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# taz.de -- Liebeskummer als Energiequelle: Weinen unterm Schreibtisch
> Es tat sehr weh, trotzdem möchte ich meinen Liebeskummer nicht missen. Er
> machte mich offen und kreativ wie lange nicht.
Bild: Wo Schatten ist, ist auch Licht
Liebeskummer hat einen schlechten Ruf. Er „lohne“ sich nicht, „my darling…
heißt es in einem 60 Jahre alten Hit, dessen Kernaussage gültig geblieben
ist: „Schade um die Tränen in der Nacht“. Dabei fließen die Tränen meist…
auch tagsüber, [1][Gefühle lohnen sich nie], weil sie nicht tauschbar sind,
und: Liebeskummer ist ein wunderbarer Zustand.
Ja, doch, ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass ich das, was
ich vor ein paar Monaten unbedingt loswerden wollte, fast ein bisschen
vermisse. So wie die Geburten meiner Kinder oder andere Zeiten, die nicht
leicht, aber voller Leben waren.
Ich bin nicht alleine mit dieser Erfahrung. Zwei Künstler:innen sagten
mir, sie hätten besonders viele neue Ideen gehabt in Zeiten heftigen
Liebeskummers. Die Datingagentur Elite-Partner spricht auf ihrer Homepage
gar von [2][„einer schöpferischen Phase von ungeahnter Kreativität“]. Ich
habe zwar nichts geschaffen in meinem Kummer, aber oft die Spur gewechselt.
Ich ging mehr tanzen als sonst, trat einem Chor bei und nahm an Workshops
teil, unter anderem zu fairem Raufen – ich hatte bis dahin nicht gewusst,
dass ich mich gerne mit Fremden balge.
Es ging nicht nur um Ablenkung. Ich war bereit, mich auf Neues einzulassen.
So hatte ich bisher beim Yoga den Handstand gemieden – und stand plötzlich
in einer Stunde so lange und so oft auf den Händen wie in den vergangenen
zehn Jahren zusammen. Andere ändern zu solchen Anlässen ihre Frisur,
schaffen sich ein Haustier an oder lernen ein Instrument.
Die beiden Künstler:innen und ich rätselten, woran das liegen könnte.
Der eine vermutete, es habe etwas mit der Umbruchsituation zu tun, die
andere schob den Kreativitätsflash auf überschüssige Energie, die zuvor in
die Liebesbeziehung geflossen war. Wissenschaftliche Literatur zu positiven
Begleiterscheinungen des Liebeskummers fand ich nicht, dafür einiges (sich
widersprechendes) darüber, ob [3][Männer] oder [4][Frauen] stärker leiden
und warum sich der Schmerz so furchtbar anfühlt: Weil im Körper dasselbe
geschieht wie beim Drogenentzug.
## Schmerzmittel sollen helfen
Genau so ging es mir: Von den unter anderem beim Sex ausgeschütteten
Glücks- und Bindungshormonen musste ich erst mal wieder runterkommen.
Schmerzmittel sollen übrigens helfen. Oder eine neue Liebe. Das hatte
[5][eine Studie aus dem Jahr 2014] ergeben, die sogenannte
Rebound-Beziehungen untersucht hatte.
Längst hatte ich zu googeln begonnen, wie ich mich des leidigen Gefühls
entledigen könnte. Die Intensität hatte stetig zugenommen, als sackte die
Trauer über den Verlust immer tiefer in meiner Seele. Sobald ich nicht
schwer beschäftigt war, weinte ich. Vor den Kindern, auf dem Fahrrad,
unterm Schreibtisch. Ich konnte schlafen, aber nicht arbeiten und aß
höchstens halb so viel wie sonst.
Bei meiner Suche nach Erklärungen stieß ich auf Elena-Katharina Sohn, die
vor zehn Jahren eine auf Liebeskummer spezialisierte Beratungsagentur
gegründet hat. [6][In einem Podcast erklärt sie]: „Im Liebeskummer steckt
ein unglaubliches Potenzial für eine Persönlichkeitsentwicklung.“ Viele
Menschen hätten ihr gesagt, es sei eine harte Zeit gewesen, auf die sie
aber nicht hätten verzichten wollen.
Nicht verzichten möchte ich neben all den neuen Impulsen und vielen
freudvollen Momenten auf das Mitgefühl, das mir entgegenschlug. Selbst von
denen, die die Geschichte schon 100-mal gehört hatten. Hätte ich über eine
ernsthafte Erkrankung oder den Tod eines geliebten Menschen gesprochen,
hätte es betretenes Schweigen geben können.
Aber alle wissen: Es fühlt sich anders an – aber [7][an gebrochenem Herzen
sterben] nur sehr wenige. Liebeskummer geht vorbei, früher oder später. In
meinem Fall endete er nach zwei Monaten von einem Tag auf den anderen, wie
es eine Bekannte vorausgesagt hatte. „Wann hört es auf, weh zu tun?“, nöl…
ich, als ich sie zufällig traf. „Wenn du das entscheidest“, sagte sie.
Ein Kollege hatte mir sogar gratuliert. „Oh, wie toll!“, sagte er, „freu
dich, dass du so empfinden kannst!“ Ich sah ihn zweifelnd an. „Es gibt nur
eine schlechte Nachricht“, sagte er noch, „du wirst es wieder tun.“ Ich
hoffe, nicht so bald. Aber ich glaube, das ist eine gute Nachricht.
21 Jan 2024
## LINKS
[1] /Psychologe-ueber-Emotionen/!5808452
[2] https://www.elitepartner.de/magazin/meistern/die-liebeskummer-phasen/
[3] https://www.sciencedaily.com/releases/2021/11/211101094832.htm
[4] https://www.binghamton.edu/inside/index.php/inside/story/12326/study-women-…
[5] https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0265407514525086
[6] https://www.spiegel.de/psychologie/liebeskummer-was-hilft-und-warum-trennun…
[7] /Broken-Heart-Syndrom/!5806033
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
wochentaz
Psyche
Liebe
Beziehung
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