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# taz.de -- Olaf Scholz tourt durch Sachsen: „Man will wissen, wo sie landet�…
> Der Kanzler erklärt in Dresden sein Nein zu Taurus-Raketen und erntet
> dafür Applaus. Und überrascht damit, dass er künftig auch TikToks machen
> will.
Bild: Anhänger der Kleinstpartei „Freie Sachsen“ protestieren vor dem Kraf…
Dieser Text ist Teil unserer [1][Berichterstattung zu den Kommunal- und
Landtagswahlen 2024] in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. [2][Die taz
zeigt, was hier auf dem Spiel steht:] Wer steht für die Demokratie ein?
Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um
ihre Existenz?
Dresden taz | Es war klar, dass sie irgendwo auf ihn warten würden: Die
Unzufriedenen. Einen Tag lang ist der Bundeskanzler durch Dresden und
Umgebung getourt, aber weder in der Erzgebirgsstadt Glashütte noch im
Dresdener Stadteil Pieschen vor dem Straßenbahnhof waren Demonstrationen
angemeldet. Aber vor dem Kraftwerk Mitte, einer Kulturfabrik in Dresden, wo
Olaf Scholz (SPD) am Abend mit Bürgerinnen und Bürgern sprechen will,
stehen sie und trommeln: Etwa 80 Demonstrierende mit Bannern in
Frakturschrift „Widerstand“, die Ordner mit Westen und der Aufschrift „Die
Freien Sachsen“ gut erkennbar als Rechtsextreme.
Mit den Menschen, die vor der Sicherheitsschleuse am Eingang brav in der
Schlange stehen und aufs Bürgergespräch warten, haben die Trommler wenig
gemein. „Ich schäme mich manchmal für mein Bundesland“, sagt Kerstin
Schulze. Die große, dunkel gekleidete Frau deutet mit einem Kopfnicken in
Richtung der Trommeln. Man könne froh sein, wenn überhaupt noch Leute nach
Sachsen einwandern wollten. Im September wird in Sachsen gewählt, die
rechtsextreme AfD führt seit längerer Zeit die Umfragen mit über 30 Prozent
an.
Schulze kommt aus der sächsischen Kleinstadt Wittichenau, eigentlich will
sie von Scholz wissen, wie man das Deutschlandticket auch für die Menschen
im ländlichen Raum attraktiv macht. Sie selbst müsse erst mal 20 Minuten
mit dem Auto fahren, bis sie den nächstgelegenen Bahnhof erreiche, ist
deshalb auch an diesem Donnerstagabend mit dem Auto gekommen.
Ihr Nachbar in der Schlange will dagegen Scholz zur Außenpolitik befragen:
Warum Deutschland nicht mehr dafür tue, damit Russland und die Ukraine
endlich verhandeln. Beide müssten sich an einen Tisch setzen, beide endlich
mit dem Kämpfen aufhören, meint er.
## Waffen für die Ukraine
Dass die Ukraine eine Mitschuld an dem seit zwei Jahren andauernden Krieg
trägt, ist eine Ansicht, die in Sachsen weit verbreitet ist. Das merkt man,
als Scholz dann im Saal ist: Die 150 Bürger*innen haben sich über die
Sächsische Zeitung beworben und wurden zufällig ausgelost, das betont die
Moderatorin mehrmals. Hier sei nichts gestellt. Sie bittet die Leute,
„wirklich respektvoll miteinander umzugehen.“ Solche Warnungen hat es bei
Scholz’ ersten Bürgergesprächen noch nicht gegeben.
Gleich die erste Frage, die ein älterer Herr mit Fliege an den Kanzler
richtet, dreht sich um das Thema Ukraine und Waffenlieferungen. Warum
Deutschland auf Waffen statt auf Diplomatie setze – „bitter ist das“. Das
Scholz die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ablehnt, finde er gut,
setzt er nach.
Scholz nimmt erst mal den Zuspruch auf, inszeniert sich als der Besonnene.
In den Talkshows versammele sich „ein Generalfeldmarschall“ nach dem
nächsten – das sei aber nicht die Politik der Bundesregierung. „Wir werden
verhindern, dass es zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt, es
wird keine deutschen und keine Nato-Soldaten auf ukrainischem Boden geben“.
Dafür erntet er teils kräftigen Applaus.
