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# taz.de -- Parken: Zur Not wird man getragen
> Vor Kurzem ist unsere Autorin von Berlin in ein kleines Dorf umgezogen.
> Dort scheint es den Leuten nicht nur leichter zu fallen, ihr den
> Parkplatz frei zu halten.
Bild: Sie wollen hier parken? Haben Sie auch das richtige Kürzel im Ausweis?
Acht Jahre habe ich in einem Ladengeschäft in Neukölln gelebt. Ebenerdig,
zentral, mit viel barrierefreiem Platz und einem Atelier mitten in der
Wohnung. Besser kann man es nicht treffen als Künstlerin mit Behinderung.
Die ersten Jahre habe ich das in vollen Zügen genossen, bis viele andere
Menschen den Bezirk ebenfalls toll fanden. Und bis ich ein Auto besaß und
einen Schwerbehindertenparkplatz beantragte.
Erst passierte es ab und zu. Ich fuhr mit meinem Auto zu einem Termin, und
wenn ich zurückkehrte, war mein Parkplatz besetzt. Einmal in der Woche
vielleicht. Mit der Zeit passierte es öfter, und die Entschuldigungen der
Menschen wurden immer schroffer. Eines Nachts bemerkte ein Polizist: „Wenn
Sie unbedingt in einer beliebten Gegend wohnen wollen – Pech.“
Ich sah ihn fassungslos an. Irgendwann musste ich täglich Autos abschleppen
lassen. Ich verbrachte Stunden im kalten Wagen, weil ich schlicht nicht
aussteigen konnte. An manchen Tagen mehrmals täglich. Ich wurde müde und
wütend von den vielen Auseinandersetzungen und begann Wohnungsinserate zu
studieren. Vier Wochen später unterschrieb ich den Mietvertrag, für eine
Wohnung in einem Dorf in Brandenburg in der Nähe von Luckenwalde.
Die Dame vom Ordnungsamt ist freundlich. Ich bringe mein Anliegen vor,
einen Schwerbehindertenparkplatz zu beantragen. Sie fragt mich nach dem
Grad meiner Behinderung und ob ich die entsprechenden Kürzel im Ausweis
habe. „Na was denn sonst“, denke ich und sage: „Ja.“ Wo ich den Parkpla…
benötige. Ich nenne den Namen des Dorfs und ernte für einige Sekunden
Schweigen. Die Dame räuspert sich. „Entschuldigung, aber womit soll ich das
rechtfertigen? Dort gibt es keinerlei Parkdruck.“
## Was meinst sie?
Parkdruck. Ich grübele, was sie damit meint, da erklärt mir die Dame, dass
es im Dorf Parkplätze im Überfluss gibt und alle ihre Fahrzeuge im
unbefestigten Seitenstreifen abstellen. Würde sie nun tatsächlich einen
Schwerbehindertenparkplatz für mich einrichten, müsste sie das mitten auf
der asphaltierten Straße tun. Irgendwie ahne ich, dass das keinen besonders
guten Start in meinem neuen Zuhause bedeuten würde. Sie erklärt mir weiter,
es gebe die Möglichkeit, ein Schild auf das Grundstück vor der Wohnung zu
stellen. Dieses müsse der Besitzer bezahlen.
Ich setze noch einmal dazu an, dass es nicht auf den Platz ankommt, sondern
vielmehr, dass bei längs abgestellten Fahrzeugen die Gefahr groß ist, dass
ein anderes Auto zu dicht an meiner Fahrertür steht und ich weder mit
Krücken, schon gar nicht mit Rollstuhl, in mein Auto einsteigen kann. „Ich
schlage Ihnen vor, Sie reden noch einmal mit dem Hausbesitzer. Es gibt
bestimmt eine Lösung. Wenn nicht, dann können Sie sich ja noch einmal
melden.“ Leicht genervt lege ich auf und denke, Stadt oder Land, die zu
bohrenden Bretter bleiben offensichtlich überall dick.
Vier Wochen nach dem Umzug ist ein Schild mit dem Rollstuhlpiktogramm an
den Holzzaun vor dem Hof geschraubt. Nichts Offizielles, nur ein
freundlicher Hinweis. In den vergangenen sechs Monaten hat einmal ein
Handwerker den Parkplatz benutzt. Alle anderen halten ihn frei, ohne ein
Wort darüber zu verlieren.
Das mit dem Nicht-vieleWorte-Verlieren zieht sich auch sonst durch die
vergangenen Monate, wenn es um mich und meine Behinderung geht. Vieles ist
nicht barrierefrei. Von einem anständigen Nahverkehr etwa können auch
Menschen ohne Behinderung nur träumen. Oft, und das erinnert mich an meine
Kindheit, bin ich schlicht und ergreifend die erste Frau mit einer
Behinderung, die hier auftaucht.
Wann immer es Probleme gibt, sie werden eher pragmatisch angepackt. Es wird
geschaut, ob ich es allein über den Acker schaffe. Zur Not werde ich
getragen. Beim Vorstellungsgespräch für einen Honorarjob als Tutorin wird
lediglich über Kurskonzepte und Termine gesprochen. Und die Tür
aufgehalten. Im Artikel einer Regionalzeitung über meine Arbeit gibt es ein
Foto, auf dem die Krücken zu sehen sind. Im Text geht es ausschließlich um
Kunst.
Ich glaube nicht an Kategorien, an so etwas wie Großstadtpflanzen oder
Landeier. Menschen sind Menschen. Aber ich glaube fest an Begegnungen und
persönlichen Kontakt.
Diejenigen, die in Berlin meinen Parkplatz besetzt haben, waren schlicht
nicht gezwungen, sich mit den Konsequenzen ihrer Ignoranz
auseinanderzusetzen. Aber nur dann gehen Respekt und Inklusion. Wenn wir
zumindest theoretisch lernen, ein paar Schritte in den Schuhen des anderen
zu gehen.
Annton Beate Schmidt, Jahrgang 1968, Künstlerin, lebt seit einigen Monaten
in einem kleinen Dorf in der Nähe von Luckenwalde
1 Dec 2016
## AUTOREN
Annton Beate Schmidt
## TAGS
Barrierefreiheit
Inklusion
Berliner Szenen
Niedersachsen
Tanz im August
Öffentlicher Raum
Kunst
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