# taz.de -- Dating in Berlin: Döner for two | |
> Die Unverbindlichkeit beim Dating in Berlin weckt bei vielen das | |
> Bedürfnis nach Verlässlichkeit. Die Reihe „Candlelight Döner“ will das | |
> ermöglichen. | |
Bild: Intimität trifft Imbiss: die Dating-Reihe Candlelight Döner im Beate Uwe | |
Berlin taz | Berlin gilt als die Hauptstadt der Singles und der schlechten | |
Dates. Über das Datingleben hier werden etliche Witze gemacht und Tiktoks | |
gedreht. [1][Über das Ghosting, das scheinbar als Volkssport betrieben | |
wird], über die Bindungsängste, die als progressive Unverbindlichkeit | |
getarnt werden, über die Dating-Apps, die nur noch mehr Chaos stiften. Auch | |
meine letzten Männer haben sprechende Spitznamen bekommen (der Beißer, der | |
Dachterrassen-Stecher, der Züngler, der Zufrühkommer) und sind zu | |
schmerzhaften Anekdoten geschrumpft. | |
Warum ist das Daten so schwierig in dieser Stadt? Nutzer*innen stellen | |
häufig schon in ihren Dating-App-Biografien klar: nur ONS (One Night | |
Stands) oder ENM (Ethische Nicht-Monogamie). Inzwischen ist es so | |
unverbindlich geworden, dass eine Gegenbewegung eingesetzt hat, die wieder | |
die Zuverlässigkeit sucht. Auch die guten analogen Dating-Events sind | |
zurück. Eines davon ist „Candlelight Döner“, eine Veranstaltung, die sich | |
als [2][Alternative zum klassischen Speeddating versteht]. Einmal im Monat | |
findet das Event statt, bei dem Teilnehmer:innen bei vegetarischem | |
Döner-Buffet im Club Beate Uwe in Mitte die Möglichkeit erhalten, sich ohne | |
Druck kennenzulernen. 33 Euro müssen sie dafür bezahlen. | |
Das Publikum ist eine besondere Crowd, auch an diesem Abend Mitte März: Um | |
die 40 Menschen zwischen Mitte 20 und Mitte 40 schauen sich im Schein von | |
Ayran-Lampen leicht klemmig um und beginnen, sich mithilfe eines | |
Fragebogens in Grüppchen zusammenzufinden. Neugierig-vorfreudige Blicke und | |
eine gewisse Nervosität sind spürbar: Ist heute die eine Person für mich | |
dabei? | |
Die Abende versammeln Menschen, die Lust auf etwas Ernstes haben. Das wird | |
in den Gesprächen abseits der Kennlernspiele deutlich: Da sind Frauen mit | |
dem Bedürfnis für Verbindlichkeit und Männer, die von langen | |
Anbahnversuchen, die in Ghosting enden, frustriert sind. Was aber nicht | |
bedeutet, dass sie von sich auf andere zu schließen in der Lage sind: Als | |
ich von meiner letzten Frustration nach zunächst großen Versprechungen und | |
dann einer Standardabfuhr erzähle, stellen sich einige Kerle direkt auf die | |
Seite des ihnen unbekannten Mannes: „Er wird schon einen Grund gehabt | |
haben, dass er sich nicht mehr meldet, so was ist manchmal schwierig.“ | |
„Next!“, denke ich mir. | |
## Intimität beim Döner-Imbiss | |
Für Berliner Verhältnisse ist der Abend erstaunlich hetero: Für die | |
Schnellfragerunde zu Beginn stellen sich die Männer in einen inneren Kreis | |
und die Frauen um sie herum; je ein Mann sucht sich eine Frau aus, | |
anschließend wird während einer Schnellfragerunde zu zweit mit Legos ein | |
Fahrzeug gebaut. | |
Das Döner-Essen ist der intimste Moment des Abends: Ich stehe unbeholfen am | |
Buffet an, schaufle Falafel und Halloumi in Pitabrote und versuche dann | |
neben einer fremden Person das Ganze einigermaßen elegant in meinen Mund zu | |
befördern. Im Halbdunkel des Clubs greife ich beherzt in die scharfe Sauce | |
und bereue das schnell. | |
Die Moderator*innen Bettina Bestgen und Fabian Mrongowius leiten das | |
Candlelight Döner mit angenehmem Bewusstsein für den Cringe, den ein | |
solches Format haben kann. Die Idee für das Döner-Dating habe schon länger | |
in ihnen geschlummert, erzählen sie. Sie hätten sich ausgetauscht, dass | |
Dating in Berlin so frustrierend sei – obwohl es doch in ihrem gemeinsamen | |
Freund*innenkreis viele Singles gebe, die Lust hätten, sich zu binden. | |
Bestgen sagt, es gebe in Berlin viele sex-positive Partys, aber eben wenig | |
Formate für Menschen, die auf etwas Ernstes aus sind. „Wir müssen die | |
coolen, cuten, lieben Menschen in dieser Stadt nur verbinden können“, so | |
die Idee. | |
Für die bisherigen Candlelight-Döner-Abende musste man sich über ein | |
Onlineformular anmelden – dort wurden ein paar Fun Facts, das | |
Instagram-Profil und das Interesse am Dating abgefragt. Menschen in einer | |
offenen Beziehung seien nicht die Zielgruppe, sagt Bestgen. Anfangs hätten | |
die beiden die Singles von Hand ausgewählt, die Social-Media-Profile | |
