# taz.de -- Zwei Bücher über den Tod: Der geteilte Raum des Erzählten | |
> Autorin Eva Schörkhuber und Journalistin Birgit Fuß denken in Büchern | |
> über Trauer nach. Sie beschäftigt, wie man dafür eine Sprache finden | |
> kann. | |
Bild: Trauernde nehmen Abschied auf einem Rasenfriedhof | |
Aktuell sind gleich eine ganze Reihe von Büchern erschienen, die einen | |
Blick auf Trauer und Tod werfen: Jo Franks „Trauer“, Olga Martynovas | |
„Gespräch über die Trauer“, [1][„Die Zeit der Verluste“ von Daniel | |
Schreiber] oder „Schwebende Brücken“ von Maike Wetzel. Manche von ihnen | |
sind keinem Genre zuzuordnen, aber vielleicht haben die Bücher gemeinsam, | |
dass Schreibende und Lesende sich zeitversetzt einer Trauerbewältigung | |
stellen. | |
Und oft zeigt sich dabei besonders das Leben in einem neuen Licht, so wie | |
das bei Eva Schörkhubers Essay „Die wunderbare Insel“ und Birgit Fuß’ | |
Bericht „Sterben darfst du aber nicht“ der Fall ist. | |
Den Tod des Vaters und den Freitod eines nahen Freundes nimmt die | |
österreichische Schriftstellerin Eva Schörkhuber als Anlass, den Tod in den | |
Blick zu nehmen. Sie wurde 1982 in St. Pölten geboren, studierte | |
Germanistik und Komparatistik in Marseille und Wien und ist | |
Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift PS. Politisch Schreiben. Bisher | |
hat sie drei Romane veröffentlicht, zuletzt „Die Gerissene“, eine | |
Geschichte über eine junge Frau, die sich mit Witz durch die Welt schlägt, | |
in der sie Dinge in Bewegung setzen will. | |
In dem Essay „Die wunderbare Insel“ möchte sie am Küchentisch mit dem Tod | |
auf Du und Du gehen. Das klingt gewagt. Erst rekapituliert sie die Urszene | |
ihrer großen Angst vor ihm: Es beginnt während der Kindermette am | |
Osterfest. | |
„Zwischen den Zeilen eines Liedes“ ergreift die Achtjährige eine | |
unerklärliche Angst vor dem Tod, die sie fortan durch die Kindheit | |
begleiten wird. Besonders groß ist sie beim Einschlafen, bis der kleine | |
Bruder beginnt, in der unteren Etage des Stockbetts Geschichten von einer | |
wunderbaren Insel zu erzählen, auf der alles möglich ist. | |
## Unterschlupf für die Trauer | |
2021 stirbt ihr Vater. Das Pflegepersonal im Krankenhaus entscheidet, dass | |
sie seine letzten Stunden im großen Kreis verbringen können: seine Frau und | |
die Kinder, ihre Lebenspartner und Freund:innen. Zwölf Personen sind es, | |
die ihn begleiten. Schörkhuber beschreibt, wie wichtig es gewesen sei, dass | |
das Pflegepersonal – das Risiko des Entstehens eines Coronaclusters auf | |
sich nehmend – diesen Abschied möglich gemacht hat. Denn sie alle wachsen | |
zu einer Trauergemeinschaft zusammen. Sie bauen sich einen „Unterschlupf | |
für ihre Trauer“, so nennt sie es. | |
Das Wort „Angehörige“ tauscht sie daher auch gegen „Zugehörige“ aus u… | |
meint damit einfach Menschen, die dem Verstorbenen nahe waren. Ihr Essay | |
ist eine intime Innensicht, schaut aber zugleich immer auch auf die | |
Gesellschaft. | |
„Über den Tod nachzudenken heißt, über alle nachzudenken“, dieses Zitat … | |
amerikanischen Autorin Anne Boyer stellt sie ihrem Text voran, und auch | |
Stimmen wie die von [2][Joan Didion,] Péter Nadás oder [3][Maria Stepanova] | |
führen sie weiter in ihren Gedanken. Wieder und wieder weitet sie so den | |
Blick, ehe sie zu ihrer Erfahrung zurückkehrt. Auf diese Weise wird der | |
Essay vielleicht auch zu einer Ermächtigung und einer Emanzipation von | |
ihrer Angst. | |
Sie denkt über Schuld nach: Warum hat sie den Anruf ein paar Tage vor dem | |
Freitod des Freundes nicht angenommen? Hätte sie etwas ändern können? | |
Fragen, die sich Hinterbliebene nicht selten stellen. | |
## Der Tod ist nicht das Ende | |
Schörkhubers Nachdenken über Krankheit und Sterben ist auch eines über die | |
ungleichen Bedingungen unseres Zusammenlebens. Sie erinnert sich an die | |
Vorbesprechung mit dem Vater, dessen Lungenerkrankung eine Transplantation | |
notwendig macht. Das Gespräch, um auf die Warteliste für ein Organ zu | |
kommen, gerät unerwartet zu einer Art Bewerbungsgespräch: Ob er und die | |
Familie in der Lage seien, die Medikamente zu managen? Ob er bereit sei, in | |
kurzer Zeit Gewicht abzunehmen? | |
„Zeit ist ebenso wenig gleich wie der Tod“, schreibt sie. Und: „Das | |
neoliberale Phantom eines selbstbestimmten, über seine körperlichen, | |
