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# taz.de -- Deutsche Filmbranche diskutiert über KI: Eine aussterbende Art
> Schauspieler und Produzenten verhandeln über künstliche Intelligenz.
> Während sich Schauspieler schützen wollen, sehen Produzenten eine
> Chance.
Bild: Durch KI um einige Jahrzehnte verjüngt: Harrison Ford im fünften „Ind…
„Wir werden alles dafür tun, damit Kreativität gefördert wird und damit
Kreative nicht abgeschafft werden.“ So kämpferisch formuliert Schauspieler
Heinrich Schafmeister einen Anspruch, über den er zurzeit als
Tarifverhandlungsbevollmächtigter der [1][Schauspielergewerkschaft
Bundesverband Schauspiel (BFFS)] mit der deutschen Produzentenallianz
diskutiert.
Und es ist ein komplizierter Bereich, um den es geht: Welche Regeln sollen
gelten, wenn Daten von Darsteller*innen digitalisiert, ihre
Darstellungen digital bearbeitet, digitale Klone von ihnen erzeugt oder
komplett neue Avatare aus realen Vorbildern erschaffen werden? Schafmeister
und seine Kolleg*innenschaft fordern bei all diesen Punkten ein
Mitspracherecht sowie eine zusätzliche Vergütung: „Große Schwierigkeiten
haben wir mit Replikaten, die uns letztlich arbeitslos machen würden.“
Dass Vergütungen sein müssen, wenn menschliche Akteur*innen in Szenen
eingefügt oder verfremdet werden, darüber besteht auch für Björn Böhning
kein Zweifel. Aber der Vorstand der Produzentenallianz will bestimmte
Anwendungen nicht generell ausschließen: „Wir wollen das für schnellere und
bessere Produktionsprozesse einsetzen. Etwa, um bei einer Verletzung von
Schauspielern einzelne Szenen mit deren Zustimmung ersetzen zu können. Das
müsste auch in ihrem Interesse sein.“
## Gleiche Debatte in Hollywood
Genau diese Debatte, die jetzt Gewerkschaft und Produzentenverband in
Deutschland führen, war auch Ausgangspunkt für [2][einen der größten
Streiks, den Hollywood jemals erlebt hat]. Letztes Jahr gingen
Akteur*innen vor und hinter der Kamera auf die Barrikaden, weil sie
unter anderem den Einsatz von künstlicher Intelligenz eindämmen wollten,
und legten damit für Monate das TV- und Kinobusiness lahm.
„Die Körper von Statisten sollen gescannt, für einen Tag Arbeit bezahlt
werden und die Studios hätten dann die Rechte an diesen digitalen Doubles
für immer“, hatte sich letzten Juli Duncan Crabtree-Ireland von der
Gewerkschaft SAG-Aftra auf einer Pressekonferenz über die Pläne
amerikanischer Produktionsunternehmen geärgert. „Nanny“-Star und
Gewerkschafterin Fran Drescher wies ergänzend auf die Gefahr hin, dass
Drehbuchautor*innen sowie Synchronsprecher*innen ebenfalls durch
Maschinen ersetzt werden könnten.
Erst im Dezember kam es schließlich zu einer Einigung. Vereinbart wurden
Ausgleichszahlungen sowie ein Mitspracherecht der menschlichen Vorbilder,
wenn es um den Einsatz von deren digitalen Kopien geht. Auch über die
Bezahlung wurde eine Einigung erzielt, wenn Avatare von
Darsteller*innen beispielsweise in Serien verwendet werden, in denen
sie bereits „in echt“ mitgewirkt haben.
Grundsätzlich ist der Einsatz von KI gerade bei vielen großen Blockbustern
und aufwendigen Streamingserien schon Standard. Harrison Ford etwa zeigte
sich begeistert über sein verjüngtes künstliches Ich im [3][fünften Teil
von „Indiana Jones“]. In manchen Sequenzen erlebt das Publikum den
80-Jährigen noch mal als Actionhelden in seinen besten Jahren.
## Stimme des verstorbenen Hans Clarin ersetzt
Das KI-Synchronisations-Start-up Dubformer mit Sitz in Amsterdam etwa wurde
letzten Sommer von dem Produktionsunternehmen All3Media beauftragt, 100
Stunden Factual-Programm per Computer vom Englischen ins Spanische zu
übersetzen. Auch der junge Luke Skywalker in der Disney+-Produktion „Star
Wars: Das Buch von Boba Fett“ stammt komplett aus der digitalen Retorte. Im
deutschen TV geht es erst langsam los, zum Beispiel mit der digital
erzeugten Stimme des verstorbenen Schauspielers Hans Clarin für die
RTL-Version von [4][„Pumuckl“]. Oder in der Sky-Sendung „Me & Myself“, …
Dieter Hallervorden zu seinem 88. Geburtstag auf seinen 30 Jahre jüngeren
digitalen Klon traf.