angeschaut, Sprachnachrichten ausgetauscht oder telefoniert. „Wieso | |
möchtest du gerne zu uns kommen? Was suchst du?“ Nun würden sie versuchen, | |
das Event ein wenig zu öffnen. | |
## Dating für alle | |
Für die nächste Veranstaltung am 19. April könne man sich erstmals ohne | |
Vorauswahl ein Ticket kaufen, wenn man den Bedingungen entspricht – | |
worunter etwa fällt, kein Nazi zu sein: „Wir müssen die richtige Balance | |
finden zwischen inklusiv und exklusiv“, sagt Mrongowius. Die beiden fühlten | |
durchaus eine gesellschaftliche Verantwortung: „Wenn man sagt, für Person X | |
oder Y ist die Tür zu, dann baut man eine Barriere auf.“ | |
Denn natürlich ist Berlin auch eine Stadt der gesellschaftlichen Blasen. Wo | |
trifft man schon auf Menschen, die einen anderen Beruf, eine andere | |
Herkunft, eine ganz andere Meinung haben? Diese Segregation in der | |
Partnersuche verstärkt sich durch den Algorithmus der Dating-Apps, die | |
Menschen in Attraktivitätsgrade einteilen oder gleich dafür sorgen, dass | |
übergewichtige Menschen, Schwarze Personen oder nichtbinäre Nutzer*innen | |
seltener angezeigt werden. | |
Bestgen sagt, ihr sei es wichtig, dass es beim Candlelight Döner nicht zu | |
den schlechten Situationen kommt, die man üblicherweise im Dating erlebt. | |
Ein Weg, das sicherzustellen, sei auch durch das finanzielle Commitment der | |
Beteiligten: „Man muss an dem Abend pünktlich sein, man muss einen Eintritt | |
bezahlen und sagen: Ich bin offen dafür.“ Derzeit meldeten sich mehr Frauen | |
als Männer an. „So viele tolle Frauen melden sich, das ist fast ein | |
Luxusproblen“, so Bestgen. | |
Warum das Daten in Berlin so eine Herausforderung ist? In Berlin sei alles | |
sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang verfügbar, so Bestgen. „Ich habe | |
letztens mit einer Freundin aus Zürich telefoniert, die sagt, sie habe | |
Bumble zu Ende gespielt.“ Es gebe für sie einfach keine neuen Männer mehr | |
in der App. „In Berlin dagegen ist das Angebot so groß, wieso sollst du | |
dich entscheiden?“ Da sei immer jemand Schöneres, Spannenderes, | |
Interessanteres verfügbar. „Wieso soll ich die Klappe zu machen? Diese | |
Haltung – I don’t care, was morgen ist – die zeigt sich auch im | |
Dating-Leben“, vermutet Bestgen. | |
## Die heteronormative Zweierbeziehung ist out | |
Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Ist die monogame | |
Zweierbeziehung nicht auch ein Konzept, das es zu überwinden gilt? Ist es | |
nicht ein Trugschluss, dass der Mensch nur mit einer Person glücklich | |
werden kann? Ist die Rückkehr in die verbindliche Zweierbeziehung nicht | |
auch ein Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Comebacks der konservativen | |
Werteordnung? | |
Auch Mrongowius meint, in Berlin prallten zwei gesellschaftliche Bilder | |
besonders stark aufeinander: „Einerseits ein Erwartungswunsch, wie die | |
Gesellschaft aussehen soll und kann und andererseits, wie die | |
gesellschaftlichen Realitäten sind“, so der Veranstalter. „Wir haben sehr | |
viele emanzipierte Frauen, die zu uns kommen, die größere Schwierigkeiten | |
haben, jemanden zu finden. Offensichtlich attraktive Männer haben eine | |
höhere Nachfrage und daher keinen großen Druck, sich binden zu müssen, weil | |
für sie sich immer jemand interessiert.“ Frauen hingegen würden häufiger | |
ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen – [3][und nicht wie die Männer | |
abwarten, was auf sie zukommt.] Dort gebe es häufig einfach einen anderen | |
Druck, auch in Sachen Familienplanung, glaubt Mrongowius. | |
„Ich glaube, wir sind eine Umbruchsgeneration zwischen: Okay, die alten | |
Rollenbilder akzeptieren wir nicht mehr. Vielleicht haben wir verschiedene | |
Dinge ausprobiert: offene Beziehungen oder Poly-Strukturen. Aber was heißt | |
das eigentlich konkret? Wie gehen wir damit um? Ist das eigentlich uncool, | |
sich committen zu wollen? Gleichzeitig gibt es wieder einen Umbruch hin zu | |
einer neuen, konservativen Wertordnung.“ | |
Vielleicht zeigt die Popularität des Döner Datings, wie groß das Bedürfnis | |
in Sachen Bindung ist – ohne den Humor und die Freiheit verlieren zu | |
wollen, die Berlin verspricht. Matchmaking? Auf keinen Fall! Ein | |
Spieleabend mit Flirtpotenzial zieht da schon mehr. | |
17 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ivana Sokola | |
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