Seine Ablehnung von Taurus-Marschflugkörpern, [3][für die er aus der FDP
und von den Grünen teils heftig kritisiert wurde], begründet Scholz in
ungewohnter Klarheit auch damit, dass man der Ukraine eben doch nicht
völlig vertraue. Bei einer solchen Waffe, die bis Moskau fliegen könne,
„will man genau wissen, wo sie landet. Wir müssten uns also beteiligen und
das halte ich für ausgeschlossen.“ Taurus-Marschflugkörper können, einmal
abgeworfen, selbständig ihr Ziel erreichen. Dazu müssen sie entsprechend
programmiert werden, und da traut Scholz den Ukrainern offenbar nicht
hundertprozentig über den Weg.
## Waffenstillstand in Nahost
Eine andere Szene sorgt später für Verwirrung. Ein Mann in knallgelbem
Hemd, Mitglied der Freien Wähler, übergibt Scholz einen Zettel mit dem
Slogan: „Diplomaten statt Granaten“. Er bittet, der Kanzler möge ihn an die
Außenministerin weitergeben.
Scholz hätte es dabei belassen können, aber er fühlt sich bemüßigt, dem
Mann zu entgegnen: „Diplomaten statt Granaten rufen wir an die Adresse
Putins.“ Eigentlich eine ziemlich eindeutige Szene, aber im Netz kursiert
später die Behauptung, Scholz habe sich eine prorussissche Forderung zu
eigen gemacht. Der Regierungssprecher sieht sich genötigt, das
klarzustellen.
Das Thema Außenpolitik kommt auch bei der Frage von Samir Schatta zur
Sprache. Schatta kam 2015 aus Damaskus nach Deutschland, mittlerweile
schreibt er seine Masterarbeit und arbeitet als Schulsozialarbeiter in
Dresden. Warum Deutschland Israel bedingungslos unterstütze und nicht für
einen Waffenstillstand in Gaza sorge, will er wissen. „Es ist furchtbar,
[4][was die Hamas getan hat], aber nichts rechtfertigt diese Zerstörung
jetzt.“
Auch hier wagt sich Scholz etwas mehr aus der Deckung, als man es von ihm
gewohnt ist. Man brauche jetzt ziemlich zügig einen längeren
Waffenstillstand, sagt er, und: „Wir wollen nicht, [5][dass es zu einer
großangelegten Aktion auf Rafah (die Grenzstadt zu Ägypten, Anm. d. Red.)
kommt], die humanitäre Katastrophe möchte ich mir nicht ausmalen.“ Das sind
ungewohnt klare Worte.
## Demokratiefördergesetz versackt
Zufrieden ist Samir Schatta dennoch nicht – zumal Scholz auf seine erste
Frage nach der Unterstützung für Vereine, die sich gegen Rassismus
engagieren, nur ausweichend geantwortet hat. Schatta ist aktiv beim Verein
„Zeugen der Flucht“, gibt Workshops in Schulen, wo Geflüchtete über ihre
Fluchterfahrungen sprechen. Der Verein lebt von Spenden, man bemühe sich
seit zwei Jahren um staatliche Förderung, sagt er.
Die Bundesregierung hat [6][eigentlich ein Demokratiefördergesetz auf den
Weg gebracht], um Initiativen, die sich um politische Bildung kümmern,
dauerhaft finanzieren zu können. Doch das Gesetz steckt im Bundestag fest
und der Kanzler kann auch nicht mehr sagen, als zu versprechen: „Das Gesetz
wird verabschiedet werden.“ Wann, ist unklar.
Das Thema war bereits am Nachmittag aufgekommen, [7][als sich Scholz in
einer stehenden Straßenbahn mit dem Verein metro_polis getroffen hatte].
„Das Demokratiefördergesetz würde unsere Arbeit enorm erleichtern“, hatte
dessen Gründerin Kristina Krömer der taz zuvor gesagt. Sie und ihre
Mitstreiter:innen verwickeln Fahrgäste in der Tram in Gespräche und
versuchen so, einen Austausch über schwierige Themen quer über ideologische
Barrieren hinzukriegen.
Der Einstieg erfolge meist über allgemeine Fragen, erläutert Krömer dem
Bundeskanzler, der am Donnerstagnachmittag neben ihr in der Tram Platz
genommen hat. Also zum Beispiel: „War Ihre Kindheit ein Erfolg, darauf
können Sie jetzt antworten“. Scholz erweist sich als eher zäher
Gesprächspartner. „Glücklich“, antwortet der Kanzler knapp.
