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# taz.de -- Tausende gedenken der Opfer: Hanau ist überall
> Vor dem vierten Jahrestag des Attentats gehen in Hanau Tausende auf die
> Straße. Sie fordern politische Konsequenzen.
Bild: Mit den Porträts der Ermordeten demonstrieren die Menschen in Hanau gege…
Hanau taz | Hanau, Samstagmittag. Vor einem Ladengeschäft in der
Krämerstraße reichen sich Menschen die Hand, umarmen sich, packen zwei
Autos voll mit Transparenten und Ordnerwesten. Über dem Schaufenster des
Ladens steht der Schriftzug #saytheirnames, drinnen hängen die Fotos von
neun jungen Menschen.
Es sind: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel
Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und
Gökhan Gültekin.
Ihre Geschwister, Eltern, Freunde treffen sich seit 2020 hier in den Räumen
der Initiative 19. Februar. Um sich gegenseitig zu trösten, um mitten in
der Stadt sichtbar zu bleiben, um die [1][Aufarbeitung des Hanau-Attentats]
voranzutreiben. Heute, zwei Tage vor dem Jahrestag, sind sie hier, um zu
demonstrieren.
Vier Jahre sind vergangen, seitdem ein polizeibekannter Rechtsextremer im
hessischen Hanau neun junge Menschen ermordete, die nicht in sein
rassistisches Weltbild passten. Dann tötete er seine Mutter und sich
selbst.
Es sind vier Jahre, in denen die Angehörigen der Opfer nicht nur mit ihren
persönlichen Verlusten und ihren Traumata auseinandersetzen mussten,
sondern mit dem, was sie als [2][vielfältiges Versagen staatlicher
Institutionen] sehen. Und mit dem rechtsextremen Vater des Täters, der noch
immer in ihrer Stadt lebt.
Die Initiative 19. Februar hofft, dass die neue Breite des Protests gegen
Rechts sich auch zum vierten Jahrestag des Anschlags zeigt. Zumal dem Land
Hessen und der Stadt Hanau in diesem Jahre ein stilles Gedenken am liebsten
wäre – ohne die scharfe Kritik, die die Angehörigen im vergangenen Jahr auf
der offiziellen Gedenkfeier an der Polizei, an Ministerien und der Stadt
geübt hatten. „Keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen“, steht auf den
Plakaten, die heute im Schaufenster, aber auch in ganz Hanau hängen.
Gerade sind einige Unterstützende aus Berlin und Frankfurt am Laden
angekommen. Es gibt Tee und Kaffee. Die Sonne blitzt aus den Wolken, gutes
Demowetter. „Es werden Tausende kommen“, sagt einer der Unterstützer zu
Niculescu Păun, dem Vater des mit 22 Jahren ermordeten Vili-Viorel Păun.
„Dann sind das immer noch Tausende zu wenig“, sagt Păun, Trauer in der
Stimme.
Zunächst sind es einige Hundert, die sich am Kurt-Schumacher-Platz in
Hanau-Kesselstadt versammeln. Viele tragen Schilder mit den Namen und
Gesichtern der Ermordeten mit, mit Sprüchen wie: „Für strengere
Waffengesetze! FDP hör auf zu blockieren!“
Ein paar Meter von hier wurde Nicolescu Păuns Sohn getötet, auf einem
Lidl-Parkplatz. Als Schüsse auf Vili-Viorel Păuns Auto abgegeben wurden,
folgte dieser dem Täter, um Tote zu verhindern. Păun wählte dreimal den
Polizei-Notruf. Niemand nahm ab, bis er schließlich selbst tot war.
Anschließend betrat der Täter einen Kiosk und erschoss Mercedes Kierpacz,
Ferhat Unvar und Gökhan Gültekin. Kurz darauf Hamza Kurtović und Said Nesar
Hashemi in der Arena Bar.
Vier Jahre später sagt Nicolescu Păun auf dem Kurt-Schumacher-Platz, die
Zeit, die Wahrheit herauszufinden, sei vorbei. Von der Initiative
beauftragte Gutachten und der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag
hätten strittige Fragen um die Morde herum aufgeklärt. Um den
unterbesetzten Polizei-Notruf. Nun sei es Zeit für Konsequenzen in Politik
und Polizei: „Damit keine anderen Eltern das erleben müssen, was wir erlebt
haben.“
13 der 19 SEK-Polizisten, die am 19. Februar 2020 in Hanau Dienst hatten,
waren Mitglieder rechtsextremer Chatgruppen. Das stellte sich 2021 heraus.
