# taz.de -- Broken-Heart-Syndrom: Stress, der alte Herzensbrecher | |
> Kummer kann krank machen. Die Zahl der Betroffenen des | |
> Broken-Heart-Syndroms steigt stetig. Was sagt das über unsere | |
> Gesellschaft aus? | |
Bild: Mit Romantik hat das nichts zu tun | |
Immer mehr Menschen leiden unter einem gebrochenen Herzen. Und das hat | |
nicht immer nur mit Liebeskummer zu tun. Das Broken-Heart-Syndrom, auch | |
bekannt als Takotsubo-Syndrom (TTS), kann lebensbedrohlich sein. Die | |
Patientinnen, es sind überwiegend Frauen, verspüren ein Engegefühl im | |
Brustkorb, Brustschmerzen und massive Atemnot. | |
Es sind Symptome, die einem akuten Herzinfarkt ähneln. Die linke Herzkammer | |
arbeitet praktisch nicht mehr. Anders als bei einem normalen Infarkt liegt | |
das aber nicht an verstopften Blutgefäßen. Beim Broken-Heart-Syndrom reißt | |
das Herz nicht wirklich entzwei, die Gefäße ziehen sich jedoch so eng | |
zusammen, dass der Muskel nicht mehr pumpen kann. Folge: Der Blutdruck | |
fällt ab und der Körper wird nicht ausreichend mit Blut versorgt, im | |
schlimmsten Fall kommt es zu Herzversagen und Tod durch einen | |
kardiologischen Schock. In einer neuen Studie fanden US-Forschende heraus, | |
dass die Häufigkeit der Krankheit über die letzten Jahre stetig zugenommen | |
hat. | |
Der Quasiherzinfarkt tritt in der Regel nach großen emotionalen oder | |
körperlichen Krisen auf – Liebeskummer, Trauer, Stress bei der Arbeit, ein | |
Leben in Sorge, aber auch besonders positive Stressoren wie ein Lottogewinn | |
können Auslöser sein. Inzwischen weiß man auch: Das Herz bricht zunächst im | |
Kopf. Die Amygdala ist bei Patient:innen des Broken-Heart-Syndroms | |
besonders aktiv. Diese Hirnregion kontrolliert unsere Emotionen. Sie | |
verarbeitet und bewertet Eindrücke und ist allgemein als Angst- und | |
Stresszentrum des Hirns bekannt. Bei Aufregung, Ärger, | |
Niedergeschlagenheit, kurz: Stress, sind die unteren Stirnlappen besonders | |
tätig. [1][Stress überfordert also unser Herz – Stresskummer statt | |
Liebeskummer, sozusagen.] | |
Besorgniserregende Entwicklung | |
Dass immer mehr Patient:innen des Heart-Break-Syndroms dem Stress ihr | |
Leben lassen, sollte uns zu denken geben. Die leitende Studienautorin Dr. | |
Susan Cheng nennt die sprunghaft ansteigenden Raten „besorgniserregend“. | |
Sie sagt: „Je älter wir werden und je mehr Verantwortung wir im Leben und | |
bei der Arbeit übernehmen, desto höher ist unser Stresslevel. Und mit der | |
zunehmenden Digitalisierung in allen Bereichen unseres Lebens haben auch | |
die Umweltstressoren zugenommen.“ | |
Besorgniserregend ist vor allem der menschliche Lebenswandel: Wir essen zu | |
viel und bewegen uns zu wenig. Wir hetzen von einem Meeting zum anderen und | |
selbst „Achtsamkeit“ steht als Termin auf dem Kalender. Wir sind | |
dauererreichbar und ständig prasseln schlechte Nachrichten auf uns ein. | |
Umweltkatastrophe hier, Krieg da, Klimawandel überall und die Rechten | |
regieren Länder dieser Welt. Es ist laut und es ist voll, es blinkt und | |
dröhnt – und niemand fragt, warum das bloß so sein muss. | |
Stress ist unser ständiger Alltagsbegleiter, gesellschaftlich anerkannt. | |
Auf „Ich bin heute so im Stress“ wird mit stummem, verständnisvollem Nicken | |
geantwortet. Seufz. Kennen wir ja alle. Burn-out, Schlafstörungen, | |
Magengeschwüre, chronische Kopfschmerzen – und auch unser Herz leidet. Wir | |
stressen uns bis unsere Herzen brechen. | |
Burn-out gilt als schick | |
Mit Romantik hat das in diesem Fall leider gar nichts zu tun. Dass | |
besonders häufig Frauen am Broken-Heart-Syndrom erkranken, ist wenig | |
überraschend. Sind es doch die Frauen, die emotional durch Carearbeit, | |
Pflege und das Gefühl des „Verantwortlichseins“ extrem belastet werden. Im | |
Stressreport der Techniker Krankenkasse von 2016 gab die Hälfte der | |
Deutschen an, sie sei gestresst. Dabei nannten Männer ihren Beruf als | |
häufigsten Stressauslöser, während Frauen überdurchschnittlich oft die | |
Ansprüche an sich selbst unter Druck setzen. So wenig wie Schokolade | |
Liebeskummer heilt, heilt schweigendes Verständnis Stress. Warum bloß leben | |
wir in einer Gesellschaft, in der ein Burn-out als schick gilt? Nach dem | |
Motto „Sie hat sich wenigstens richtig angestrengt“. | |
Die Autor:innen der neuen Broken-Heart-Studie arbeiteten ausschließlich | |
mit Daten aus der Zeit vor Ausbruch von Covid-19. Wenn schon vor einer | |
weltweiten Pandemie, einer der größten körperlichen und emotionalen Krisen | |
des Jahrtausends, stetig mehr Menschen an einem gebrochenen Herzen leiden – | |
wie mag dann die Entwicklung seit 2020 erst aussehen? [2][Die psychische | |
Belastung ist mit Corona deutlich angestiegen], das ist bereits erforscht. | |
„Wir wissen, dass die Pandemie tiefgreifende Auswirkungen auf die | |
Verbindung zwischen Herz und Gehirn hat. Wir stehen erst an der Spitze des | |
Eisbergs, wenn es darum geht, diese Auswirkungen zu messen“, warnt Dr. | |
Susan Cheng. Lasst uns alle gut auf uns und unsere Herzen aufpassen. Lasst | |
uns die eine Tasse Tee mehr trinken, der anderen Erledigung weniger | |
hinterherhetzen und den Stress besiegen. | |
20 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Nele Sophie Karsten | |
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