## Kritik an Migrationspolitik
Auf die Fragen im Bürgerdialog antwortet Scholz ausführlicher. Eine Frau
will wissen, warum nur die AfD via TikTok ihre „kackbraune“ Soße über die
Menschen ausbreite, die demokratischen Parteien aber so inaktiv seien. Da
outet sich Scholz als künftiger TikTok-Influencer, natürlich in Scholzschem
Duktus: „Auch die Bundesregierung diskutiert das und wir müssen da mehr
rein.“ Man darf gespannt sein auf den tanzenden Kanzler.
Es geht außerdem um Rente, um Bildung, um die Klimaziele, um Migration. Es
kommen die üblichen Anwürfe gegen die Grünen – warum darf ein
Schriftsteller Wirtschaftsminister sein, wobei Scholz sich eher
pflichtschuldig vor den Minister stellt, ohne Robert Habecks Namen zu
nennen. Einige Fragen kommen auch kritisch von links. „Warum rennen Sie
[8][dem negativen Migrationsnarrativ der AfD hinterher]“, will eine junge
Frau vom Kanzler wissen, wohl in Anlehnung an seine Aussage, „Wir müssen in
großem Stil abschieben.“
Der Kanzler dankt der Frau für „ihr gutes Herz“, da schwingt ein Hauch von
Herablassung mit. Und dann belehrt er sie darüber, dass es gar nicht
stimme, dass Geflüchtete nicht arbeiten dürften, [9][das habe die Ampel
geändert]: „Jetzt darf jeder nach sechs Monaten arbeiten.“ Das stimmt eben
so nicht, denn Menschen, deren Asylverfahren endgültig abgelehnt wurden und
die abgeschoben werden sollen, dürfen weiterhin nicht arbeiten.
## Eher Monolog als Dialog
„Denn es kann ja nicht sein, dass jeder kommt und sagt, ich bin hier und
geh nie wieder“, sagt Scholz der jungen Frau. Warum eigentlich nicht, wenn
diese Menschen doch nun mal da sind und gern arbeiten wollen, möchte man
fragen. Zumal Scholz betont hat, dass unser jetziger Wohlstand nur möglich
geworden sei, weil so viele Menschen zugewandert seien.
Aber Nachfragen und Wortgefechte sind wegen der knappen Zeit nicht
vorgesehen, und so ist das Gespräch mit den Bürger*innen eher ein
Monolog von Scholz vor den Bürger*innen. Kein Wunder, dass Scholz am Ende
betont, er sei ganz beseelt. Das Gespräch sei viel interessanter als
manches Interview. Klar, wenn einem nicht widersprochen wird. Das Format,
so bürgernah es auch inszeniert wird, hat dann doch Schwächen.
Das findet auch Martin Sauer. „Der Kanzler hat ja auf viele Fragen
ausführlich geantwortet, aber wenn man mal über den Gehalt nachdenkt, hat
er doch wenig gesagt“, sagt der Student. Zur Frage des Fachkräftemangels in
Kitas etwa habe Scholz nur sehr allgemeine Aussagen gemacht. Ihre Frage
nach dem 49-Euro-Ticket hat Kerstin Schulze dann doch nicht gestellt. Dafür
hat sie wie viele andere die Gelegenheit genutzt, noch ein Selfie mit dem
Kanzler zu machen.
Der kann sich in dem Glauben wiegen, dass die Menschen in Sachsen ihn und
seine Politik doch gar nicht so schlecht finden. Zumal die „Freien Sachsen“
bei seiner Abreise dann auch schon wieder eingepackt haben und weg sind.
1 Mar 2024
## LINKS
[1] /Wahlen-in-Ostdeutschland-2024/!t5993946
[2] https://blogs.taz.de/hausblog/was-auf-dem-spiel-steht/
[3] /Scholz-Absage-zum-Taurus/!5995261
[4] /Israelische-Politikerin-zu-Hamas/!5993867
[5] /Krieg-in-Gaza/!5992114
[6] /Ungeklaerte-Haushaltslage/!5976077
[7] /Bundeskanzler-tourt-durch-Sachsen/!5995381
[8] /Politologe-ueber-Migrationspolitik/!5989700
[9] /Fluchtmigration-und-Beschaeftigung/!5970462
## AUTOREN
Anna Lehmann
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