| # taz.de -- Schweiz stimmt für 13. Rente: Volksabstimmung von links | |
| > Erstmals setzt sich eine linke wirtschaftspolitische Initiative durch. | |
| > Ein möglicher Grund: Auch die Eidgenossenschaft blieb von Inflation nicht | |
| > verschont. | |
| Bild: Die Schweiz: Imposante Gebäude – und immer ärmere Rentner:innen | |
| Basel taz | Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes hat | |
| Tränen in den Augen an diesem Sonntagnachmittag. Zum ersten Mal seit 1891 | |
| ist in der Eidgenossenschaft eine wirtschaftspolitische Volksinitiative von | |
| links angenommen worden. Die großen Schweizer Medien sprechen von einer | |
| historischen Sensation. | |
| Mit etwa 58 Prozent hat die Stimmbevölkerung am Sonntag die [1][Einführung | |
| einer 13. Monatsrente durch die Alters- und Hinterlassenenversicherung | |
| (AHV)] – die staatliche Vorsorge des Rentensystems – angenommen. Gegen die | |
| Empfehlung von Bundesrat und Parlament folgen die Stimmbürger:innen | |
| damit dem Vorschlag der Gewerkschaften und Linken, die AHV-Jahresrenten um | |
| 8,3 Prozent zu erhöhen. | |
| Gleichzeitig erteilen sie der Renteninitiative der Partei der Liberalen | |
| Jungfreisinnigen, die eine Erhöhung des Rentenalters forderten, mit fast 75 | |
| Prozent Nein-Stimmen eine deutliche Absage. | |
| Ein Ja zu einer linken Initiative, die den Sozialstaat ausbaut und die AHV | |
| mit ihrem Umverteilungsmechanismus stärkt, überrascht. Denn selbst das | |
| moderateste linke Anliegen wird in der Schweiz schnell als | |
| wirtschaftsfeindlicher Sozialismus verschrien. Jahrzehntelang scheiterten | |
| Initiativen von links – sei es die Einführung eines Mindestlohnes, einer | |
| Erbschaftssteuer oder einer öffentlichen Krankenkasse, oder der Ausbau | |
| staatlicher Leistungen. | |
| ## Viele Schweizer:innen spüren die Teuerung | |
| Doch seit Corona, den gestiegenen Krankenkassenprämien und Mieten und den | |
| [2][milliardenschweren Staatskrediten für die Übernahme der Großbank Credit | |
| Suisse] durch die Bank UBS scheint sich etwas zu ändern. 20 Prozent der | |
| älteren Menschen in der Schweiz sind von Altersarmut bedroht oder gefährdet | |
| – vor allem Frauen, Personen ohne Schweizer Pass und ohne hohen | |
| Bildungsabschluss. Für viele von ihnen bedeutet die zusätzliche Rente eine | |
| Entlastung. | |
| Auch am Abstimmungssonntag scheinen bürgerliche Politiker:innen das | |
| aber nicht wahrhaben zu wollen und beklagen stattdessen die | |
| Individualisierung der Gesellschaft, die zum Ja geführt habe. | |
| Politolog:innen sehen das differenzierter und sprechen von einem | |
| Protestmoment: Viele Menschen spüren die Teuerung, stören sich gleichzeitig | |
| an der Ausgabenpolitik des Bundesrates. | |
| Diesen Unmut in der Bevölkerung anzusprechen und ihm Ausdruck zu verleihen, | |
| macht die Initiative erfolgreich: Beinahe 60 Prozent der Stimmbevölkerung | |
| traten an die Urnen. Vor allem ältere Menschen haben laut Umfragen für die | |
| 13. AHV gestimmt, jüngere eher dagegen. Auch viele Wähler:innen der | |
| rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sprachen sich laut | |
| letzten Umfragen dafür aus, obschon die Partei sich einem Nein verschrieb. | |
| Die SVP setzte am Sonntag dann gleich zu Erklärungsversuchen an: Das Votum | |
| sei ein Signal an den Bundesrat, der zu viel Geld für die Ukraine und im | |
| Asylwesen ausgebe. Diesen [3][Populismus von rechtsaußen] kennt man in der | |
| Schweiz. Doch man könnte daraus ableiten: In Volksinitiativen schafft es | |
| die Linke offenbar, jene Arbeiter:innen zu gewinnen, die sie in der | |
| Vergangenheit an die SVP verlor. | |
| ## Nächste Initiative: Entlastung bei Krankenkassenprämien | |
| Ob der Ausbau der staatlichen Rente ein einmaliger historischer Ausreißer | |
| bleibt oder den Startschuss für eine sozialpolitische Richtungsänderung | |
| einläutet, könnte die Prämienentlastungs-Initiative im Juni 2024 zeigen. | |
| Damit sollen die hohen Krankenkassenprämien – Ende 2023 laut Umfragen das | |
| größte Sorgenthema in der Bevölkerung – gedeckelt werden. Sollte es auch | |
| dann zu einem Ja kommen, wird man sich an gewerkschaftliche Freudentränen | |
| gewöhnen dürfen. | |
| 4 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Frey | |
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