# taz.de -- Olaf Scholz in Brandenburg an der Havel: Wir sollten uns entspannen | |
> Olaf Scholz kontert beim Bürgergespräch in Brandenburg | |
> rechtspopulistische Fragen. Und klingt manchmal wie Christian Lindner. | |
Bild: Olaf Scholz beim „Kanzlergespräch“ in Brandenburg an der Havel | |
BRANDENBURG AN DER HAVEL taz | Zum Ritual der Kanzlergespräche im Osten | |
gehört der Protest der Rechtsextremen. Die AfD in Brandenburg an der Havel | |
hat aufgerufen, Olaf Scholz am Montagabend gebührend zu empfangen. Aber der | |
Aufstand fällt übersichtlich aus. Zwei, drei Dutzend Empörte, ein paar | |
Glatzen, eine deutsch-russische Fahne. Wenig Trillerpfeifen. | |
Brandenburg an der Havel ist keine AfD-Hochburg. Bei den letzten Wahlen | |
lagen die Rechten unter 20 Prozent. Scholz' Bundestagswahlkreis Potsdam | |
liegt nur 20 Zugminuten entfernt. Brandenburg hat zwar eine liebliche | |
Innenstadt, ist aber anders als das beschauliche, westgentrifizierte | |
Potsdam. Rauer, ärmer, härter von der Wende getroffen. Im Stahlwerk | |
arbeiteten zu DDR Zeiten 35.000. Jetzt sind es noch 800. | |
Die lokale Zeitung, die Märkische Allgemeine, hat 160 BürgerInnen per Los | |
für das [1][Kanzlermeeting] ausgewählt. Man sieht dem grauhaarigen Publikum | |
an, dass Jüngere eher keine gedruckten Tageszeitungen mehr konsumieren. | |
Scholz ist hier in seinem Element. Egal, ob nach Fachkräften oder der | |
Abschiebung jesidischer Flüchtlinge gefragt wird – er wirkt für seine | |
Verhältnisse locker und vermeidet die berüchtigten verbfreien | |
Schachtelsätze. Ein geduldiger Welterklärer. Dass Nachfragen nicht | |
vorgesehen sind, macht die Rolle leichter. | |
## Ein besorgter Pfarrer | |
Am besten gelingt Scholz die Rolle des vernünftigen, kontrollierten | |
Staatsmanns, wenn es populistische Einwürfe einzuordnen gilt. Jedenfalls, | |
wenn er es will. Die empörte Frage, warum die Regierung Geld für Südamerika | |
ausgebe, nicht für Deutsche, beantwortet er sachlich. Ein reiches Land wie | |
Deutschland müsse Geld gegen globale Armut ausgeben, außerdem treibe man | |
global Handel. Applaus. | |
Ein Pfarrer sorgt sich über die Polarisierung und gibt zu bedenken, dass | |
zwei Drittel meinen, dass sie nicht mehr sagen könnten, was sie denken | |
würden. Der Kanzler kontert ohne pädagogische Beschwichtigung und leicht | |
gereizt bei selbst erkorenen Opfergesten: „Das stimmt nicht.“ Alle dürften | |
doch alles sagen. Man könne „auch den Kanzler beschimpfen“ oder ihn sogar | |
„mit obszönen Gesten“ beleidigen. Man könne auch gegen Windräder und | |
Migration sein, alles diskutabel. Nur wer die Demokratie abschaffen wolle, | |
müsse bekämpft werden. | |
Ein junger Mann fordert Volksabstimmungen über Atomkraft und Migration, | |
weil „die Berliner Blase“ sich hinter einer „Brandmauer gegen | |
Veränderungen“ verschanzt habe. Sound like AfD. Scholz bleibt höflich, | |
erklärt, ein bisschen Staatsbürgerkunde, warum im Grundgesetz keine | |
bundesweiten Plebiszite vorgesehen sind, und findet, dass „die aufregten | |
Debatten dann noch aufgeregter“ würden. „Wir sollten uns entspannen“, so | |
