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# taz.de -- ICAN-Vorstand zu deutscher Atombombe: „Die Debatte ist Zeitversch…
> Nukleare Aufrüstung in Europa führe nicht zu mehr Sicherheit, sagt
> Florian Eblenkamp vom Bündnis gegen Atomwaffen ICAN. Er warnt vor einem
> neuen Wettrüsten.
Bild: Eine Übung für den nuklearen Ernstfall in Norwegen 1960
Herr Eblenkamp, was wäre Ihnen lieber: Eine deutsche Atombombe oder eine
gesamteuropäische?
Florian Eblenkamp: Keine der beiden Optionen ist praktikabel – weder
technisch noch völkerrechtlich. Politisch wären sie auch nicht opportun.
Diese Diskussion ist Zeitverschwendung.
Welche technischen Gründe sprechen gegen die Vorschläge?
Eine eigene Atombombe zu produzieren, würde Jahrzehnte dauern und
unfassbare Ressourcen verschlingen. Man kann nicht einfach Uran kaufen und
dann schnell so ein Ding bauen, sondern braucht sehr spezielle Technik, die
nicht mal eben im Internet verfügbar ist. Dazu kommt die Frage, welche
militärischen Fähigkeiten man zusätzlich bräuchte, um die Atomwaffen
tatsächlich einzusetzen.
In der Diskussion ist auch ein Modell, in dem sich Europa an den
französischen Atomwaffen beteiligt. Die gibt es schon.
In dem Fall kämen aber politische Hindernisse dazu. Wer hätte Zugriff auf
diese Bombe? Wer zahlt wie viel dafür? Wie viele dieser Bomben werden
geteilt? Außerdem hat sich Deutschland im Nichtverbreitungsvertrag (NVV)
völkerrechtlich dazu verpflichtet, keine Kontrolle über Atomwaffen zu
erlangen. Man müsste aus diesem Vertrag, der ohnehin schon an
Glaubwürdigkeit verloren hat, aussteigen. Das würde sein Ende einläuten.
Andere Staaten würden dem Beispiel folgen und man hätte am Ende sicherlich
nicht an Sicherheit gewonnen.
Der Vertrag stammt aus den 1960ern. Die Welt ist heute eben eine andere.
Das kann man so sehen. Der Nichtverbreitungsvertrag basierte ja darauf,
dass alle Staaten darauf verzichten, sich nuklear zu bewaffnen. Ausgenommen
sind nur die USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland, die
damals schon Atomwaffen besaßen und diese vorerst behalten durften. Sie
haben sich im Gegenzug dazu verpflichtet, perspektivisch vollständig
abzurüsten. Das ist aber nicht passiert. Im Gegenteil, die
Atomwaffenprogramme werden aktuell modernisiert. Gerade deswegen haben ja
auch viele Staaten reagiert und [1][sich vor einigen Jahren zum
Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) zusammengefunden]. Darin lehnen sie die
Existenz von Atomwaffen kategorisch ab.
Zu atomarer Abrüstung hat dieser Vertrag bisher aber auch nicht geführt.
Er prägt die Agenda der internationalen Nuklearpolitik mittlerweile
maßgeblich – weil alle anderen Abkommen zum Thema entweder gekündigt wurden
oder im Stillstand verharren. Und es treten immer noch neue Staaten bei.
Bis zum Sommer ist wohl der Beitritt Indonesiens und Brasiliens durch, dann
sind fünf der zehn größten Länder der Welt dabei. Die aktuellen Kriege
machen natürlich alles nicht leichter, aber einen Hoffnungsschimmer gibt
es.
Kommt es am Ende nicht auf die Atomwaffenstaaten an? Von denen ist beim AVV
keiner dabei.
Absolut, die müssen ins Gespräch einsteigen. Die Frage ist: Wie kriegen wir
das hin? Ein schlauer Move wäre, wenn sich mehrere Nato-Staaten dem AVV
anschließen oder zumindest konstruktiv mit ihm zusammenarbeiten und damit
den Ball zurück an China und Russland spielen.
So wie die Bundesregierung, die als Beobachterin an den jährlichen
Konferenzen zum Vertrag teilnimmt?
Ja. Wenn alle Nato-Staaten dem Beispiel folgen würden, hätten sie schon mal
einen großen Schritt gemacht. Dann könnten sie glaubwürdig sagen: Wir sind
bereit zu reden und die Gegenseite nicht. Dann müssten sich China und
Russland eine neue Position ausdenken.
Ganz praktisch machen Atomwaffen im Moment aber einfach einen Unterschied.
Auslöser für die aktuelle Debatte ist das drohende Comeback von Donald
Trump in den USA. Stellen wir uns vor, die USA treten unter ihm nächstes
Jahr aus der Nato aus. Russland greift das Baltikum an und droht
gleichzeitig dem Rest Europas mit seinen Atomwaffen. Eingreifen würde dann
wohl niemand – weil die nukleare Abschreckung zugunsten Moskaus
funktioniert.
Wir sollten [2][nicht jede dumme Aussage von Trump] überbewerten. Es ist
nicht gesagt, dass er die Wahl gewinnt und nicht, dass er als Präsident
wirklich aus der Nato aussteigen würde. Es ist nicht gesagt, dass Putin das
Baltikum überfällt und Europa die Füße stillhalten würde, falls doch.
Gleichzeitig müssen wir uns fragen, wie weit wir dieses atomare Spiel denn
mitspielen würden. Rüstet Europa nuklear auf, führt das ja nicht zu einer
Entspannung, sondern zu einer Eskalation. Putin würde entsprechend
nachlegen und schon sind wir in einem Überbietungswettbewerb mit
Massenvernichtungswaffen.