Umgesetzt hatte das Volucap. Das Studio erstellte auch für [5][„The Matrix
Resurrections“] und aktuell für den Science-Fiction-Film „Mickey 17“ mit
Robert Pattinson 3D-Avatare und Deepfakes der Stars. Geschäftsführer Sven
Bliedung von der Heide ist sich sicher, dass die technologische Entwicklung
noch ganz am Anfang steht und mittelfristig zum Standard in der
Bewegtbildproduktion wird. Bei Volucap kommen in einem neuartigen
Verfahren über 40 Kameras zum Einsatz, die die Bewegungen der
Darsteller*innen aufzeichnen und digitalisieren. Später werden die
menschlichen Akteur*innen mittels KI dann in die entsprechenden Szenen
eingefügt.
Laut Bliedung von der Heide gibt es weltweit nur eine Handvoll Studios, die
auf diese Technologie setzen: „Im Gegensatz zum bisher gängigen
Motion-Capture-Verfahren, bei dem zuerst mehr als 100 Fotos von Menschen
angefertigt werden und deren 3D-Modelle anschließend animiert werden,
filmen wir sie direkt in Bewegung – das wirkt realistischer.“ Für den
Produzenten ist vollkommen klar, dass mit Verbesserung der Rechenleistung
zukünftig kein Unterschied mehr zwischen menschlichen und künstlich
erzeugten Darsteller*innen zu sehen sein wird.
Der Geschäftsführer, der auch Nutznießer der aktuellen Entwicklung ist,
hält inzwischen selbst Vorträge und ist Gast bei vielen
Branchenveranstaltungen, um seine Sicht der Situation zu erklären: „Mir ist
wichtig, dass Schauspieler verstehen, was auf sie zukommt und wie sie damit
umgehen können.“
## Bessere Schauspielleistung?
Genau wie die Produzentenallianz auch, wertet er die Befürchtungen wegen KI
als „zu kurz gedacht“. Zurzeit versucht die Produktionslandschaft die
darstellenden Künstler*innen mit Hinweis auf „die Mehrwerte“ zu
beruhigen: Etwa mit der Möglichkeit, noch im hohen Alter via Klon beruflich
aktiv sein zu können. Oder mit der Aussicht, in anderen Weltregionen oder
-märkten erfolgreich zu sein, weil sie die jeweilige Sprache generieren
könnten. Auch ihr Gesicht könnte angepasst werden, etwa für ein asiatisches
Publikum. Synchronarbeiten könnten schon jetzt zum größten Teil von KI
übernommen werden – zumindest technisch ist es möglich.
Der Hinweis aus der Branche, dass Menschen immer noch gebraucht würden,
damit Inhalte kuratiert und eintrainiert werden müssten, dürfte
Schauspieler*innen wohl kaum beschwichtigen. Der BFFS zum Beispiel
kritisiert immer wieder, dass darstellerische Leistungen durch KI nicht
besser werden. Das bezweifelt Bliedung von der Heide allerdings: „Etwa bei
Liebesszenen, in denen ein Funke von der Leinwand überspringen soll.“ Das
gelinge bei der menschlichen Darstellung eher selten – mit den Regungen im
Gesicht, den Blutströmungen und den ganzen biologischen Details. Diese
unbewussten Prozesse können sich Darsteller*innen nicht antrainieren,
so Bliedung von der Heide.
Für Schafmeister zählen solche Argumente nicht: „Kreativität beruht zu
einem gewissen Teil auch auf kindlicher Intelligenz, sogar auf menschlichen
Fehlleistungen, und beides bekommt eine Maschine nicht hin.“ Und mit Blick
auf den Einsatz von KI ist er sich nicht sicher, ob in der
Produzentenlandschaft, die sich davon Vorteile erhofft, die Folgen auch für
deren eigenes Geschäftsmodell unterschätzt werden: „Sie könnten sich in
Zukunft damit auch selbst überflüssig machen.“
21 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.bffs.de/
[2] /Einigung-mit-Filmstudios-in-Hollywood/!5972010
[3] /Fuenfter-Teil-von-Indiana-Jones-im-Kino/!5940318
[4] /Legendaerer-bayerischer-Filmkobold/!5572592
[5] /Matrix-Resurrections-im-Kino/!5821065
## AUTOREN
Wilfried Urbe
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