der Kanzler. | |
Das wird jene nicht überzeugen, die von Wutbewirtschaftung leben. Aber auf | |
Zorn mit Gegenaffekt zu antworten, ist langfristig falsch, selbst wenn | |
Zurückhaltung momentan etwas defensiv wirkt. Scholz redet werbend, | |
gewinnend und wirkt in der Rolle des Sachlichen, der sich durch nichts aus | |
der Ruhe bringen lässt, durchaus überzeugend. Seine bekannte Arroganz | |
blitzt nur gelegentlich auf. Der Applaus ist nicht euphorisch, aber echt. | |
Scholz kann aber auch anders. Ein Student will wissen, warum sich | |
StudentInnen für ihre Ausbildung verschulden müssten, während „die absurde | |
Schuldenbremse“ bleibe. Scholz verweist auf die USA, wo sich, wer keine | |
reiche Eltern habe, sich über die Ohren fürs Studium verschulden müsse. | |
Über die Schuldenbremse, so die gönnerhafte Ansage, „dürfe man | |
diskutieren“. Das könnte Christian Lindner nicht schöner sagen. | |
## Eine klagende Rentnerin | |
Eine Rentnerin klagt, dass Rentner zu wenig bekämen, Bürgergeld-Bezieher, | |
die auf der faulen Haut lägen, zu viel. Die würden es sich „mit ihren | |
Familien im Kaufhaus gut gehen lassen“ anstatt zu arbeiten. „Richtig“, ru… | |
jemand, einer der wenigen spontanen Einwürfe in der gesitteten | |
Veranstaltung. | |
Darauf ließe sich antworten, dass die Hälfte der knapp 4 Millionen | |
Bürgergeldbezieher gar nicht arbeiten kann. Dass seit 2007 immer weniger | |
Arbeitslose wegen Arbeitsverweigerung sanktioniert wurden. Oder dass nur | |
ein Bruchteil Jobs abgelehnt haben und das Bild der Arbeitsscheuen, die uns | |
auf der Tasche liegen, schief ist. | |
All das sagt der Kanzler nicht. Er zeigt vielmehr Verständnis. Das | |
Bürgergeld sei so stark wegen der Inflation gestiegen, die Renten seien an | |
das Lohnniveau gekoppelt. Es klingt wie eine Entschuldigung. Nächstes Jahr | |
werde die Erhöhung des Bürgergeldes aber „nahe null liegen“. Es klingt wie | |
eine Beschwichtigung. | |
Außerdem habe er nun dafür gesorgt, dass sich niemand mehr | |
„durchschlawinern“ könne. Jobcenter sollen künftig Arbeitsunwilligen das | |
Bürgergeld für zwei Monate komplett streichen können. Da sei „jetzt mehr | |
Zug drin“, sagt er schneidig. | |
Der Kanzler widerspricht ruhig und klug demokratieskeptischem rechtem | |
Populismus. Die Affekte gegen die sozial unten Stehenden bekräftigt er | |
hingegen. Ein truly rechter Sozialdemokrat. | |
Mehrfach wird Scholz, wie immer im Osten, für seine Weigerung gelobt, | |
Taurus-Raketen zu liefern. Man ist hier skeptischer gegen die Nato und | |
offener gegenüber Russland. Scholz versäumt es aber nie zu betonen, dass | |
man fest an der Seite der Ukraine stehe und bleibe. | |
Zu erkennen ist in diesen 90 Minuten Kanzlershow schemenhaft der Wahlkampf | |
2025. Scholz als besonnener Friedensgarant, aber mit massig | |
Waffenlieferungen an Kyjiw. Entschieden gegen die AfD, aber werbend und in | |
Zimmerlautstärke. Respekt – aber nur für Arbeitsame. | |
26 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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