In der Ukraine sehen wir doch gerade, dass die nukleare Abschreckung
funktioniert: Aus Angst vor den russischen Atombomben verzichtet der Westen
darauf, an der Seite der Ukraine direkt einzugreifen.
Erstens ist fraglich, wie gut die russische Abschreckung wirklich
funktioniert. Waffenlieferungen finden ja trotz russischer Drohungen statt,
und zum großen Teil auch aus anderen Atomwaffenstaaten. Auch die
Bundesregierung hat, meist nach gründlichem Abwägen, noch jede Waffenart
geliefert, [3][vielleicht auch bald Taurus.] Das zeigt eigentlich, dass
nukleare Abschreckung eben in der Praxis gar nicht so gut funktioniert.
Selbst für Russland, das sich ohne Zweifel willens und fähig zeigt,
ZivilistInnen im großen Stil zu massakrieren.
Und zweitens?
Zweiten ist es zwar eine berechtigte Sorge, nicht in einen direkten
Konflikt mit Russland geraten zu wollen. Es ist aber spekulativ, ob es ohne
diese Atomwaffen tatsächlich einen Bodeneinsatz Nato in der Ukraine gäbe.
Für viel entscheidender halte ich dabei das konventionelle
Abschreckungspotential, das Russland ja auch hat. Ob man sich wirklich auf
einen Bodenkrieg mit Russland einlassen würde, ist ja noch mal eine andere
Frage als die nach einem Atomkrieg. Diese Ebene wird mir in der Diskussion
zu oft übersprungen.
Ihre Organisation setzt sich seit fast 20 Jahren gegen Atomwaffen ein. Zu
Beginn war das politische Klima dabei sicherlich noch günstiger als heute.
Um wie viel schwieriger ist Ihre Arbeit seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor
zwei Jahren geworden?
Natürlich nimmt international der Druck zu, den die atomar bewaffneten
Verbündeten auf Deutschland machen: Die Bundesregierung soll sich nicht
kritisch über Atomwaffen äußern. Das macht es schwieriger, im Inland
Fortschritte zu erzielen. Bei meinen Gesprächen im Bundestag und in den
Ministerien habe ich aber weiterhin nicht das Gefühl, dass da ernsthaft
jemand Atomwaffen gut findet. Man ist dort nicht von deren
sicherheitspolitischem Wert überzeugt, sondern will einfach den Eindruck
der Geschlossenheit des Westens nicht gefährden.
Auch die innenpolitische Debatte hat sich aber geändert. [4][Anlass für die
aktuelle Diskussion war eine Äußerung aus der SPD.] Sogar Linksliberale
denken heute über europäische Atomwaffen nach.
Ja, dahinter steckt offenbar ein Mix aus Überreaktion nach den Aussagen von
Trump, ein bisschen Ratlosigkeit und mangelnde Kenntnis über die
rechtlichen, technischen und politischen Grundlagen.
Sehen Sie die Grünen noch an ihrer Seite? Joschka Fischer fordert bereits
europäische Atomwaffen.
Insgesamt sind dort sicher nicht alle auf unserer Seite. Grundsätzlich habe
ich aber den Eindruck, dass in der Partei mehrheitlich immer noch eine sehr
grundsätzliche Haltung gegen Atomwaffen vorherrscht. In der aktuellen
Diskussion ist es nur schwer, damit einen Punkt zu machen. Im Wahlprogramm
zur Europawahl steht als Forderung immerhin der Beitritt aller europäischen
Staaten zum Atomwaffenverbotsvertrag. Ich bin gespannt, wie die Grünen
damit im Wahlkampf tatsächlich umgehen werden.
Wie gehen Sie als Organisation strategisch mit der neuen Weltlage und dem
Umschwung in der öffentlichen Meinung um?
Früher haben wir stark humanitär argumentiert: Wir müssen den Überlebenden
von Hiroshima zuhören und die Opfer von Atomwaffentests entschädigen. Heute
sind unsere Argumente stärker auf die sicherheitspolitische Debatte
ausgerichtet: Bringen Atomwaffen wirklich Sicherheit? Und wie kann man
Sicherheitspolitik ohne sie gestalten? Wir passen uns argumentativ also
schon an die neue Lage an. Gleichzeitig versuchen wir, mit neuen Partnern
aus der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen und eine neue Bewegung
aufzubauen. In Deutschland haben sich gerade erst der BUND und verschiedene
kleinere Organisation unserer Kampagne angeschlossen.
Hat sich in den vergangenen beiden Jahren nicht auch die Bündnisarbeit
erschwert? Einige Gruppen der klassischen Friedensbewegung, zum Teil auch
Partner von ICAN, haben sich mit ihren Positionen zum Ukraine-Krieg ins
gesellschaftliche Abseits manövriert.
Wir sind nicht in dem Sinne mit der klassischen Friedensbewegung in einer
gemeinsamen Struktur, dass wir uns gegenseitig unsere Positionen
vorschreiben. Wir arbeiten punktuell zu einem bestimmten Thema zusammen und
das auch ganz gut. Natürlich sind bestimmte Äußerungen für unsere
politische Kontaktpflege nicht immer hilfreich. Aber als dramatisch
empfinde ich das nicht.
26 Feb 2024
## LINKS
[1] /Vertrag-zum-Atomwaffenverbot/!5742131
[2] /US-Praesident-ueber-Trumps-Nato-Aeusserung/!5992403
[3] /Waffenlieferungen-an-die-Ukraine/!5990543
[4] /Atomwaffen-fuer-Europa/!5992423
## AUTOREN
Tobias Schulze
Florian Eblenkamp
## TAGS
Verteidigung
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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