seelischen und geistigen Anlagen vollkommen frei verfügenden Individuums | |
ist längst entzaubert.“ | |
Ein Song ist es vielleicht auch, der die beiden Bücher von Schörkhuber und | |
Fuß verbindet: „Death is not the end“ von [4][Bob Dylan]. Beide Autorinnen | |
haben mit ihm ein Kapitel überschrieben, wenngleich sie ihm unterschiedlich | |
begegnen. Für Fuß ist er ein Trost im Wortsinn, während Schörkhuber sich | |
ihm mit Unbehagen nähert, weniger wegen des religiösen Subtexts des Songs, | |
sondern weil der Tod eben nicht das Ende von Krieg, Leid und Elend ist – | |
„da können wir glauben und singen, was wir wollen“. | |
„Sterben darfst du aber nicht“ von Birgit Fuß ist ein Bericht von einem | |
Abschied und einem Anfang. Fuß wurde 1972 in Fürstenfeldbruck geboren und | |
studierte Germanistik, Amerikanistik und Journalismus in Hamburg. Seit 1998 | |
arbeitet sie als Autorin und Redakteurin bei dem Musikmagazin Rolling | |
Stone. | |
## Eine Liebe wächst zwischen den E-Mails | |
Es ist eine berührende Lebens- und Liebesgeschichte, verrückt, voller | |
Hoffnung, romantisch, traurig, wild und beginnt so: Die Erzählerin ist | |
Musikjournalistin und betreut die Texte eines Autors, Philip. Sie ist | |
damals 43 Jahre alt, verheiratet und seit 16 Jahren in einer Partnerschaft, | |
aber längst nicht mehr glücklich. Die Mails zwischen ihr und Philip werden | |
länger, der Kontakt wird immer intensiver. Ihren Austausch nennen sie | |
irgendwann „reden“, 30.000 Nachrichten werden es am Ende sein. | |
„Noch halte ich durch“, antwortet sie ihm eines Tages auf die Frage, ob sie | |
denn noch verheiratet sei. Und ist erschrocken über das Geständnis, das ihr | |
ein Gegenüber entlockt hat, den sie noch nie getroffen hat. „Er konnte | |
Menschen auf der Basslinie berühren“, schreibt sie, und ihre Verbindung und | |
Geschichte wird eine ganz Besondere werden. Er nennt sie Füchsin, sie ihn | |
Bono. | |
Sie wagt den Schritt der Trennung von ihrem Mann und sucht sich eine neue | |
Wohnung. Gesehen hat sie Philip aber immer noch nicht. Dann fragt er sie | |
eines Abends per SMS, um 23.14 Uhr, ob sie ihn liebe. Sie antwortet, ohne | |
zu zögern, mit ja. | |
Doch ihnen bleibt nur ein Jahr. Am ersten Weihnachtsfeiertag, dem ersten | |
Jahr ihrer Begegnung, bekommt sie die Nachricht, dass er ins Krankenhaus | |
muss. Wenige Tage später stirbt er. | |
## Ratschläge von Bono | |
Fuß nimmt die Lesenden auf den Weg ihrer Trauer mit, macht die Türen auf, | |
zeigt ihre Trauer, statt sie zu verstecken. Sogar Bono von der Band U2, den | |
sie für ein Interview in São Paulo treffen soll, teilt in einem | |
Telefoninterview, das zwischen ihnen stattfindet, weil sie nicht reisen | |
kann, mit ihr eigene Erfahrungen über Trauer und Abschied. | |
„Wir Trauernden helfen uns gegenseitig und erzählen uns gern immer wieder | |
dieselben Geschichten, weil wir wissen, dass das hilft“, schreibt sie. | |
Womöglich ist es auch das, was Texte über Tod und Trauer so wichtig macht: | |
Der geteilte Raum des Erzählten und des Nachvollziehens geben Trost. | |
Ihr Bericht fordert. Er ist ehrlich, kompromisslos und zugleich weich und | |
empathisch, ein Hinsehen und Bei-sich-Bleiben, Aushalten und Weitermachen. | |
Fuß entscheidet sich, eine Ausbildung als Sterbe- und Trauerbegleiterin zu | |
machen, und so hat diese Liebe ihr auch einen neuen Weg im Leben gezeigt. | |
## Schmerzgedächtnis der Psyche | |
Als sie den Bericht zu Ende schreibt, sind sechs Jahre seit seinem Tod | |
vergangen. Zum ersten Mal verbringt sie den Jahrestag nicht am Grab, | |
sondern verreist. Trotzdem, stellt sie fest, hat der Körper vielleicht | |
nicht nur ein Schmerzgedächtnis, sondern auch die Psyche. „Ich möchte | |
niemanden anlügen und sagen, dass es leicht wird. Es bleibt beschissen | |
schwer, aber es wird leichter. […] Der Schmerz wird aushaltbar, weil er so | |
vertraut ist.“ | |
Es ist nicht einfach, eine Sprache für Trauer zu finden. Diese beiden | |
Bücher sind ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann. Denn obgleich über | |
den Tod zu schreiben ein unmögliches Vorhaben bleibt, weil er sich nicht | |
denken lässt, eröffnen sie auf ganz unterschiedliche Weise Blickwinkel, wie | |
Trauer und ein Miteinander nach einem Verlust gelebt werden können. | |
11 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Michaela Maria Müller | |
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