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# taz.de -- Bezahlkarte für Geflüchtete: Ausdruck der Menschenfeindlichkeit
> Berlin will die Bezahlkarte für Asylsuchende einführen. Sich dem rechten
> Mob zu beugen, ist nie eine gute Idee.
Bild: Bevormundung im Taschenformat: dDie Bezahlkarte für Asylsuchende
Dass es beim Thema Migration meist herzlich wenig um rationale Argumente
geht, lässt sich an der Bezahlkarte für Asylsuchende, die der schwarz-rote
Berliner Senat [1][nun einführen will], besonders gut ablesen. Denn es
spricht dermaßen viel dagegen, dass es nur einen Grund geben kann, sie
trotzdem einzuführen: Es geht um die Stigmatisierung von Schutzsuchenden.
Menschen, die vor Krieg, Terror, Naturkatastrophen oder Hunger fliehen,
werden von Opfern zu Sündenböcken gemacht, um die wahren Ursachen sozialer
Probleme zu verschleiern.
Bereits Anfang der 90er Jahre beugte sich die Politik dem rechten deutschen
Mob und höhlte [2][mit dem sogenannten Asylkompromiss] die Rechte
Asylsuchender weitgehend aus. Auch damals wurde Bargeld durch
Sachleistungen ersetzt, wie heute zum Zwecke der Abschreckung.
Doch nach nur wenigen Jahren kehrte man wieder zu Bargeldzahlungen zurück.
Denn nicht nur waren die Kosten für Sachleistungen meist sehr viel höher,
auch musste man einsehen, [3][dass auch geflüchtete Menschen Rechte] haben,
die nicht einfach so nach Gutdünken übergangen werden können.
## Keine Lehren gezogen
Das scheint heute alles wieder vergessen – oder vielmehr verdrängt. Die
Menschenwürde spielt schon lange nur noch eine Nebenrolle,
wissenschaftliche Erkenntnisse zählen nicht mehr. Denn Belege dafür, dass
die (ohnehin nicht sehr hohen) Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes
ein Anreiz zur Flucht sind, gibt es nicht. Im Gegenteil, wissenschaftlich
gesehen ist das [4][absoluter Unfug].
Was auch immer sich die Politiker*innen von CDU und SPD vorstellen:
Die Menschen werden wohl kaum im Bombenhagel vor den Trümmern ihrer Häuser
stehen und sich denken: „Och nö, wenn ich in Deutschland kein Bargeld
bekomme, dann bleibe ich lieber hier.“ Wie zynisch muss man sein, um das zu
glauben.
Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe glaubt das nicht. Daher war die
SPD-Politikerin lange Zeit auch [5][erklärte Gegnerin einer Bezahlkarte].
Nun stimmt sie doch zu, schließlich gehe es dieses Mal nicht um
Abschreckung, sondern um die Entlastung der Verwaltung, sagt sie. Ein wenig
überzeugendes Argument, da die Bezahlkarte nicht nur mit erheblichen
Mehrkosten, sondern auch bürokratischem Mehraufwand einhergeht.
Und wie gut die Hauptstadt auf technische Neuerungen vorbereitet ist, sehen
wir bei der e-Akte, [6][auf die wir immer noch warten]. Zumal es einfacher
und günstiger wäre, allen Asylsuchenden ein kostenloses Basiskonto zur
Verfügung zu stellen – ganz abgesehen davon, dass dadurch niemand
bevormundet würde.
## Stärkung der AfD
Doch im Überbietungswettbewerb mit der AfD zählen auch die besten Argumente
nicht. Da hilft es nicht zu fragen, ob es nicht einer freiheitlichen
Demokratie unwürdig ist, Menschen vorzuschreiben, wo und was sie einkaufen
dürfen. Oder ob es die AfD wirklich schwächt, wenn man ihre Forderungen
übernimmt. Und ob nicht andere für die sozialen Probleme verantwortlich
sind, etwa diejenigen, die fette Gewinne einstreichen, während sich selbst
die Mittelschicht die Miete nicht mehr leisten kann.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die Menschen in Berlin sich ähnlich
solidarisch wie in den 90er Jahren zeigen werden, als sie mit den
Bezahlkarten der Asylsuchenden einkaufen gingen und ihnen dann das Geld
dafür bar aushändigten. Und dass die Idee noch schneller stirbt als
seinerzeit – und dieses Mal endgültig.
30 Jan 2024
## LINKS
[1] /Bezahlkarte-fuer-Asylbewerber/!5985775
[2] /Bedeutung-des-Asylkompromisses/!5938659
[3] /Leistungen-fuer-Gefluechtete/!5964135
[4] https://www.bundestag.de/resource/blob/799860/b555457732e3ec012177cdf435711…
[5] /Leistungen-fuer-Asylbewerberinnen/!5984572
[6] /Digitalisierung-der-Verwaltung-in-Berlin/!5762663
## AUTOREN
Marie Frank
## TAGS
Migration
Flüchtlingspolitik
Diskriminierung
Schwerpunkt Flucht
Afrikanische Flüchtende
Migration
Asylsuchende
Christian Lindner
EU-Flüchtlingspolitik
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