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# taz.de -- Kinder-Konzert „Unter meinem Bett“: Verwandte im Geiste
> Das Kindermusikprojekt „Unter meinem Bett“ gibt es nicht nur auf CD,
> sondern auch als Konzert. Ein Nachmittag mit modernen Familien in
> Hamburg.
Bild: Die Eltern singen „Ohlalalalala“ und die Kinder „Macht euch keine S…
Ein Ticket hätte er zu verkaufen, sagt der mittelalte Mann, ob wir nicht
eines bräuchten? Nein? Schade, denn bei ihm zu Hause „hat der Weihnachtmann
eines zu viel gebracht“ und die Frau an der Abendkasse will es partout
nicht zurücknehmen, auch nicht für zehn Euro, obwohl es 27 gekostet hat im
Vorverkauf. Also Geld futsch. Aber scheißegal, solange nachher die Kinder
glücklich sind (für die das Ticket übrigens 19 Euro im Vorverkauf kostet,
wenn sie zwischen 4 und 13 Jahren alt sind).
Nett ist, dass die Vor-Ort-Kasse „Abendkasse“ heißt, obwohl es helllichter
Tag ist, nämlich halb drei Uhr nachmittags in Hamburgs grün-alternativem
Besserverdienerstadtteil Ottensen. Dort steht das legendäre
Stadtteilkulturzentrum Fabrik, [1][in dem früher mal Miles Davis
aufgetreten ist] und als nächstes bei Kaffeebrewdas Kaffeeshow für 27,90
Euro pro Ticket „Kaffeewissen aus erster Hand“ vermittelt wird. Es ist
davon auszugehen, dass dort Fair-Trade-Bohnen und Hafermilch zum Einsatz
kommen – alles andere könnte Anwohner*innenproteste nach sich
ziehen, und das kann niemand wollen.
An diesem Sonntagnachmittag aber ist ein Konzert des Projekts [2][„Unter
meinem Bett“], welches man Menschen außerhalb der Zielgruppe erst erklären
muss. „Unter meinem Bett“ ist der Name einer [3][Alben-Reihe], die
mittlerweile acht Alben nebst Weihnachts- und Best-of-Album umfasst. Auf
jeder CD sind verschiedene Liedermacher*innen zu hören, die selbst
komponierte, deutschsprachige Songs zum Besten geben. In denen geht es um
Belange, die Kinder beschäftigen, zum Beispiel: ständig irgendetwas zu
müssen, die Freiheit des Sommers zu genießen, vom Handy-Konsum der Eltern
genervt zu sein, Angst zu haben und sich zu trauen, das zu sagen. Oder
einfach von Mücken genervt zu sein.
Letztlich sind es also Themen, die immer auch die Eltern beschäftigen und
die Musik ist eine, die die Eltern auch hören, denn es handelt sich um
anerkannte Singer-Songwriter wie [4][Bernd Begemann], Desiree Klaeukens,
Jan Plewka, Moritz Krämer, Matze Rossi, das Duo Pauken und Planeten. Diese
Aufzählung umfasst nur einen Teil der am Projekt beteiligten Musiker*innen,
aber sie benennt diejenigen, die am Sonntag in der gut gefüllten
[5][Fabrik] waren, um Musik zu machen.
## Etwas Gemeinsames entsteht
Da sind dann also junge Familien samt Papas, was in dieser sozialen Blase
nichts Besonderes, sondern üblich ist. Manche von ihnen kennen die Lieder
so gut, dass sie mitsingen können. Die anderen können zuhören, ohne sich zu
langweilen, und alle können ihren Kindern die Schuhe ausziehen und sie nach
vorne zur Bühne schicken, wo Matten liegen und getanzt, mitgesungen und die
Arme geschwenkt werden können.
Was an diesem Nachmittag passiert, ist genau das, was auch bessere
Abendkonzerte ausmacht: Eine Band steht auf der Bühne, das Publikum steht
unten und die einen reagieren auf die anderen, damit etwas Gemeinsames
entsteht, das alle freut. Befeuert wird das durch die wie immer
mitreißenden Moderatorenqualitäten von Bernd Begemann und die charmante
Möglichkeit, Mitsing-Chöre in Eltern und Kinder zu teilen. Die Eltern
singen: „Ohlalalalala.“ Und die Kinder: „Macht euch keine Sorgen.“
Überhaupt sind es die melancholischen Töne, die überwiegen, da bleiben sich
die Singer-Songwriter treu. Die Kinder gehen da mit, man könnte vermuten:
Sie fühlen sich ernst genommen. Manche zumindest. Andere nutzen die
Möglichkeit, zwischen den Stuhlreihen Fangen zu spielen. Wieder andere
erfreuen sich an den weniger nachdenklichen Texten, die es auch gibt: „Ich
will ’ne Extrawurst“ zum Beispiel ist eine gerade Rocknummer ohne den
Ansatz, Befindlichkeiten auszudiskutieren.
Songwriter [6][Moritz Krämer] hat seine kleine Tochter mitgebracht, die
auch auf der Bühne steht und tapfer mitsingt. Und wenn man sich umschaut im
Publikum, dann ist einem, als ob da lauter Moritz Krämers stehen, oder
sagen wir: lauter Verwandte im Geiste, die gleich ein Instrument auspacken
und auf die Bühne steigen an diesem Nachmittag im heilen Hamburg-Ottensen.
17 Feb 2024
## LINKS
[1] /Hamburger-Archiv-Schaetze-gehoben/!5845744
[2] /Kindermusik-Projekt-Unter-meinem-Bett/!5822425
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Unter_meinem_Bett
[4] /Bernd-Begemann-ueber-seine-Karriere/!5903277
[5] https://fabrik.de/startseite
[6] /Die-Band-Die-Hoechste-Eisenbahn/!5423701
## AUTOREN
Klaus Irler
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