. Was gar nicht geht, sind
die physischen Barrieren, die gerade an Kunstorten noch als normal gelten.
Zum Beispiel?
Die „Positions“, die größte Kunstmesse der Art Week, fand letztes Mal im
Kaufhaus Jandorf in der Brunnenstraße statt. Das ist ein halb entkerntes
Gebäude, unsaniert. Da stand ich dann. Wäre ich ohne Begleitung gekommen,
ich hätte gleich wieder gehen können. Die Exponate waren über drei Etagen
verteilt, es gab keinen Fahrstuhl. Offenbar will der Initiator der
„Positions“ die Messe weiter dort veranstalten, der Ort scheint sich als
Kultur-Hotspot zu etablieren. Da lassen sich die Veranstalter eine riesige
Chance entgehen, wenn sie so viele Leute ausschließen. Das betrifft doch
nicht nur mich, sondern auch Leute mit Kinderwagen oder ältere Menschen.
Dann könnten aber solche unfertigen Orte, die für Berlin so typisch sind,
nicht mehr kulturell zwischengenutzt werden.
Wieso? Es gibt immer Möglichkeiten. Du kannst einen Bauaufzug einbauen oder
einen Hubwagen reinstellen. Und wenn’s ganz kreativ sein muss, engagierst
du eben jemand, der die Leute trägt. Am Budget darf es nicht scheitern. Es
ist unsere verdammte Pflicht, allen die gleichen Chancen zu bieten, darauf
haben wir uns als Gesellschaft geeinigt. Mit Inklusion kann man nicht erst
anfangen, wenn Geld da ist.
30 Dec 2014
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Kunst
Behinderung
Essen
Neukölln
Leben mit Behinderung
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Parken: Zur Not wird man getragen
Vor Kurzem ist unsere Autorin von Berlin in ein kleines Dorf umgezogen.
Dort scheint es den Leuten nicht nur leichter zu fallen, ihr den Parkplatz
frei zu halten.
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