Die Menge auf dem Kurt-Schumacher-Platz wächst. Auf einem Hochhausbalkon am
Platz steht eine Gruppe Männer und beäugt skeptisch den Protest. Hinter
ihnen weht eine Deutschlandfahne.
Auf dem Lautsprecherwagen betont Newroz Duman, Sprecherin der Initiative
19. Februar, die Verbundenheit mit anderen Angehörigen-Initiativen in
Solingen, München, Halle. Schilder in der Menge zeigen die Gesichter und
Namen anderer Opfer rechter Gewalt aus den letzten Jahrzehnten. „Heute
stehen wir hier endlich gemeinsam“, ruft Duman. „Wir gedenken aller und
meinen alle Opfer von rassistischer und antisemitischer Gewalt.“
Die Demo setzt sich Richtung Innenstadt in Bewegung. „Widerstand überall,
Hanau war kein Einzelfall“, tönt es aus der Menge. Die Hanauer Initiative
hat dazu aufgerufen, Instrumentalisierungen der Gedenkdemo, etwa für
Positionen zum Krieg im Nahen Osten zu unterlassen. Am Vorabend hatte es in
Frankfurt eine Demo gegeben, die Hanau mit Gaza verbunden hat. Die
Demonstrierenden am Samstag halten sich an den Aufruf der Angehörigen.
„Wo wart ihr in Hanau?“, rufen sie den Polizisten am Straßenrand zu. Viele
Anwohnende schauen aus den Fenstern zu. Am Heumarkt hält der Zug kurz. Hier
hatte der Täter zuerst Kaloyan Velkov getötet, schließlich Fatih Saraçoğlu
und Sedat Gürbüz.
Çetin Gültekin, Bruder des toten Gökhan Gültekin trägt hier ein Gedicht
vor. Wenig später sagt er auf dem Marktplatz, wo sich die Tausenden vor
einer Bühne sammeln: „Die AfD hat in Hanau bei der letzten Hessenwahl über
18 Prozent bekommen! Wir müssen uns fragen: Was läuft schief?“
Gültekin verweist auf die Correctiv-Recherche zu den Deportationsplänen der
Rechtsextremen und auf die Rede Bernd Höckes, die sich der Täter von Hanau
am Vorabend der Morde im Internet angesehen hat. Seine Schüsse eine
Ausführung Höckes „wohltemperierter Grausamkeit“. „Vielleicht sollten a…
Migranten in diesem Land einmal eine Woche die Arbeit niederlegen“, sagt
Çetin Gültekin. „Wer würde die Straßen bauen, wer die Alten pflegen? Wir
sind in allen Berufen unterwegs. Die Bundesrepublik Deutschland hätte ihren
Wohlstand nicht, wenn es uns nicht gäbe.“
Weiter fordert er: „Alle Rassisten müssen sofort entwaffnet werden.“ Nach
den Taten von Hanau hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) schärfere Waffengesetze angekündigt. Auf Druck der Schützenverbände
kamen sie bis heute nicht zustande.
Auch weitere Angehörige artikulieren auf dem Marktplatz ihre Trauer, ihre
Fragen und Forderungen. Dazu gehört ein Denkmal hier auf dem zentralen
Platz Hanaus. Die Stadt verweigert sich dem bislang, sieht einen
abgelegeneren Platz vor.
Bürgermeister Claus Kaminski (SPD) wollte den Jahrestag still begehen. Am
Samstag aber sind die Angehörigen laut. Und werden gehört von vielen. Die
Polizei zählte 5000, die Initiative 8000. Für den 19. Februar selbst sind
noch viele Demonstrationen mehr geplant. Im ganzen Land.
Auf dem Marktplatz von Hanau ruft Emiş Gürbüz, Mutter des toten Sedat
Gürbuz der Menge zu: „Deutschland, du hast meinen Sedat ermordet, aber
Tausende Sedats wurden geboren“.
17 Feb 2024
## LINKS
[1] /4-Jahrestag-des-Hanau-Anschlags/!5990757
[2] /Abschlussbericht-zu-Hanau-Morden/!5978472
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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